Um im Bauhaus-Stil zu entwerfen, musste man nicht am Bauhaus in Dessau gewesen sein – aber es konnte helfen. Alles, was Sie über den Bauhaus-Stil wissen müssen.
Auf Hochglanz polierter Stahl, verchromte Oberflächen, die das Licht zurückwerfen, als sei es lästig: Heute gilt der Bauhaus-Stil schnell als kühl und seelenlos, als klinisch und aseptisch. Was ein gutes Stichwort ist, denn mit ihm ist es wie mit einer Medizin: Die Dosierung macht den Unterschied zwischen nerv und schön. Und wenn man das Ganze einmal aus der historischen Perspektive betrachtet, dann ändert sich sowieso irgendwie alles.
Marcel Breuer hatte heimlich einen Stuhl gebaut, ein Jahr später war das Bauhaus voll davon
Hilfreich ist zum Beispiel ein Blick auf die Website des Möbelherstellers Knoll International, der eine Reihe von Stühlen und Tischen von Marcel Breuer in seinem Sortiment hat. Breuer war nicht nur ehemaliger Bauhaus-Schüler, er erlangte auch Bekanntheit als einer der Erfinder des Stahlrohrmöbels. Viele Jahre danach gab Breuer einem Firmenhistoriker von Knoll ein Interview, in dem er schilderte, wie er darauf kam: „Ich war 23 und ziemlich idealistisch. Damals lernte ich einen jungen Architekten kennen, dem ich von meinem neuen Fahrrad vorschwärmte“, erinnerte sich Breuer. „Ich sagte ihm, wie mich dessen Form faszinierte, da sie so perfekt sei, dass sie sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren kaum verändert habe.“
Der Architekt erwiderte nur: „Hast Du jemals gesehen, wie sie in den Fabriken die Rohre für die Lenker biegen?“ Das sei so leicht, als würden sie Maccaroni machen. Ab dem Moment, so Breuer, experimentierte auch er mit Stahlrohren. Als er heimlich den ersten Sessel zusammengeschraubt hatte, sah ihn Wassily Kandinsky eines Abends in Breuers Atelier und war begeistert. Ein Jahr später war das ganze Bauhaus voll davon.
Der Sessel heißt seinem ersten Fan zu Ehren noch immer „Wassili“ – und was einem diese Anekdote erzählt, ist, was der Bauhaus-Stil früher war: ein Experiment. Ein Wagnis. Das Neueste vom Neuen. Der Inbegriff von Zeitgenossenschaft und Modernität. Der „Wassily-Chair“ ging unter Designerinnen und Architekten um wie ein Lauffeuer. Charlotte Perriand, im Pariser Büro von Le Corbusier zuständig für die Möbelgestaltung, verwendete Stahlrohre für die ikonischen Sessel LC1 und LC3, für das Sofa LC2 und die Liege LC4.
Auch Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe schufen in den Zwanzigerjahren einige Möbel, die seitdem zum Synonym des „Bauhaus“-Stils geworden sind, den „Barcelona-Chair“ oder die auch nach dem Mies-Pavillon auf der Weltausstellung 1929 benannte „Barcelona“-Liege. Die irische Architektin Eileen Gray entwarf ab 1926 für ihr gleichnamiges Haus in Roquebrune-Cap-Martin an der französischen Riviera neben dem berühmten, in der Höhe verstellbaren Beistelltisch „E 1027“ etliche weitere Stahlrohrmöbel, etwa den umwerfend schrägen „Non Conformist Armchair“ oder den knuffigen, ultragemütlichen „Bibendum“-Sessel. Sie alle drei werden heute noch von Classicon produziert.
Der Bauhaus-Stil war nicht unpersönlich, dafür ist die Architektin Eileen Gray das beste Beispiel
Um den Ausdruck „streng“ zu vermeiden, könnte man es vielleicht so formulieren: Eileen Gray hatte exakte Vorstellungen, was sie von sich und anderen erwartete. Ihr Haus an der Riviera wurde in Architektenkreisen bald zu einer Attraktion – sie selbst aber störte es, dass sie dort so viele Besuche erhielt. Und als Le Corbusier die weißen Wände ungefragt mit seinen Malereien „verschönerte“, empfand sie das als Affront und Respektlosigkeit (was man gut verstehen kann). So eignen sich ihre Designs gut dazu, mit dem Vorurteil aufzuräumen, der „Bauhaus“-Stil sei unpersönlich und kalt – Eileen Gray hatte Charakter, sie wollte es nur nicht jedem recht machen.
Auf der anderen Seite haben alle Stücke, seien sie von ihr oder Perriand, von Breuer oder Lilly Reich eines gemeinsam: Sie sind schlank und schnörkellos und kommen auf den Punkt wie ein Satz mit drei Worten. Darin sind sie das genaue Gegenteil dessen, was vor ihnen war: Der Jugendstil – reizend, aber auch verspielt und dezent überdreht. Der Historismus des späten 19. Jahrhunderts – verkopft, bürgerlich und gelehrt bis zur Beliebigkeit. Arts and Crafts aus England: idealistisch und romantisch und leider oft auch ein klein wenig geschwätzig.
In den Zwanzigerjahren, als die alte Ordnung des Feudalismus mit dem Ende des Ersten Weltkrieges endgültig abgewirtschaftet hatte, tat die Nüchternheit des „Bauhaus“-Stils gut. Dass man sich inzwischen – rund einhundert Jahre nach seinem Entstehen – ein bisschen daran sattgesehen hat, ist nicht seine Schuld. Ob er gefällt oder nicht, hängt wie gesagt davon ab, wie man ihn dosiert. Als Einzelstück und Statement-Piece schmückt ein Stahlrohrmöbel noch immer jedes Interieur.





