Wabi-Sabi in Belgiens ländlicher Ruhe: Axel Vervoordt und Tatsuro Miki gestalten ein Cottage, das Naturverbundenheit, Nachhaltigkeit und Zen-Atmosphäre harmonisch vereint.
„Für das, was wir tun, gibt es keine festen Regeln“, sagt Axel Vervoordt. „Alle Entscheidungen sind von Stimmungen getragen. Dieses Haus sollte sich gemütlich, heiter und ruhig anfühlen, und man sollte sich eins mit der Natur wähnen. Das ist die Essenz dessen, was wir erreichen wollten.“ Wie gut es funktioniert hat, zeigt das kürzlich vollendete Projekt, ein Landhaus in einem grünen Vorort 20 Minuten außerhalb von Antwerpen.
Ein Cottage mitten in der Natur
Die Umgestaltung des bescheidenen ehemaligen Gärtnerhäuschens war für den belgischen Designer, Kurator, Antiquitätenhändler und -sammler eine ungewohnt persönliche Angelegenheit: Die Eigentümer:innen sind Verwandte von ihm, der älteste Sohn und die Schwiegertochter seiner Schwester. (Für volle Transparenz: Als Ehemann von Vervoordts Sohn Boris gehört auch der Autor dieses Artikels zur Familie.) Das Grundstück liegt am Rande des Schlossparks von 's-Gravenwezel – dem historischen Anwesen, in dem der AD 100-Designer seit 1984 mit seiner Frau May lebt.
„Es hat mich gefreut, dass einer meiner Neffen in unsere Nähe zieht“, sagt Vervoordt. „In vielen Kulturen sieht man es als bereichernd an, die Familie um sich zu haben. Nah beieinander zu leben, fördert ein Gefühl des Energieaustauschs.“ Die Bauherr:innen sehen es ähnlich: „Wir wollten hier wegen der einzigartigen Lage bauen, direkt neben May und Axel, in der erholsamen Landschaft rund um ihr Schloss“, sagt der Neffe. Das Grundstück ist tatsächlich wunderschön – ein kleiner Bach fließt hindurch und bildet eine natürliche Trennlinie zwischen einer Rasenfläche und dem wilden Wald im Hintergrund. Das Cottage aus dem 19. Jahrhundert, das dort bereits stand, war klein und hatte viel Charme, Axel Vervoordt befand es allerdings für dringend renovierungsbedürftig.
Ein Dialog zwischen Ost und West
Der Designer und die Familie betrauten Tatsuro Miki mit der Verwirklichung ihrer Ideen. Der Gründer des Büros Tatsuro Miki Architects stammt aus Japan und ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in Brüssel ansässig. Miki und Vervoordt arbeiten häufig zusammen und haben gemeinsam schon Projekte wie das gefeierte „TriBeCa Penthouse“ im New Yorker „Greenwich Hotel“ realisiert. Ihr 2011 erschienenes Buch „Wabi Inspirations“ ist zur unverzichtbaren Referenz für die Wabi-Sabi-Philosophie in Design und Architektur geworden. „Bei vielen unserer Arbeiten“, sagt Miki, „suchen wir den Dialog zwischen Ost und West. Bei diesem Projekt wollten wir die Strenge des alten Hauses mit einer neuen scheunenartigen Struktur kombinieren, die Wabi-Elemente enthält.“ Wie oft im Gespräch spinnt Vervoordt den Gedanken seines Kreativpartners fort: „Der alte Teil des Hauses ist formell und der neue Anbau eher meditativ – wie Yin und Yang. Jeder Raum hat eine eigene Atmosphäre. Wenn man alles zusammenfügt, ergibt es eine Welt.“
Und was für eine ruhige, friedvolle Welt! Das Gefühl der Harmonie ergibt sich aus dem Gleichgewicht zwischen den beiden Bauteilen – beim Häuschen aus dem
19. Jahrhundert stehen Farbe und Layering im Vordergrund, während die neue „Scheune“ über den empfindsamen Minimalismus des Design-Duos mit der Natur verbunden ist. Ein langer, fast leerer Korridor verbindet beides miteinander. Auffällig: Die Fenster dort befinden sich unterhalb der Augenhöhe, zu niedrig, um hinauszusehen, wenn man den Flur entlanggeht. „Die Fenster lenken den Blick auf den Boden“, sagt Vervoordt. „Wie in Klöstern ist der lange Gang eine Vorbereitung für den Geist.“ Miki verwendet dafür den japanischen Ausdruck roji – ein Pfad, der einen Übergangsbereich auf dem Weg zu einem Teehaus darstellt. „Es geht darum, sich zu öffnen und sich mental darauf einzustellen, in eine andere Welt einzutreten.“ Ein Fenster im Schlafzimmer ist ebenfalls niedrig positioniert, auf Höhe des Bettes, um nur einen begrenzten Ausschnitt in den Blick zu rücken und dadurch die ruhige Atmosphäre zu verstärken.
Nachhaltige Materialien, langlebige Architektur
Auch die Auswahl der Baustoffe und Farben trägt dazu bei. „Die Materialien sind uns sehr wichtig“, sagt Miki. „Für uns müssen sie Wahrheit verkörpern. Wir verfolgen schon ein gewisses Ziel, aber wir beginnen nicht mit vorgefertigten Ideen. Vielmehr bringen wir einzelne Komponenten ins Spiel und schauen dann, wie wir sie zusammenbringen. Wir möchten Dinge erschaffen, die Bestand haben.“ Was könnte diesen Anspruch besser unterstreichen als die wiederverwendeten Holzbalken im Wohnzimmer? Sie sind mehr als 100 Jahre alt und stammen aus abgetragenen Scheunen in den Niederlanden. Neben ihrer Stützfunktion erzählen sie vor allem die Wabi-Geschichte von Zeit, rauer Unvollkommenheit und der Natur als größter Künstlerin. Die Rundpfeiler im Außenbereich sind ganz bewusst aus weichem Lärchenholz gefertigt, das schnell auf Umwelteinflüsse reagiert. Generell verzichteten Miki und Vervoordt beim
Bau auf synthetische Materialien. Die neuen Wände dämmten sie mit Hanf, eine atmungsaktive und umweltfreundliche Form der Isolierung, die zudem die Raumakustik verbessert. Die weiche, sandfarbene Tönung der Wände, von denen viele nicht gestrichen sind, entsteht durch die Verwendung von Lehmputz. Für die warme, gemütliche Küche wurden Kalktünche und natürliche Kaseinfarbe verwendet, den Boden bedecken patinierte Terrakottafliesen. „Die Kombination von Hellgrün und Blau geht auf das 19. Jahrhundert zurück“, sagt Vervoordt. „Es spiegelt das Blau des Himmels und die grüne Landschaft wider. Das macht sich sehr gut in dieser Umgebung.“
Die Kunst bildet die Familie ab
Die Kunst im Haus wiederum erzählt viel über die Bewohner:innen. In der Küche hängt ein Bild, das der spätere Designer 1964 von seinem Neffen malte. Axel Vervoordt, damals 17, hatte auf den Vierjährigen aufgepasst, und der weigerte sich zu essen. „Ich habe damals viel gemalt“, erzählt er, „also habe ich ihn porträtiert, nachdem ich an diesem Abend nach Hause zurückgekehrt war.“ Weitere Werke stammen von dem Belgier Jef Verheyen, einem Meister des Lichts und der Farbe, der ein Freund der Familie war, sowie von den japanischen Künstlern Sadaharu Horio und Ryuji Tanaka, zwei Mitgliedern der avantgardistischen Gutai Art Association.
„Dies ist ein sehr glückliches Haus“, resümiert Axel Vervoordt. „Es hat eine positive Ausstrahlung, und mein Neffe und seine Frau waren so kreativ und kooperativ! Sie haben verstanden, worauf wir in ökologischer und technischer Hinsicht hinauswollten, und waren gleich mit allem einverstanden.“ Die Klientin gibt das Kompliment sofort zurück: „Axel und Tatsuro haben ein sehr gutes Gespür für die Menschen, für die sie bauen.“ Und ihr Mann legt noch eins drauf: „Jeden Tag, wenn wir heimkommen, genießen wir die wunderbare Zen-Atmosphäre, fühlen uns entspannt und ganz in Balance.“









