Ana Vollenbroich und Annelen Schmidt-Vollenbroich von Nidus schufen aus einer ehemaligen Kirche ein Zuhause.
Atemübungen, Klangschalentöne und Meeresrauschen sind mittlerweile beliebte Begleiter, die in den Schlaf helfen. Ana Vollenbroichs Entspannungstechnik funktioniert ein bisschen anders. Ihr abendliches guilty pleasure und Ritual kurz vor dem Einschlafen ist Immoscout. Auf der Onlineplattform stöbert sie durch Fotos von Häusern und Wohnungen im Düsseldorfer Umkreis. Eines Abends blieb sie an den Aufnahmen einer Kirche im östlichen Stadtteil Gerresheim hängen – zu verkaufen, weil zwei Kirchengemeinden zusammengelegt worden waren. Sie erzählte ihrer Partnerin Annelen Schmidt-Vollenbroich davon, sendete eine Textnachricht und machte das Licht aus.
Kirche wird Wohnhaus: So behutsam gingen die Architektinnen vor
Im nördlichen, ruhigen, eher dörflichen Stadtteil Kaiserswerth haben die beiden Architektinnen mit ihrer Firma Nidus schon etliche Projekte realisiert, etwa den Umbau des Kreuzberghofs und den Neubau Sankt Göres. Sie schätzen die offene, „rheinische Frohnatur“, aber auch die Internationalität des Standorts (der Flughafen ist nur neun Autominuten entfernt). Gerade legen sie in einer ehemaligen Glasmalerei in der Alten Landstraße Office und Wohnen zusammen.
Wie Letzteres haben die meisten Projekte von Nidus mit Bestand zu tun. Dabei geht es den Architektinnen stets darum, seine Identität in die Gegenwart zu überführen und gleichzeitig so frei wie möglich zu gestalten. An Konventionen ist ohnehin nicht zu denken, wenn es um eine Kirche geht, die saniert und zum Wohnhaus werden soll – genau diese Idee gab es seit dem Moment, als die beiden den Zuschlag für die neuapostolische Ottokirche im malerischen Stadtbezirk 7 erhielten. Den turmlosen Bau mit Satteldach und Klinkerfassade hatte Herrmann Rauch in den späten Siebzigern entworfen, neben diversen anderen Sakralbauten in der Umgebung. An der Giebelseite markierte ein Kruzifix aus Naturstein das Gotteshaus – das gibt es auch nach dem Umbau noch: „Wir haben mit dem Gedanken gespielt, es aus der Fassade zu nehmen, aber das hätte einen Negativabdruck hinterlassen, eine Narbe wäre geblieben“, sagt Schmidt-Vollenbroich.
Die Geschichte des Hauses lebt weiter
Und dabei sollte das umgebaute Wohnhaus mit seinen 274 Quadratmetern und dem kreuzgangähnlich angelegten Garten ja von seiner Vergangenheit erzählen dürfen. Die Architektinnen brachten den einstigen Charakter mithilfe ausgewählter Originaldetails, die sie zum einen Teil herausarbeiteten und zum anderen Teil durch neue Aufteilung, Materialien und Möbel weitersponnen, ins Jetzt. „Das Gebäude gibt den Takt vor, wir setzen Impulse“, sagt Ana Vollenbroich. Am Anfang standen viele kreative Konzepte im Raum, befeuert von allerlei Recherche. Was Nidus meisterlich beherrscht, ist das „Einschmelzen“, sodass am Ende nur die stärksten Ideen überleben und Realität werden. Es geht um die Herausforderung, nicht der Versuchung zu erliegen, zu viel zur selben Zeit zu wollen. „Man darf keine Angst vor zu wenig haben“, sagen die beiden.
Wie man eine ehemalige Kirche einrichtet
Den Boden in schmeichelndem grüngrauen Verde-Alpi-Terrazzo im Erdgeschoss, der auf der Treppe bis nach oben führt, gab es schon, als es sich noch um die Jugend- und Gemeinderäume der Kirche handelte; jetzt ist hier das Entree. Was daran anschließt, ist dramaturgisch aufgebaut. Den Anfang machen eine verglaste Doppeltür und der abgesenkte, in Fischgrätmuster verlegte Boden aus Räuchereiche, der an die originale, massive Eichentür im Obergeschoss angelehnt ist und im Doppelwaschtisch mündet. Auf einem cremefarbenen Teppich von CC-Tapis fasst der eigens entworfene „Otto“-Stuhl die Stimmung der Ottokirche noch einmal zusammen – elegant, klar, puristisch, multifunktional, mit sakralem, klösterlichem Drall. „Dieser Raum ist sehr offen, hier legt man quasi den Alltag ab“, so die Idee von Nidus. „Je weiter man nach hinten kommt, desto privater und intimer wird es, von der frei stehenden Badewanne mit offener Dusche geht es bis ins Schlafzimmer.“ Die Wände greifen den Terrazzo auf – in Form von grasgrünem Kalkputz.
Im oberen Bad (hier war einmal die Sakristei) verleiht natürliches Licht dem Waschbecken und Boden in Verde-Alpi-Marmor fast sakralen Glanz. „Der kontemplative Spirit ist geblieben“, sagt Annelen Schmidt-Vollenbroich. „Durch die Materialien und die Stimmung wird man bedächtig und auf einmal ganz ruhig“. Genau das passiert auch im Wohnraum. Wo früher die Messe gehalten und gesungen wurde, stehen sich jetzt auf Fischgrätboden Eigenentwürfe in geölter Eiche gegenüber. Auch hier haben Lichtreflexe einen starken Tanzauftritt, den die originalen, schmalen Buntglasfenster erst möglich machen. Mag sein, dass die Kirchenelemente nicht jedermanns Sache sind – für die Eingangstür, die des Öfteren auf Ablehnung stieß, fertigte Nidus bereits einen komplett neuen Entwurf, den sie dann doch ganz bewusst wieder verwarfen. Vielmehr beruhigten sie lediglich die Ornamentik, ganz subtil, sodass die Tür nun wirkt wie ein energetisches Portal in eine neue Welt. Konkret: ins neue Domizil eines deutsch-irisch-afrikanischen Paares, das sich in Singapur kennenlernte und sich jetzt in einer ehemaligen Kirche in Düsseldorf-Gerresheim ganz zu Hause fühlt.








