Terrazzo ist der neue Design-Trend: Erfahren Sie alles, was Sie über das Material wissen müssen

Terrazzo ist zurück – aber war er je weg? Eine Liebeserklärung an einen jahrhundertealten Baustoff, der heute seine Renaissance erlebt
Bei Studio Wowowa reicht der Terrazzo  bis zur Decke. Das Top der Kücheninsel ist eine Nuance gelber.
Bei Studio Wowowa reicht der Terrazzo (in Form vorgefertigter Platten) bis zur Decke. Das Top der Kücheninsel ist eine Nuance gelber.

Lange war Terrazzo verpönt – dank Design-Größen wie Max Lamb feiert der fugenlosen Bodenbelag heute sein Comeback.

Momentan wird viel Forschung in neue Materialien gesteckt, in „Baumaterialien der Zukunft“, wie man sie gerne nennt. Pilze werden als Dämmstoff verwendet; Leder gibt es mittlerweile auch vegan und besteht nun aus pflan­zenbasierten Stoffen wie Ananas oder Kaktus. Gleich­zeitig jedoch erlebt viel vermeintlich Altes sein Comeback, sei es das Rauchglas der 70er oder der noch vor Kurzem notorisch gering geschätzte Teppich­boden. Ähnlich wieder auf dem Vormarsch ist Terrazzo: ein fugenloser Bodenbelag, der aus Bindemitteln (meist Kalk oder Zement) und bunt eingestreuten Gesteinskörnern besteht, die plan geschliffen werden.

Terrazzoboden in braun beige und grün mit antikem Stuhl und Kamin

Seine Blüte erlebte Terrazzo im Venedig des 16. bis 18. Jahrhunderts, wo er als mondäner Bodenbelag diente.

Matthieu Salvaing

Woher kommt der Terrazzo Trend?

Hergestellt wurde Terrazzo bereits in der Antike, wie Grabungsfunde aus Pompeji und Herculaneum belegen. Später traf man ihn, bis zur distinguierten Eleganz poliert und mit reichen Ornamenten versehen, in den vene­zi­anischen Palazzi des 16. bis 18. Jahrhun­derts. Mit der Zeit wurde der repräsentativ wirkende Bodenbelag dann auch in Deutschland populär, seine Blüte erlebte er in der Gründerzeit, damals galt er als Baumaterial der Stunde. Doch der Höhenflug währte nicht lange, schon die Nüchternheit der Moderne fremdelte mit seinem südlichen Glamour. Im Nachkriegsdeutschland erlebte Ter­razzo noch einmal eine kleine Renaissance, diesmal allerdings nicht als vor Ort aufgebrachter Bodenbelag, sondern in Form von in Massen produzierten Format­platten für Kirchen, Schulen, Ämter und Kran­ken­häuser. Von seinem seither angeschlagenen Ansehen befreit haben ihn Design-Größen wie Max Lamb oder Patricia Urquiola, die sich seines verstaubten Images annahmen und ihn mit frischer Farbgebung und neuen Formen wieder auf Vordermann brachten.

Carlo Scapa neue Terrazzoform moderne Architektur beton Treppe

Ist das Terrazzo? Für den Olivetti-Showroom in Venedig schuf Carlo Scarpa einen Bodenbelag, der traditionellem Ter­razzo so gar nicht ähnlich scheint.

FAI Negozio Olivett

Terrazzo: Ein Allround-Talent mit Unikat-Charakter

Und den neuen Hype hat er sich redlich verdient, schließlich gibt es kaum einen vielseitigeren Werkstoff. „Das ist ja das Besondere an Terrazzo“, betont Stephanie Thatenhorst, Interiordesignerin aus München. „Man kann ihn als Boden einsetzen, für Wandgestaltungen benutzen oder auch nur als Ablagefläche im Nassbereich. Weil er so unempfindlich ist, lässt er sich ohne Weiteres nahezu überall verwenden, sogar im Außenbereich.“

Bunter Terrazzo als Wandbelag und Waschbecken

Warum auf einen Einsatzbereich beschränken, wenn Terrazzo doch so vieles kann? Bei Anthony Authié, Gründer von Zyva Studio, darf „M10“ von Mosaic Factory an Wand und Becken.

Yohann Fontaine

Zudem ist Terrazzo nicht gleich Terrazzo. Als eine Mischung aus Granulat und Bindemittel besitzen letzten Endes jeder Boden und jede Platte einen eigenen Charak­ter in Erscheinungsbild und Zusammensetzung, denn sowohl die Bindung als auch die Körnung kann individuell bestimmt werden. „Früher wurden alte Ziegel oder lokale Steine in den Kalk gestreut, heute sind ganz viele Materialien denkbar“, erklärt Norbert Kummermehr, Geschäftsführer des in Bacharach ansässigen Fliesen- und Natursteinherstellers Via. Gilt Gestein, etwa Marmor oder Granit, nach wie vor als gängigster Zuschlagstoff, so werden mit Glas-Splitt nicht weniger gute Ergebnisse und Qualitäten erreicht. Dabei sei Glas laut Kummermehr ähnlich resistent wie eine Körnung aus Ziegel, Quarz oder Granit und daher besonders geeignet für stark beanspruchte Bereiche, etwa Fußböden oder Arbeitsflächen. „High Heels, Hundekrallen und Feuchtigkeit – alles kein Problem!“

Grüner Terrazzoboden mit Marmor Waschbecken in grün

Marmor und Terrazzo passen nicht zusammen? Und ob! Den Beweise tritt das Interior-Duo Arent &  Pyke im Gästebad ihres Hearth-House-Projekts in Sydney an, wo sie u. a. grünlich grau gespren­kelten Terrazzo mit einer Sockelleiste und einem Waschtisch aus Verde Esmeralda mixten.

Prue Ruscoe

Marmor hingegen ist eine relativ weiche und poröse Gesteinsart und somit anfälliger für Flecken und Kratzer. Das heißt jedoch nicht, dass ein Terrazzo mit aparter Marmor-Körnung nicht als Küchenarbeits­fläche oder gar als Bodenbelag dienen darf. Voraussetzung ist in diesem Fall eine entsprechende Imprägnierung und Pflege der Oberflächen.

Resistenz hin oder her: Eine Sorge, die potenzielle Kund:innen laut Kummermehr oftmals umtreibt, sei die Gefahr, dass Risse entstehen könnten. Vor allem wenn größere Flächen realisiert werden sollen. Ein Aspekt, den er rasch relativiert. „Tritt ein Riss auf, liegt das meist am Untergrund.“ Ein Anlass für Panik sei das aber nicht. „Schadstellen und Risse lassen sich mit einer Mischung, die der alten Substanz gleicht, ohne Weiteres ausbessern. Die wird eingespachtelt, überschliffen und ist optisch vom Original nicht zu unterscheiden.“ Und welches Fundament ist ganz grundsätzlich von Nöten? „Grob gesagt taugt jede tragfähige Basis, etwa auch alle gängigen Estrichböden“, sagt Kummermehr. Ebenfalls kein Problem: eine Fußbodenhei­zung im Beton-Unterbett. Dank seiner hervorragenden Wärmeleitfähigkeit wird der Terrazzo schnell wohlig warm.

Terrazzoboden in verschiedenen Grautönen zur Sichtbarkeit von Stufen

Arent & Pyke setzte ihn in zwei Farbtönen ein, um den Küchen- und Essbereich von Hearth House in Sydney subtil vom Wohnraum zu trennen. Und um Stürzen vorzubeugen.

Prue Ruscoe

Das richtige Match

Es sind sicher nicht nur die lange Lebens­dauer und hohe Strapazierfähigkeit, die Ter­raz­zo wieder aufleben lassen. Vor allem seine schier unendlichen Gestaltungs­mög­lichkeiten machen ihn so beliebt. „Die Farbpalette der Bindemittel ist ebenso uferlos wie die Vielfalt der Zuschläge“, sagt Juliette Arent, die zusammen mit Sarah-Jane Pyke das australische In­te­riordesign-Studio Arent & Pyke führt. „Von Körnungen in neutralen Tönen bis hin zu schimmernden Gesteins­körnern ist alles möglich.“ Das gelte auch für die Art der Streuung. Aktuell sieht man oft Terrazzo, bei dem die Zuschläge weniger sichtbar sind, die Füllmaterialien dafür deutlich mehr. So oder so: Die Größe der Körnung spielt eine entscheidende Rolle für den finalen Look. „Es macht einen Unterschied, ob man ihn mit großer oder kleiner Körnung verlegt“, sagt Thatenhorst. „Während man eine Mikrokörnung kaum wahrnimmt, ziehen große Zuschläge umgehend die Blicke an.“ Eine mittelgroße Körnung (0,5 bis 1 Zentimeter) hingegen wirke schnell unruhig, besonders in gewagter Farbge­bung. Insgesamt rät die Innenarchitektin von allzu wilden Farbkom­bi­na­tionen bei Terrazzo ab, also beispielsweise von rotem Füllmaterial mit eingestreuten grünen und blauen Steinen. Und wie kombiniert man nun das vielfältige Material? Arent und Pyke wissen Rat: in einer Farbfamilie bleiben und Abwechslung schaffen durch Kontraste in der Textur. „Man könnte meinen, Marmor und Terrazzo vertragen sich nicht. Doch das geht einwandfrei!“, betont Pyke. Gleiches gelte für glänzende Zellige- oder matte Mosaik-Fliesen, sofern sie nicht gemustert sind. Überdies harmoniere Terrazzo unglaublich gut mit Messing, egal ob poliert oder brüniert, ergänzt Thatenhorst. „Das Gleiche gilt für Edelstahl und Chrom, auch Samt oder Holz funktionieren super.“ Vor allem elegante Hölzer empfehlen sich, beispielsweise Nussbaum. Marmor, Messing und Samt – das Muster wird schnell klar: Terrazzo braucht Partner mit Niveau.

Die besten Pflegetipps für Terrazzo

Gestalterische Ansatzpunkte in Hinblick auf Terrazzo kennen Sie nun. Doch wie steht es
um die Reinigung und Pflege? Ein kleiner Leitfaden.

Weniger ist mehr

Die allgemeine Pflege ist einfach. Das wichtigste Hilfsmittel bei der Reinigung von Terrazzo ist warmes, mit etwas Schmier-seife versetztes Wasser. Geputzt wird, ganz banal, mit einem Wischmopp oder einem Tuch.

Achtung, Säure

Von chemischen Reinigungsmitteln und Allzweckreinigern ist abzuraten, da sie säurehaltig sind und die Versiegelung des Terrazzos beschädigen können. Vor allem Marmor oder Kalk-stein reagieren empfindlich auf Säure. Flecke sollten daher lieber zu früh als zu spät entfernt werden.

Imprägniert in Bestform

Die richtige Aufbereitung ist das A und O. Bereits bei der Erst­verlegung wird Terrazzo mit einer Imprägnierung behandelt. „Sie verschließt die Kapillaren und verhindert, dass Öle, Fette oder Wasser eindringen“, er­läutert Norbert Kummer­mehr, Ge­schäfts­führer des Fliesen­herstellers Via. Das gilt für drinnen wie draußen. Handelt es sich um einen Boden im Nass­­bereich, sollte zudem sicher­gestellt werden, dass eine Antirutschbehandlung erfolgt.