Die Universität Stuttgart ist auf innovative Bauten spezialisiert. Der Wangen Turm demonstriert, dass mit Holz ökologisch und effizient gebaut werden kann.
Ein raffiniertes System aus zwölf großen hölzernen Turmbauteilen und schlanken Stahlverbindern lässt den geschwungenen Wangen Turm 23 Meter in die Höhe schrauben. Während des Bauvorgangs wurde das natürliche Verhalten vom Holz bereits vor dem Trocknen der großen Brettsperrholzsegmente berücksichtigt und mit einberechnet, so dass das sich hölzerne Konstrukt im Laufe der Zeit an seine eigentliche Zielform von selbst angepasst hat. Das Projekt entstand durch das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung und dem Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart, die sich unter anderem mit computergesteuertem Planen mit Bionik befassen.
Ein bionischer Turm als Wahrzeichen von Wangen
Wer Fussili mag, kann sich die Form des Wangen Turms schon ziemlich gut vorstellen. Hier schraubt sich Holz in die Höhe, als wäre der Bau einer jener Transformer, die Hollywood auf die Leinwand schickt, nur dass dazu weder Metalloberflächen verbogen noch Teile neu zusammengesetzt werden mussten, sondern Holz seiner ureigensten Natur folgt. Wie ein Fichtenzapfen, dessen Schuppen auf wechselnde Luftfeuchte antworten, sich also bei Trockenheit öffnen, war die endgültige Form der zwölf großen Brettsperrholzsegmente (BSP) während ihrer Trocknung im Werk bereits berechnet. Expertinnen sprechen von einer „vorgegebenen Zielkrümmung“ der gerade mal 130 Millimeter starken Bauteile. Dank angewandter Bionik entstand ein beeindruckender, 23 Meter hoher Aussichtsturm als Wahrzeichen der Landesgartenschau Wangen.
Struktur als Skulptur
Die weltweit „erste in voller Höhe begehbare Struktur, die tragende selbstformende Holzbauteile verwendet“, kommt aus gutem Hause. Schon seit Jahren ist die Universität Stuttgart abonniert auf Pavillons und Bauten, die sich an der Grenze dessen bewegen, was heute überhaupt gebaut werden kann. Möglichst wenig Material lautet der Ansatz. Oder besser: Baustoffe so einsetzen, dass sie maximal wirksam werden. Dafür sorgt ein Exzellenzcluster mit dem sperrigen Titel „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC).“ In Wangen bewiesen die Stuttgarter erneut: Sie haben den Dreh raus.
Mit der Hand am Holz
Der Aufstieg zur Aussichtsplattform wird zum Erlebnis. Über 113 Stufen entfaltet sich ein dynamischer Raum. Licht und Schatten fließen über die gekrümmten Holzflächen und lassen sie plastisch hervortreten, während die Hand versucht ist, über das Holz zu streichen, um den Bau tatsächlich zu begreifen. Oben angekommen, öffnet sich ein Panoramablick über Wangen, die Argen-Auen und die Allgäuer Alpen. Die geschwungene Oberkante des Turms richtet den Blick gezielt auf markante Punkte. Die beindruckende Skulptur lässt aber nicht nur Ausblicke auf das Westallgäu zu, sondern gibt vor allem einen Eindruck von dem, was da noch kommt an intelligenter Architektur, die mit natürlichen Ressourcen arbeitet und lokale Materialien sowie Traditionen mit Bionik und computergesteuerter Planung verbindet.
Computergenaue Herstellung
Alle BSP-Bauteile bestehen aus einheimischem Fichtenholz. Die Krümmung der Platten wurde genau berechnet, bevor sie im Werk einem kontrollierten Trocknungsprozess unterzogen wurden, bei dem sich die Paneele „von selbst“ in ihre finale Form bogen. Was wie ein Zaubertrick klingt, ist Teil einer neuen Architekturhaltung, das Wissen ganz unterschiedlicher Gebiete nutzt, also Fortschritte der Material- und Forstwirtschaft mit digitalen Entwurfs- und Simulationsmethoden verbindet. Die „ressourceneffiziente, formaktive Holzstruktur“ feiert die natürlichen Eigenschaften des Holzes selbst. Geometrie und Statik bedingen sich. Die zwölf großen Turmbauteile und die schlanken Stahlverbinder wurden im Werk vormontiert, was die Bauzeit vor Ort extrem verkürzte. In Wangen selbst wurde nur noch das Fundament angelegt und die Segmente der Spindeltreppe sowie die Aussichtsplattform von oben eingehoben. Verkleidet ist der Turm mit 168 Lärchenholzpaneelen.
Der Wangen Turm zeigt eine neue Haltung: Er geht nicht nur sorgsam mit natürlichen Ressourcen um, er zeigt, dass die Grenzen des Traditionsmaterials Holz noch lange nicht erreicht sind. Dank der klugen Verbindung von Forschung, Handwerk und computerbasierter Planung und Vorfertigung führt der Wangen Turm vor Augen, dass gerade „effizientes, ökologisches und zugleich regionales Bauen“ eine große Zukunft hat. Das Exzellenzcluster IntCDC in Stuttgart hat noch einiges vor.



