Leichtbau steht für außergewöhnliche Bauten und spektakuläre Konstruktionen, die mit weniger Materialverbrauch oft viel mehr leisten – ökologisch, ökonomisch und ästhetisch.
Professor Jan Knippers ist einer der wichtigsten Expert:innen in Deutschland, wenn es um Leichtbau geht und lehrt seit einem Vierteljahrhundert am Institute of Building Structures and Structural Design (ITKE) der Universität Stuttgart. Ob transparente Dächer, die kaum ein Gramm zu wiegen scheinen oder Fassaden, die wie Blätter im Wind schwingen: Leichtbau zeigt, dass Schönheit und Nachhaltigkeit keine Gegensätze sind. Der moderne Leichtbau minimiert den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden und wird so zum Treiber der Veränderung.
Ein Experteninterview: Das macht den Leichtbau so ökologisch, ökonomisch und ästhetisch
Was fasziniert Sie am Leichtbau?
Professor Jan Knippers: Leichtbau vermittelt Eleganz, Leichtigkeit und Transparenz. Neben Effizienz schwingt da immer Schönheit mit, und deshalb fasziniert er uns.
Hat sich der Leichtbau seit Frei Otto wirklich entscheidend verbessert?
Für Frei Otto bedeutete Leichtbau im wahrsten Sinne des Wortes leicht bauen, also Bauen mit möglichst geringem Gewicht. Für ihn war das gleichbedeutend mit einem ökologisch bewussten Bauen. Heute sind wir einen Schritt weiter und wissen, dass ein Stadiondach möglicherweise sehr leicht ist, aber wenn es nach der Olympiade nicht genutzt wird und nur ein Berg an mit Kunststoff beschichteten Dachtextilien als Sondermüll hinterlässt, alles andere als im Einklang mit der Natur ist. Heute gibt es ein allgemeines Verständnis dafür, dass wir den Begriff „Leichtbau“ umfassender definieren müssen: als Bauen mit einem möglichst „leichten“ Fußabdruck. Nicht nur das Gewicht der Materialien, sondern auch ihre Beschaffenheit und ihre Lebensdauer spielen dabei eine Rolle. Eine Konstruktion aus Holz oder Bambus mag schwerer sein als ein textiles Dach, ist aber aus ökologischer Sicht unter Umständen „leichter“.
Sie definieren Leichtbau also moderner gegenüber Frei Otto. Welche seiner Ikonen hat in Ihren Augen Bestand?
Natürlich die Olympischen Anlagen in München, die unglaublich viel Innovationen angestoßen haben. Auch in Bereichen, die man gar nicht unbedingt sieht, also bei Berechnungsverfahren und Formfindungsmethoden. Trotzdem sind sie alles andere als perfekt. Das Dach ist zu hoch, man sitzt im Regen. Und der Mast ist aus statischer Sicht zu dick, die Details eher klobig. Aber sie strahlen eben diesen Pioniergeist aus, diese Frische, die entsteht, wenn man etwas zum ersten Mal versucht.
„Sie wussten gar nicht, ob das Olympiadach überhaupt baubar ist.“
Diese Frische hat auch etwas provozierend Unangepasstes.
Eigentlich unvorstellbar, dass dieser Entwurf den ersten Preis erhielt. Im Juryprotokoll stand, dass sie gar nicht wussten, ob dieses Dach überhaupt baubar ist. Heute muss man für einen Planungsauftrag für einen Kindergarten nachweisen, dass man schon vorher zehn andere Kindergärten gebaut hat. Das ist eine völlig verrückte Situation. Das zeigt auch, welchen kulturellen Wandel wir in Deutschland durchgemacht haben. Damals saßen in der Jury Franz-Josef Strauß und Hans-Jochen Vogel. Und trotzdem gab es Pioniergeist, sie wollten der Welt etwas Neues zeigen. Und das finde ich absolut faszinierend. Diese Frische spürt man förmlich und sieht sie dem Dach auch an.
Frei Ottos enorme Wirkung beruhte darauf, ...
... dass er einen radikal neuen Ansatz zum architektonischen Entwerfen postulierte: Formen, die sich aus physikalischen Gesetzmäßigkeiten von selbst ergeben und nicht dem Gestaltungswillen eines Architekten entspringen. Damit stand er im radikalen Gegensatz zum Geniekult der Moderne und dem Bauen für das Dritte Reich. Seine Seifenblasen, hängende Netze und gespannte Membranen haben jedoch einen wesentlichen Nachteil: die Form ist aus der Physik determiniert und lässt sich nur bedingt an spezielle räumliche und funktionale Anforderungen anpassen, wie das eigentlich bei fast jedem Bauwerk erforderlich ist. So ist zu erklären, dass seine Ideen eine enorme Wirkung erzielt haben und sich viele Kolleginnen und Kollegen bis heute auf ihn berufen, dass seine Ideen aber in der alltäglichen, uns umgebenden bebauten Umwelt kaum zu finden sind.
Leichtbau war immer etwas jenseits der Konvention. Vermissen Sie diesen Mut heute?
Natürlich. Eine ähnliche Geschichte wie zu den olympischen Anlagen in München ließe sich für die Multihalle Mannheim erzählen, auch wenn sie nicht ganz so prominent ist. Die Wettbewerbszeichnungen, die zu Beginn der 1970er Jahre eingereicht worden sind, zeigen irgendwelche Luftballons, die da rumfliegen (lacht). Aus ingenieurtechnischer Perspektive ist die Multihalle in Mannheim fast noch mutiger als das Olympiadach in München. Ihre unglaublich dünne Gitterschale entwickelt eine gigantische Spannweite. Da wurde nur eine Vision skizziert und die Entscheidungsträger haben gesagt: Wir wollen diese Vision. Tatsächlich wollte man der Welt ein neues Bild von Deutschland zeigen. Heute geht es eher darum, das zu bewahren, was wir erreicht haben. Wir betreiben Besitzstandswahrung. Wo ist da der Versuch, mit Architektur einen gesellschaftlichen Aufbruch zu vermitteln, eine Vision der Zukunft für unser Land?
Welches Bauwerk macht sie trotzdem optimistisch?
Lassen Sie mich überlegen. Vielleicht der Bahnhof in Stuttgart.
Der befeindet wurde ohne Ende und zu einem Symbol einer Republik wurde, der nur noch wenig gelingt.
Das war in der Tat eine schwierige Diskussion, die sich aber weniger an der Architektur des Bahnhofs entzündet hat. Ich hoffe, dass der fertige Bahnhof ein Erfolg wird und der Beitrag Frei Ottos zur Formfindung nicht in Vergessenheit gerät.
Lässt sich Leichtbau mit Komfort verbinden – beispielsweise bei Privatbauten?
Das ist in der Tat ein kritischer Punkt: die gängigen Strategien für Raumkomfort beruhen auf dem Prinzip der Masse. Es ergibt keinen Sinn, ein leichtes Dach oder eine leichte Geschossdecke zu bauen, wenn ich anschließend einen schweren Estrich für den Schallschutz oder als thermische Speichermasse aufbringe. Raumkomfort ist nicht nur für den klassischen Leichtbau eine Herausforderung, sondern auch für den modernen Holzbau. Hier ist die Forschung gefragt, neue Lösungen zu entwickeln, etwa integrierte Schwingungsdämpfer oder leichte, effektive und kostengünstige thermische Speicher.
„Dem Holzbau neue Gestaltungsspielräume zu eröffnen, die über streng gerasterte Kisten hinaus gehen.“
Die Verbindung von Holzbau und Leichtbau erschließt sich vielleicht nicht jedem.
Wir versuchen in unseren eigenen Arbeiten dem Holzbau neue Gestaltungsspielräume zu eröffnen, die über streng gerasterte Kisten hinaus gehen, die den Holzbau derzeit prägen. Neue Gestaltungsspielräume, indem wir mit der wertvollen und knappen Ressource Holz sorgfältig und sparsam umgehen und den Materialverbrauch im Vergleich zur derzeit vorherrschenden Massivholzbauweise drastisch reduzieren. Holz ist eine knappe Ressource, die nicht überall auf der Welt verfügbar ist. Wir forschen auch mit anderen biobasierten Baustoffen, die mineralische und metallische Baustoffe ersetzen können. Das machen wir mit unseren Konstruktionen aus Flachsfasern, andere beschäftigen sich mit Pilzstrukturen und mit anderen Themen.
Wie gehen Sie vor? Beginnen Sie mit einer Idee, mit einem Bild? Beginnen Sie mit einem Material?
Wir fühlen uns Frei Ottos Ansatz sehr nahe. Jedes Projekt muss als Bauwerk überzeugend, ja eindrucksvoll sein. Und es muss gleichzeitig eine wissenschaftliche Idee umsetzen. Wir versuchen, neue Bau- und Materialsysteme in innovative, überraschende Konstruktionen umzusetzen. Zugleich nutzen wir die Formgebung, um den Materialverbrauch zu reduzieren.
Kommen wir dank Digitalisierung und Leichtbau wieder zu Gewölben zurück?
Genau, über die Digitalisierung können wir im Grunde zurück zu lastangepassten Formen. Derzeit bauen wir im Holzbau Massivkonstruktion mit Brettstapel- oder Brettsperrholzdecken, kistenartige Strukturen. Aber Holz ist eine zu wertvolle Ressource. Wir müssen durch die Formgebung Material reduzieren und den Aufwand in der Herstellung zumindest teilweise auf eine digitale, robotische, computergestützte Fertigung verlagern. Es geht nicht darum, den handwerklichen Beitrag von Menschen zu ersetzen, sondern ihn zu unterstützen und Aufgaben abzunehmen, die mühsam und gefährlich sind.
Abschließend: Hat der Leichtbau die Phase der Sonderlösungen und Pavillons hinter sich und wird die Zukunft prägen?
Leichtbau im Sinne von sorgfältigerem Umgang mit knappen Ressourcen ist ein Gebot unserer Zeit und wird das Bauen langfristig prägen.





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