Wiedereröffnung der Villa Stuck in München: Über die aufwendige Sanierung des Brutkastens der Moderne

Franz von Stucks geniales Gesamtkunstwerk auf dem Münchner Isarhochufer ist wiedereröffnet. Dabei wartet die einmalige Künstlervilla mit einigen Überraschungen auf
Villa Stuck München Wiedereröffnung
JANN AVERWERSER

Die wiedereröffnete Villa Stuck katapultiert uns in eine Zeit, als München leuchtete. Endlich sind die historischen Räume in ihrer ganzen Pracht zu erleben.

Der niederbayerische Müllerssohn Franz von Stuck war kein bescheidener Zeitgenosse. Im Gegenteil. Als er 1898 die selbstentworfene Villa am Münchner Isarhochufer bezog, lag ihm die deutsche Kunstszene zu Füßen. Stuck verzauberte mit sinnlichen Sünderinnen und lüsternen Faunen, er verschmolz antike Mythologie und christliche Symbolik, Altmeister-Raffinesse und flirrenden Pointillismus zu einer ganz eigenen Spielart des Symbolismus.

Villa Stuck München Wiedereröffnung

Auf der Kaminwand des Empfangssalons thront die restaurierte „Enthauptung des Johannes“. Erstmals kommen Details zur Geltung. Das Barockgemälde hatte Stuck einfach übermalt und in seinen Kunstkosmos geholt.

JANN AVERWERSER
Frauen seines Lebens. Nach der Renovierung werden die restaurierten Gemälde in neuer Hängung präsentiert.

Frauen seines Lebens. Nach der Renovierung werden die restaurierten Gemälde in neuer Hängung präsentiert.

JANN AVERWERSER

Die Villa Stuck in München ist wiedereröffnet – nach anderthalbjähriger Sanierung

Ein einfaches Atelier genügte ihm, dem zeichnerischen Wunderkind und früh berufenen Akademieprofessor, längst nicht mehr. Stuck wollte eine Bühne für sich und seine Arbeiten, ein begehbares Gesamtkunstwerk, in dem jede Wand, jeder Vorhang und jeder Bilderrahmen Teil einer großen Vision wurde. Nach umfassender Sanierung lässt sich dieses einmalige Gesamtkunstwerk wieder in seiner ganzen Fülle erleben. Die Villa Stuck ist zurück, weitgehend barrierefrei, mit neuer Klima- und Lüftungstechnik sowie modernem Brandschutz. Anderthalb Jahre dauerte der Umbau und kostete 13,5 Millionen Euro. Hier wurde jeder Cent gut angelegt. „Der Empfangssalon besticht durch die malerische Wirkung luxuriöser Oberflächen und Farbklänge, subtiler Lichtreflexionen und Spiegelungen auf den Wänden, die mit Goldmosaik und buntem Marmor überzogen sind“, sagt Sammlungsleiterin Margot Brandlhuber.

Musikzimmer mit kosmischen Sphärenklängen. Stuck verwendete elektrisches Licht in Form von Kohlefadenlampen die den Raum...

Musikzimmer mit kosmischen Sphärenklängen. Stuck verwendete elektrisches Licht in Form von Kohlefadenlampen, die den Raum in märchenhaften Glanz tauchen.

JANN AVERWERSER

Willkommen im Gesamtkunstwerk

Die Villa verschlingt ihre Gäste mit Haut und Haaren. Wer die einstigen Wohnräume betritt, findet sich in einer anderen Welt wieder, in der sich alles um den Hausherren dreht. Am Himmel des Musiksalons kreisen die Planeten in goldenen Sphären, auf der Kaminwand des Empfangssalons gegenüber thront die restaurierte „Enthauptung des Johannes“. Erstmals kommen Details zur Geltung. Das Barockgemälde hatte Stuck einfach übermalt und in seinen Kunstkosmos geholt. Eine junge Restauratorin sah sich immer neuen Farbschichten und Firnisaufträgen gegenüber und legte Schritt für Schritt die ganze Kraft der Arbeit wieder frei. Analysen des Doerner Instituts zeigen, wie spielerisch Stuck Pigmente und Bindemittel nutzte. Seine Maltechnik war innovativ, manchmal riskant, aber immer auf Wirkung aus. Der Perfektionist sah selbst in den Rahmen Fortsetzungen seiner Kunstwerke, um sicherzustellen, dass sie in jedem Kontext wirkten.

Das einzig erhaltene Stück des Haushalts Tischdecke im ehemaligen Speisezimmer ein Geschenk Mary von Stucks an ihren Vater.

Das einzig erhaltene Stück des Haushalts: Tischdecke im ehemaligen Speisezimmer, ein Geschenk Mary von Stucks an ihren Vater.

Oliver Herwig

Das vielleicht überraschendste Stück ist zugleich das persönlichste, das einzig erhaltene Stück des Hausrats, eine einfache Tischdecke im Speisezimmer, ein Geschenk der Tochter Mary an ihren Vater. Eingearbeitet sind Referenzen an das Haus und seine Entstehung, die Hunde Flox und Pips, das Münchner Kindl und einen Kentaur, der seine Fäuste ballt, Erkennungszeichen des Malerfürsten, der 1905 von Prinzregent Luitpold geadelt worden war und sich das Fabelwesen ins Wappen holte.

Doppelgarage für Automobilisten

Wer die idiosynkratische, düstere Pracht des Hauses genügend in sich aufgesogen hat, sollte einen Blick in den Garten werfen, der nach Originalplänen des Künstlers wieder angelegt werden soll. Im ehemaligen Atelier- und Bedienstetentrakt findet sich eine Doppelgarage mit einem in die Wand eingelassenen Relief der Siegesgöttin Nike. Diese rollt auf einem Pneu durch die Welt, ein augenzwinkerndes Update zu Dürers „Fortuna“, bei der die Glücksgöttin auf einer Kugel balanciert und so das wankende Liebesglück anzeigt. Es ist nicht bekannt, welche Automarke der Meister fuhr, ja nicht einmal, ob er selbst ein Automobil besaß. Was aber anhand der nun sichtbar gewordenen Vorfahrt klar wurde: Warum Stuck den Garten doch nicht anlegen ließ: Es fehlt schlicht der Platz, Stuck hätte mit seinem Automobil nicht die Kurve gekriegt, so eng ist der Wenderadius. Jetzt dient diese Auffahrt als barrierefreier Zugang zum Museum.

Doppelgarage der Villa Stuck.

Doppelgarage der Villa Stuck.

Oliver Herwig
Franz von Stuck als Automobilist Nike auf Pneu.

Franz von Stuck als Automobilist: Nike auf Pneu.

Oliver Herwig
Die Villa Stuck überrascht mit neuer Hängung

Nach der Renovierung werden die restaurierten Gemälde in neuer Hängung präsentiert und vergessene Frühwerke erstmals gezeigt. Einen besonderen Platz nimmt immer noch Stucks Selbstporträt im ehemaligen Rauchsalon ein, das ihm den Durchbruch als gerade 26-Jähriger brachte: Er präsentiert sich als „Wächter des Paradieses“, als geflügelter Engel, der mit der Rechten ein loderndes Flammenschwert hält, während er seine Betrachter herausfordernd in den Blick nimmt. Stuck stilisiert sich zur Lichtgestalt.

Sein Durchbruch als Künstler Franz von Stuck als „Wächter des Paradieses“.

Sein Durchbruch als Künstler: Franz von Stuck als „Wächter des Paradieses“.

Nikolaus_Steglich
Blickfang im ehemaligen Raucherzimmer Selbstportrait als himmlische Gestalt.

Blickfang im ehemaligen Raucherzimmer: Selbstportrait als himmlische Gestalt.

JANN AVERWERSER

Heute lässt sich nur ahnen, wie stark die Arbeit auf der 1. Internationalen Ausstellung im Münchner Glaspalast zwischen Hunderten Werken gediegener Langeweile herausstach. Der niederbayerische Blender war 1889 die Sensation, erhielt eine Goldmedaille und zudem 60 000 Goldmark von Prinzregent Luitpold, was nach heutigem Geldwert etwa 486.000 Euro entspricht. Der Glanz blieb Stucks Sache. Seine vor Energie vibrierenden Arbeiten bannten die Umbrüche der Zeit scheinbar in tradierte Muster, aber ihr abstrakter Hintergrund deutet schon voraus auf die Moderne. Seine Schüler, darunter Josef Albers, Giorgio de Chirico, Willi Geiger, Wassily Kandinsky und Paul Klee explorieren vollends das Geistige in der Kunst, während er selbst als Akademieprofessor eine Brücke schlug zwischen der alten Welt und einer neuen, völlig ungewissen Zeit rasenden Fortschritts.

„Porträt einer Mainzerin“ um 1914. Ihr violettes Kleid leuchtet vor einer angedeuteten Landschaft. Der goldene...

„Porträt einer Mainzerin“ um 1914. Ihr violettes Kleid leuchtet vor einer angedeuteten Landschaft. Der goldene Wellenrahmen stammt von Stuck und wurde von ihm höchstselbst übermalt.

JANN AVERWERSER

Vermächtnis für die Stadt München

In den historischen Räumen zu sehen sind Werke aus Stucks Frühzeit: Das zeitgleich entstandene Duo „Phantastische Jagd“ von 1890 und die „Vision des Hl. Hubertus“ lässt erahnen, womit Stuck spielte. Er wollte Mythos und Moderne verschmelzen, ebenso das Heilige und das Profane. Im ehemaligen Boudoir seiner Frau hängt das Vermächtnis einer Münchner Sammlerin an das Museum: das „Porträt einer Mainzerin“ um 1914. Ihr violettes Kleid leuchtet vor einer angedeuteten Landschaft. Der goldene Wellenrahmen stammt von Stuck und wurde von ihm höchstselbst übermalt. Jahrzehntelang war das Bild nur als Schwarz-Weiß-Reproduktion bekannt. Nun zeigt es sich in seiner ganzen Pracht, als changierende Farbkomposition wie aus einem fiebrigen Traum.

Zur „Langen Nacht der Münchner Museen“ ist die Villa Stuck am Samstag, 18. Oktober, bis ein Uhr nachts geöffnet. Zu sehen sind Louise Giovanelli „A Song of Ascents“ und Chicks on Speed & Collaborators „Utopia“.

Die gemalte Leinwand im historischen Atelier. Was steckt wohl dahinter Louise Giovanelli „A Song of Ascents“.

Die gemalte Leinwand im historischen Atelier. Was steckt wohl dahinter? Louise Giovanelli „A Song of Ascents“.

Oliver Herwig
Besondere Bettstatt. Installation der Chicks on Speed amp Collaborators für „Utopia“.

Besondere Bettstatt. Installation der Chicks on Speed & Collaborators für „Utopia“.

Oliver Herwig