Das Innenarchitektur-Studio Marcante Testa hat im Piemont ein 300 Quadratmeter großes Haus aus dem 19. Jahrhundert, das einst lediglich als Ferienhaus genutzt wurde, in ein stilvolles Domizil verwandelt.
Saluzzo. Vielen wird der Name dieser mittelalterlichen Kleinstadt im Piemont nichts sagen, doch war sie einst Sitz einer mächtigen Markgrafschaft – bis sie im 16. Jahrhundert zum Schauplatz mehrerer Schlachten zwischen dem Haus Savoyen und Frankreich wurde. Andrea Marcante und Adelaide Testa kennen die Regionalgeschichte dagegen gut: nicht nur, weil ihr Innenarchitektur-Studio in Turin und damit nicht allzu weit entfernt liegt, sondern auch, weil ihr aktuelles Projekt sie mitten ins Herz des historischen Stadtzentrums führte.
Raumwirkung von oben
Das Gebäude, um das es geht, ist allerdings nicht ganz so alt – es scheint aus dem 19. Jahrhundert zu stammen, darauf deuten zumindest das große Deckenfresko und die leuchtend blaue französische Tapete hin, die den Salon schmücken und erstaunlich gut erhalten waren. Die Entdeckung inspirierte das Duo, auf eine Palette von Farbtönen aus jener Epoche zu setzen, um einen roten Faden durch alle Räume des Hauses zu spinnen, die sonst – außer verblassten Malereien an der Decke des Esszimmers – wenig von der Pracht vergangener Zeiten bewahrt hatten. Für die Bauherr:innen stellte das allerdings kein Problem dar, denn sie wünschten sich ohnehin etwas Modernes mitsamt dem entsprechenden Komfort.
Wie Recherche das Hausverständis verbesserte
Marcante Testa wollten den Geist des 300 Quadratmeter großen Hauses und alles, was an sein früheres Leben erinnerte, jedoch nicht einfach ignorieren. So wurden zum Beispiel für die Installation einer Fußbodenheizung die Terrakotta-Fliesen entfernt, aber später in ähnlicher Weise wieder neu verlegt. „Wir sind natürlich keine Historiker oder Restauratoren, aber wir recherchieren viel“, erklärt Adelaide Testa. Dabei fanden sie heraus, dass das Haus zuvor nicht permanent, sondern offenbar nur während der Sommermonate bewohnt wurde. „Ein Ferienhaus impliziert etwas Freies, das hat uns als Inspiration gedient für eine Mischung der Epochen und in Bezug auf die Referenzen, die wir unsererseits hinzugefügt haben. Zum Beispiel sehe ich das Elternschlafzimmer und die Küche ein wenig in den 1960er-Jahren. Nicht im Sinne eines strengen Stilvorbilds, sondern mit Blick darauf, wie man damals Urlaub gemacht hat.“
Zeitgenössische Architektur trifft auf historische Elemente
Die Interiordesigner:innen fanden ihren eigenen Weg, um solche Bezüge subtil anzudeuten. Die Wände nahmen sie sich nach und nach vor, um historische architektonische Elemente herauszuarbeiten und mit zeitgenössischen Akzenten zu verbinden. Die Türrahmen wurden restauriert, aber in aktuellen Tönen von Ressource lackiert. Die Grenzen zwischen dem, was ist, was einmal war und was gewesen sein könnte, ließen sie so raffiniert verschwimmen. Die Höhe eines Möbelstücks, einer Tür oder eines Fensters, die Farbe einer Wand, ihre Materialität – das alles konnte zum Ausgangspunkt für eine fantasievolle Interior-Narration werden.
Szenografische Tricks verleihen den großen Räumen eine besondere Stimmung
Dass Marcante Testa Meister:innen darin sind, Volumina innerhalb von Volumina zu platzieren, kam ihnen bei diesem Projekt sehr zugute. Denn wie kann es gelingen, in einer Residenz mit so großen Räumen wirklich Atmosphäre zu schaffen und zu verhindern, dass sich die einzelnen Möbel im Raum verlieren? Ganz genau, durch szenografische Tricks: hier ein Wandschirm in Form eines Kreissegments, um die Küche abzutrennen und den Essbereich zu definieren; dort ein maßgefertigtes Möbelstück für den Fernseher, um die gefühlten Dimensionen des Wohnzimmers zu verändern; oder ein ornamentaler Metallrahmen (natürlich im Sixties-Look), um den Ankleidebereich des Schlafzimmers herauszustreichen – die Einfälle der beiden waren vielfältig. „Es ist offensichtlich, dass Räume nicht nur durch Wände strukturiert werden können“, bestätigt Andrea Marcante. „Auch durch einen Paravent, eine Farbe oder einen Rahmen. Im Grunde sind unsere stilistischen Entscheidungen immer funktional motiviert: Wie ein Volumen aufgeteilt ist und wie man das verbessern kann, das alles geht sehr konkret von der Architektur aus. Anschließend kann man dann verkleiden, hervorheben, schmücken – aber die ersten Entscheidungen haben immer ganz praktische Gründe. Zuerst ist da der Raum, alles andere folgt später.“
Und im besten Fall entsteht dann jene moderne Magie, die heute die Räume des Hauses belebt – wie auch die große Terrasse. Wer es sich dort auf Jasper Morrisons „Thinking Man’s Chairs“ bequem macht und die Stadt betrachtet, versteht, warum sich Italiener und Franzosen einst so erbittert um Saluzzo gestritten haben.






