Junge, deutsche Talente – diese 6 Kreativen müssen Sie jetzt kennen.
Deutschland war lange nicht unbedingt für seine Designszene bekannt. „In den 1960er Jahren wussten die Deutschen nicht mal, wie man Design überhaupt schreibt“, sagten Renate und Stephan Fischer von Poturyzn, die Gründer:innen von Classicon. Heute, 65 Jahre später, sollte man deutsches Design allerdings nicht mehr unterschätzen. Nicht nur, dass sich Inneneinrichter:innen und Architekt:innen international etabliert haben – es gibt auch immer mehr kreative Talente, die mit ihrer kontemporären Handwerkskunst auffallen. Dabei könnten sie verschiedener nicht sein. Sie arbeiten mit Textil, Edelsteinen, Metall, sie lassen sich von Altären inspirieren, von Fotografie, von der virtuellen Welt. AD stellt Ihnen die sechs besten Talente aus Deutschland vor, die jetzt Kunst und Design auf schönste Art und Weise verbinden.
Deutsche Talente: Diese 6 Kreativen sollten Sie kennen
Zeitgenössische Kunst in jahrhundertealter Technik: Am Webstuhl erschafft das Berliner Textilkunstduo Studio Jumi filigrane Einzelstücke. Wie kein zweiter Ort in Deutschland steht das Wendland für Kunsthandwerk. Hier lernten sich Miriam Rose Gronwald und Julia Buntzel kennen, die zeitgleich die vierjährige, berufsbegleitende Webereiausbildung am Werkhof Kukate absolvierten, einem der letzten in Deutschland verbliebenen Orte, an denen man das Handwerk am Webstuhl erlernen und sich darin prüfen lassen kann. Beide haben einen Hintergrund in der zeitgenössischen Kunst: Buntzel hat Skulptur studiert, Gronwald war Mitglied verschiedener Tanzkompanien. Vor zwei Jahren gründeten sie in Berlin gemeinsam Studio Jumi.
„Wir wollten zeigen, was für ein Potenzial die Handweberei hat und was man damit alles machen kann. Dass es eine Kunstgattung gibt, die textile Kunst heißt, wissen viele gar nicht“, erzählen Gronwald und Buntzel. Sie weben filigrane Skulpturen aus Kupferdraht und Leinen oder komponieren große, luftige Wandbehänge aus Baumwolle und Papier, Seide oder Wolle. Die Planung nimmt in ihrer Arbeit eine zentrale Rolle ein, obgleich im Prozess immer auch spontane Veränderungen auftreten, etwa wenn das Material sich anders als erwartet verhält und kurzerhand die Regie übernimmt. Jüngst ist das Duo in ein größeres Studio im Wedding gezogen, um einen Ort für Austausch zu schaffen und sein Handwerk in Workshops weiterzugeben. Im Oktober stellen sie in der Designgalerie Maj van der Linden in Berlin-Mitte aus.
„Ich konstruiere jeden Tisch sehr intuitiv“, erzählt Lea Colombo. Die Arbeit an einem neuen Objekt (vom schlichten Würfel bis zum totemartigen Sitz) beginnt stets mit der Suche nach den richtigen Steinen. Die tragen klangvolle Namen wie roter Jaspis, Amethyst, Rosenquarz oder Tigerauge. Hierzulande kennt man Quarzvarietäten meist als Schmucksteine im Miniformat. „Ich wähle die Steine mit den interessantesten Formen aus und lasse mich von ihnen leiten, überlege, aus welchem Stein die Tischplatte und aus welchem das Bein wird“, so Colombo. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Italiener, aufgewachsen und wohnhaft ist sie in Kapstadt. In Südafrika und Namibia erwirbt sie die massiven Gesteinsbrocken, die in Edelsteinminen abgebaut werden, und dort sitzen auch die Kunsthandwerker mit dem Know-how, sie in Form zu bringen.
„Ich arbeite mit dem Potenzial der natürlichen Form“, sagt Colombo, die sich schon immer auf ihr Bauchgefühl verlassen hat. Auch das Fotografieren brachte sie sich einst selbst bei. Mit 18 zog sie nach Paris, fotografierte backstage bei Modenschauen und avancierte schnell zu einer der spannendsten Stimmen der Kreativbranche. Jüngst brachte die 32-Jährige das Koch- und Reisebuch „Campania“ heraus. Das wichtigste Moment in ihrer Arbeit ist Farbe – was man auch an ihren Collectibles erkennt, zu deren Fans Chanel-Kreativdirektor Matthieu Blazy gehört, der Colombos Objekte bereits in seiner Zeit bei Bottega Veneta ausstellte.
Die Fotografin Pilar Schacher fängt mit ihrer Kamera am liebsten jene flüchtigen Augenblicke ein, in denen sich Schönheit in ihrer reinsten Form zeigt. Die Erinnerungen an ihre Kindheit in Nürnberg bilden dabei das Fundament ihres künstlerischen Schaffens. „Ich habe es geliebt, barfuß über den Waldboden zu rennen und die Vielfalt seiner Strukturen unter meinen Füßen zu spüren“, erinnert sich Schacher.
Auch heute noch kehrt sie von ihren Streifzügen durch die Natur mit allerlei Fundstücken in ihr Wiener Atelier zurück. Fasziniert von der Zeitlosigkeit der Natur, arrangiert sie getrocknete Blätter und Baumrinden zu hängenden Skulpturen, deren Herzstück elegant geschwungene Glasobjekte bilden. Neben ihrer Umwelt inspirieren sie auch unvorhergesehene Bildmuster – visuelle Eindrücke, deren ungewöhnliche Formen und Farben sie intuitiv in ihre Gestaltung einfließen lässt. „Die Fotografie hat mir geholfen, Kompositionen zu sehen und gezielt Linien zu setzen. Doch erst das unnahbare Material Glas mit seiner Eleganz lässt meine Mobiles wirklich lebendig werden“, sagt die Künstlerin. Ihr wichtigstes Stilmittel ist auch dabei das Licht, das sich im Glas spiegelt und langsam seinen Weg durch den Raum bahnt. Fast schon hypnotisch ziehen die filigranen Gebilde ihre Betrachter:innen in den Bann – der Alltag tritt in den Hintergrund, und man verliert sich ganz im Moment.
Als „Schweißerin und Designerin“ stellt sich Hannah Kuhlmann auf ihrer Website vor – in dieser Reihenfolge. Tatsächlich formt sie ihre Möbel und Objekte einzeln und von Hand in ihrer Werkstatt in Köln. Sie tut dies, weil sie an die transformative Kraft des Handwerks glaubt und eine echte Leidenschaft für Metall hegt. Aus dem Material hat sie ihre geradlinig-minimalistischen Stahlrohrleuchten „Farmimals“ geschaffen, aber auch die verträumten „Stars for Sale“ der Berliner Pop-up-Galerie Forma, die wirkten, als hätte sie ein Kind mit unbeholfenem Enthusiasmus aus Messingblech geschnitten.
Weit entfernt von Serien- und Industrieproduktion, feiern Kuhlmanns Arbeiten ebenjene Verformungen, die beim Modellieren des robusten Materials entstehen. Solch kleine Unvollkommenheiten prägen auch die Kollektion „Lucid Dreams“ von 2024, die in der Galerie St. Vincents in Antwerpen ausgestellt wurde. Deren organisch geformte Leuchten verweisen auf eine wichtige Inspirationsquelle: die Natur. Bei Hannah Kuhlmann ist die allerdings stets eingebunden in ein künstlerisches Narrativ. Ihre „Lucid Dreams“ etwa laden die Betrachtenden ein zu einem Nickerchen mitten am Tag: Industrie-Stahl trifft auf zarten Stoff, klare Kanten auf weiche Rüschen, Schleifen und überdimensionierte Blüten. So wird eine leicht surreale Zwischenwelt inszeniert, die Grenze zwischen Realität und Illusion verschwimmt. Kuhlmann könnte ihrer Selbstbeschreibung also eigentlich noch „Geschichtenerzählerin“ hinzufügen. Oder „Traumfängerin“.
3D-Rendering ist nun wahrlich kein Tool der Zukunft mehr, aber wenn man erfährt,
dass Nazara Lázaros Möbel zuerst als digitales Objekt am Computer vollendet werden, ist man doch überrascht – vielleicht, weil ihre Möbel so eine organische, greifbare Anmutung haben. Lázaro hat in Madrid Interiordesign studiert und anschließend einige Jahre in Japan gelebt. Dort lernte sie, das Handwerk zu lieben, bemerkte aber, dass ihre eigenen Hände viel geschickter mit dem Computer umgehen können. Die Spanierin, die zwischen Berlin und Barcelona pendelt, ist ein Ass im Rendern: Während der Pandemie wurde die US-Plattform Sight Unseen auf sie aufmerksam und setzte mit ihr die erste richtige Möbelkollektion um.
Wie bei einer Skulptur baut Lázaro einen Körper nach und nach auf – zuerst existiert er in der digitalen Realität und bekommt dann einen physischen Zwilling. Inspiration findet sie in der Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Kolleg:innen wie Charlotte Taylor und Oscar Piccolo, aber auch bei Gestalter:innen der Vergangenheit wie César Manrique, der Keramikerin Valentine Schlegel – oder bei Joan Miró, dessen Namen auch ihr surrealistisch anmutender Kleiderständer trägt. Weil Lázaro aus Teneriffa kommt und das warme Wetter vermisst, zieht sie in Betracht, Berlin bald den Rücken zu kehren und ganz nach Barcelona zu ziehen, in Mirós sonnigen Geburtsort.
Statt an klassische Religionen glaubt Isabelle Graeff lieber an Quantenphysik – „wobei es natürlich Überschneidungen gibt“, wie die Künstlerin und Designerin sagt. „Ich glaube an ein universales Bewusstsein, das alles durchdringt – Zufall gibt es für mich nicht.“ Nichtsdestotrotz oder auch gerade deshalb sind ihre „Portal“-Möbel ein Amalgam aus Kunst, Mathematik und Spiritualität. Sein verspiegeltes Äußeres macht das in Sternenform gestaltete „Cabinet I“ aus der Kollektion fast unsichtbar, es verschmilzt mit seiner Umgebung, wirkt fast entmaterialisiert. Ganz im Gegensatz zum Inneren, das mit lackiertem Valchromat in Rot, Orange, Gelb oder Blau lockt.
Wer bei diesem Anblick nicht umhinkommt, an einen Gottestisch zu denken, liegt gar nicht so falsch. Schließlich ist die Serie vom Konzept zeitgenössischer Altäre inspiriert, und nicht umsonst trägt Studio Graeff den feinen, kleinen Zusatz „Objects for Modern Temples“. „Die Idee ist, Objekte zu schaffen, die uns helfen, uns mit etwas zu verbinden, das außerhalb von uns liegt“, sagt Graeff, die 2024 ihr Designstudio gründete. Sie lebt in Berlin, kommt aber ursprünglich aus Heidelberg – und aus der Malerei, studierte Kunst und Design am Central Saint Martins in London und fand zur Fotografie. Bis heute faszinieren sie chemische Prozesse der Filmentwicklung in der Dunkelkammer; regelmäßig widmet sie sich auch der Keramik. Isabelle Graeff wandert zwischen vielerlei Medien. Doch findet sie für jeden Funken, jede Eingebung, für jedes Ritual und jeden Wert den richtigen Ansatz.
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