Wabi-Sabi trifft Minimalismus: So verwandelte Axel Vervoordt ein altes Cottage nahe Antwerpen in ein Familienrefugium

Für seinen Neffen und dessen Frau hat Axel Vervoordt gemeinsam mit dem Architekten Tatsuro Miki ein altes Cottage nahe Antwerpen ausgebaut – die Nähe zur Natur verstärkt die Wabi-Sabi-Vibes
Außenansicht von dem Haus zwischen Bäumen mitten im Wald
Das frühere Gärtnerhaus (der neue Anbau), das an Axel Vervoordts Wohnsitz’s-Gravenwezel grenzt, gefällt dem Hausherrn jedoch ausnehmend gut.Frederik Vercruysse

Wabi-Sabi in Belgiens ländlicher Ruhe: Axel Vervoordt und Tatsuro Miki gestalten ein Cottage, das Naturverbundenheit, Nachhaltigkeit und Zen-Atmosphäre harmonisch vereint.

„Für das, was wir tun, gibt es keine festen Regeln“, sagt Axel Vervoordt. „Alle Entscheidungen sind von Stim­mun­­­gen getragen. Dieses Haus sollte sich gemütlich, heiter und ruhig anfühlen, und man sollte sich eins mit der Natur wähnen. Das ist die Essenz dessen, was wir erreichen wollten.“ Wie gut es funktioniert hat, zeigt das kürzlich vollendete Projekt, ein Landhaus in ei­nem grünen Vorort 20 Minuten außerhalb von Ant­wer­pen.

Außenansicht von dem Haus zwischen Bäumen mitten im Wald

Das frühere Gärtnerhaus (der neue Anbau), das an Axel Vervoordts Wohnsitz’s-Gravenwezel grenzt, gefällt dem Hausherrn jedoch ausnehmend gut.

Frederik Vercruysse

Ein Cottage mitten in der Natur

Die Umgestaltung des bescheidenen ehemaligen Gärt­ner­häuschens war für den belgischen Designer, Ku­rator, Antiquitätenhändler und -sammler eine ungewohnt persönliche Ange­legenheit: Die Eigentümer:innen sind Ver­wandte von ihm, der älteste Sohn und die Schwie­ger­tochter seiner Schwester. (Für volle Trans­parenz: Als Ehemann von Vervoordts Sohn Boris gehört auch der Autor dieses Artikels zur Familie.) Das Grund­stück liegt am Rande des Schlossparks von 's-Gravenwezel – dem historischen Anwesen, in dem der AD 100-De­signer seit 1984 mit seiner Frau May lebt.

„Es hat mich gefreut, dass einer meiner Neffen in unsere Nähe zieht“, sagt Vervoordt. „In vielen Kulturen sieht man es als bereichernd an, die Familie um sich zu haben. Nah beieinander zu leben, fördert ein Gefühl des Ener­gie­austauschs.“ Die Bauherr:innen sehen es ähnlich: „Wir wollten hier wegen der einzigartigen Lage bauen, direkt neben May und Axel, in der erholsamen Landschaft rund um ihr Schloss“, sagt der Neffe. Das Grundstück ist tatsächlich wunderschön – ein kleiner Bach fließt hindurch und bildet eine natürliche Trennlinie zwischen einer Ra­sen­flä­che und dem wilden Wald im Hintergrund. Das Cot­­tage aus dem 19. Jahr­hundert, das dort bereits stand, war klein und hatte viel Charme, Axel Vervoordt befand es allerdings für dringend renovierungsbedürftig.

Axel Vervoordt und Tatsuro Miki stehen vor dem von ihnen entworfenen Anbau neben HolzRundpfeilern

Axel Vervoordt und Tatsuro Miki ließen die Rundpfeiler im Umgang des Anbaus aus Totholz der umliegenden Wälder fertigen.

Frederik Vercruysse

Ein Dialog zwischen Ost und West

Der Designer und die Familie betrauten Tatsuro Miki mit der Verwirklichung ihrer Ideen. Der Gründer des Büros Tatsuro Miki Architects stammt aus Japan und ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in Brüssel ansässig. Miki und Vervoordt arbeiten häufig zusammen und haben gemeinsam schon Projekte wie das gefeierte „TriBeCa Pent­house“ im New Yorker „Green­wich Hotel“ realisiert. Ihr 2011 erschienenes Buch „Wabi In­spi­rations“ ist zur unverzichtbaren Refe­renz für die Wabi-Sabi-Philo­sophie in Design und Archi­tektur geworden. „Bei vielen unserer Arbeiten“, sagt Miki, „suchen wir den Dialog zwischen Ost und West. Bei diesem Projekt wollten wir die Strenge des alten Hauses mit einer neuen scheunenartigen Struktur kombinieren, die Wabi-Elemente enthält.“ Wie oft im Gespräch spinnt Vervoordt den Gedan­ken seines Kreativpartners fort: „Der alte Teil des Hauses ist for­mell und der neue Anbau eher meditativ – wie Yin und Yang. Jeder Raum hat eine eigene Atmosphäre. Wenn man alles zusammenfügt, ergibt es eine Welt.“

Wohnzimmer mit großen Panoramafenstern Holzbalken kontrastieren mit den Planken des Coffeetables. Couch und Sessel...

Das Wohnzimmer ist ganz auf die Landschaft ausgerichtet; die Panoramafenster kontrastieren mit antiken Holzbalken, die aus holländischen Scheunen stammen, und den Planken des Coffeetables. Ottomane aus Vervoordts Home Collection.

Frederik Vercruysse
Die Wände im Flur sind grün außerdem Stuhl und Kommode auf der ein gelber Tonkrug steht

Im Flur steht ein antiker französischer Tonkrug auf einer holländischen Kommode aus dem 18. Jahrhundert.

Frederik Vercruysse

Und was für eine ruhige, friedvolle Welt! Das Gefühl der Harmonie ergibt sich aus dem Gleichgewicht zwischen den beiden Bauteilen – beim Häuschen aus dem
19. Jahr­hundert stehen Farbe und Layering im Vorder­grund, während die neue „Scheune“ über den empfindsamen Minimalismus des Design-Duos mit der Natur verbunden ist. Ein langer, fast leerer Korridor verbindet beides miteinander. Auffällig: Die Fenster dort befinden sich unterhalb der Augen­höhe, zu niedrig, um hinauszusehen, wenn man den Flur entlanggeht. „Die Fenster lenken den Blick auf den Bo­den“, sagt Vervoordt. „Wie in Klöstern ist der lange Gang eine Vorbereitung für den Geist.“ Miki verwendet dafür den japanischen Ausdruck roji – ein Pfad, der einen Übergangsbereich auf dem Weg zu einem Teehaus darstellt. „Es geht darum, sich zu öffnen und sich mental darauf einzustellen, in eine andere Welt einzutreten.“ Ein Fens­ter im Schlafzimmer ist ebenfalls niedrig positioniert, auf Höhe des Bettes, um nur einen begrenzten Ausschnitt in den Blick zu rücken und dadurch die ruhige Atmosphäre zu verstärken.

Langer Flur mit niedrigen Fenstern und Holztüren

Ein langer, fast leerer Korridor verbindet die Hausteile. Die bewusst niedrig gesetzten Fenster lenken den Blick auf den Boden – eine Anlehnung an klösterliche Architektur.

Frederik Vercruysse
Helles Schlafzimmer mit niedrigen Fenstern und beigem Bett

Im Schlafzimmer sind die Fenster bewusst niedrig platziert, um perfekt gerahmte Ausblicke zu bieten und eine kontemplative Atmosphäre zu fördern.

Frederik Vercruysse

Nachhaltige Materialien, langlebige Architektur

Auch die Auswahl der Baustoffe und Farben trägt dazu bei. „Die Materialien sind uns sehr wichtig“, sagt Miki. „Für uns müssen sie Wahrheit verkörpern. Wir verfolgen schon ein gewisses Ziel, aber wir beginnen nicht mit vorgefertigten Ideen. Vielmehr bringen wir einzelne Kom­ponenten ins Spiel und schauen dann, wie wir sie zusammenbringen. Wir möchten Dinge erschaffen, die Be­stand haben.“ Was könnte diesen Anspruch besser unterstreichen als die wiederverwendeten Holzbalken im Wohnzimmer? Sie sind mehr als 100 Jahre alt und stammen aus abgetragenen Scheunen in den Niederlanden. Neben ihrer Stützfunktion erzählen sie vor allem die Wabi-Geschichte von Zeit, rauer Unvollkommenheit und der Natur als größter Künstlerin. Die Rundpfeiler im Außenbereich sind ganz bewusst aus weichem Lär­chen­holz gefertigt, das schnell auf Umwelteinflüsse reagiert. Generell verzichteten Miki und Vervoordt beim
Bau auf synthetische Materialien. Die neuen Wände dämmten sie mit Hanf, eine atmungsaktive und umweltfreundliche Form der Isolierung, die zudem die Raumakustik verbessert. Die weiche, sandfarbene Tö­nung der Wände, von denen viele nicht gestrichen sind, entsteht durch die Verwendung von Lehmputz. Für die warme, gemütliche Küche wurden Kalktünche und natürliche Ka­sein­farbe verwendet, den Boden bedecken patinierte Terra­kot­ta­fliesen. „Die Kombination von Hellgrün und Blau geht auf das 19. Jahrhundert zurück“, sagt Vervoordt. „Es spiegelt das Blau des Himmels und die grüne Landschaft wider. Das macht sich sehr gut in dieser Umgebung.“

In der Küche hängt ein gemaltes Bild von einem Jungen an einem Esstisch Boden ist mit Terakottafliesen ausgelegt

„Nein, mein Breichen ess’ ich nicht!“: In der Küche hängt das Porträt, das der Designer als 17-Jähriger von ihm, seinem Neffen, malte. Die flämischen Terrakottafliesen sind original, neu ist die Fußbodenheizung darunter.

Frederik Vercruysse

Die Kunst bildet die Familie ab

Die Kunst im Haus wiederum erzählt viel über die Bewohner:innen. In der Küche hängt ein Bild, das der spätere Designer 1964 von seinem Neffen malte. Axel Vervoordt, damals 17, hatte auf den Vierjährigen aufgepasst, und der weigerte sich zu essen. „Ich habe damals viel gemalt“, erzählt er, „also habe ich ihn porträtiert, nachdem ich an diesem Abend nach Hause zurückgekehrt war.“ Weitere Werke stammen von dem Bel­gier Jef Ver­heyen, einem Meister des Lichts und der Farbe, der ein Freund der Familie war, sowie von den japanischen Künstlern Sadaharu Horio und Ryuji Tanaka, zwei Mit­gliedern der avantgardistischen Gutai Art Association.

Küche mit Wänden im blauen Kalkanstrich. Ein Tisch mit Stühlen und ein offener Schrank mit Geschirr wie Tassen und Tellern.

Der Farbton für die Schränke und die Tür in der Küche wurde eigens angemischt, ebenso der Kalkanstrich der Wände (von Domingue).

Frederik Vercruysse

„Dies ist ein sehr glückliches Haus“, resümiert Axel Vervoordt. „Es hat eine positive Ausstrahlung, und mein Neffe und seine Frau waren so kreativ und kooperativ! Sie haben verstanden, worauf wir in ökologischer und technischer Hinsicht hinauswollten, und waren gleich mit allem einverstanden.“ Die Klientin gibt das Kompliment sofort zurück: „Axel und Tatsuro haben ein sehr gutes Gespür für die Menschen, für die sie bauen.“ Und ihr Mann legt noch eins drauf: „Jeden Tag, wenn wir heimkommen, genießen wir die wunderbare Zen-Atmo­sphäre, fühlen uns entspannt und ganz in Balance.“

Badezimmer mit Badewanne wurde mit Kalkputz verputz

Das Bad ist mit Tadelakt verputzt.

Frederik Vercruysse