Gründächer wirken sich positiv auf Mensch, Tier und Natur aus. Weshalb sind Dachbegrünungen in unseren Städten dann immer noch so selten anzutreffen?
Vor 50 Jahren erinnerten Bäume auf Häusern eher an apokalyptische Filmszenarien, in denen sich die Natur die Städte zurückerobert. Die Sache mit der Apokalypse ist uns mittlerweile deutlich näher gerückt – die globale Klimaerwärmung ist das konkurrenzlos größte Problem unserer Zeit. Anstrengungen, den drohenden Klimakollaps aufzuhalten, gibt es mittlerweile – mehr oder weniger wirkungsvoll und konsequent – an vielen Stellen. Ein wirksames und noch wenig verbreitetes Mittel sind „grüne Dächer“, die den städtischen Wärmeinseleffekt lindern können und eine wichtige Maßnahme zum Aufbau einer temperaturregulierten Stadt darstellen. Der prozentuale Anteil an begrünten Dächer steigt in Deutschland jedes Jahr, dennoch machen ungenutzte Flächen noch über 90 Prozent aus. Dabei gilt das Dach als Vorreiter in puncto Begrünung: In Basel ist dies sogar im Gesetz verankert, Österreich hat mittlerweile ganze Wälder auf seinen Hundertwasser-Gebäuden stehen. In Deutschland ist Hamburg vorne dran – mindestens 70 Prozent der Neubauten und sanierungsbedürftigen Dächer sollen hier in Zukunft begrünt werden. Ein besonders spektakuläres Beispiel für die Umnutzung leerer Dachflächen ist der Grüne Bunker auf dem Heiligengeistfeld auf St. Pauli – eine Stadtoase in 50 Meter Höhe, die man über einen bepflanzten „Bergpfad“ inklusive Panoramablick erreicht.
Seiner Zeit voraus: Friedensreich Hundertwasser und seine Gründächer
Schon vor über 50 Jahren war sich der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser in einer Rede sicher, dass es irgendwann ein Gesetz geben werde, das die Begrünung von Dächern vorschreibt. Damals wurde er noch als „Öko“ belächelt, denn seine Vision von Bäumen, die durch meterdicke Humus-Schichten auf Dächern wachsen, klang wie die Erzählung aus einem Fabelreich. Heute erheben sich von den Dächern der Hundertwasser-Häuser tatsächlich ganze Wälder in den Himmel und dienen im urbanen Umfeld als üppig grünes Vorbild. Je älter die bepflanzten Gebäude werden und je höher die Bäume wachsen, desto deutlicher wird die Schönheit der grünen Dächer im Zusammenspiel mit der Architektur von Hundertwasser.
Dachbegrünung ist die Zukunft der Städte
Die Vorteile von begrünten Dächern sind zahlreich. Gründächer können etwa zu einem besseren Regenwassermanagement beitragen und den Effekt städtischer Wärmeinseln vermindern, da die Pflanzen während der heißen Sommermonate eine kühlende Wirkung haben. Auch gegen Smogbildung können grüne Dächer erstaunlich wirksam sein, weil die Pflanzen durch Photosynthese die Luftqualität verbessern. Da begrünte Dächer einen zusätzlichen Schutz gegen die Sonneneinstrahlung bieten und isolierend wirken, können Sie auch den Energiebedarf für die Temperaturregulierung eines Gebäudes senken, denn normale Dächer haben im Winter den größten Wärmeverlust und heizen sich im Sommer besonders auf. Je nach Design können Dachgärten auch eine Vielzahl von Pflanzen und Tierarten beherbergen, und das wirkt sich letztlich positiv auf alle Ökosysteme aus. Auch Bienen und andere Bestäuber werden so bei ihrer entscheidenden Arbeit unterstützt. Nicht zu vergessen ist auch, dass die visuelle und ökologische Vielfalt sich insgesamt positiv auf das gemeinschaftliche und psychologische Wohlbefinden der Stadtbewohner:innen auswirken kann. Und schließlich: Mehr Grün sieht auch einfach schön aus und bereichert die Betonwüsten der Städte um ein Stück natürliches Leben.
Voraussetzungen für ein grünes Dach
Ein Dachgarten lässt sich theoretisch auf beinahe jedem (flachen) Gebäude realisieren, egal ob auf dem Ein- oder Mehrfamilienhaus, einem Gewerbeobjekt, Shopping-Center oder auch einem ehemaligen Parkhaus. Wichtig ist natürlich eine professionelle Begutachtung der baulichen Voraussetzungen: Wenn Statik, Absturzsicherung und Budget passen, lassen sich auf einem Dach Begrünungen und andere Nutzungsformen anlegen. Dafür gibt es in Deutschland sogar eigene Förderprogramme (über die Baureferate) und -kredite, etwa über einen KfW-Kredit. Der Standort sollte dabei genau untersucht werden: Himmelsrichtung und Verschattung müssen bei der Planung bedacht werden, so dass die Pflanzen ideal wachsen und gedeihen. Vor allem für die Phase des Anwachsens und für Trockenperioden sollte in Dachnähe außerdem ein Wasseranschluss vorhanden sein, damit bei Bedarf eine Zusatz-Bewässerung erfolgen kann.
Die verschiedenen Formen der Dachbegrünung
Es gibt verschiedene Formen und Varianten von Dachbegrünung, und nur Fachplaner:innen können letztlich bestimmen, welche davon sich sinnvoll umsetzen lassen. Grundsätzlich gibt es zwei wesentliche Formen der Dachbegrünung, zwischen denen man unterscheidet: extensiv und intensiv genutzte Dächer.
Die extensive Begrünung ist eine relativ einfache Form der Bepflanzung mit einem schmalen Aufbau, der für trockenheitstolerante Pflanzen mit relativ geringem Pflegeaufwand geeignet ist. Die bepflanzten Flächen werden nur zur Pflege betreten und bieten dadurch nicht die Aufenthaltsqualität eines Dachgartens, dafür sind die Voraussetzungen hier die geringsten.
Intensiv begrünte Dächer sind begehbare Dachgärten. Der sogenannte Gründach-Aufbau braucht ausreichend Erdreich und ist damit auch schwerer. Er ist die Grundlage für Pflanzen und Nutzungen, wie wir sie auch vom ebenerdigen Garten her kennen: Hier sind alle Formen von Grünflächen wie Staudenbeete, Rasenflächen, Sträucher und sogar Kleinbäume möglich. Der Pflegeaufwand ist dementsprechend auch größer und die Statik des Daches muss die schwere Anlage tragen können.
11 Beispiele für spektakuläre Dachgärten
Besonders spannend ist die Dachbegrünung, wenn sie als integraler Teil einer anspruchsvollen Architektur verstanden wird. Grüne Oasen für ein neues Arbeiten und/oder Wohnen unter (!) Bäumen und bienenfreundlichere Städte werden so zur Realität. Wir haben elf inspirierende Architekturprojekte mit verschiedenen Formen von Dachbegrünung gesammelt und zeigen Beispiele, wie auch Urban Farming in luftiger Höhe funktioniert.
Das Regional Services Center der LOTT Clean Water Alliance in Olympia, Washington, wurde von Miller Hull Partnership entworfen und verfügt über großflächige begrünte Dächer. Diese Dächer werden mit wiederaufbereitetem Wasser bewässert, was den Verbrauch von Trinkwasser deutlich reduziert. Die Dachbegrünung trägt außerdem dazu bei, Regenwasser zurückzuhalten und verbessert die thermische Leistung des Gebäudes – so kann Hitze im Sommer abgefangen und Temperaturschwankungen reguliert werden. Insgesamt ist der Einsatz grüner Dächer ein zentraler Baustein, mit dem das Gebäude die strengen Anforderungen einer LEED-Platinum-Zertifizierung erfüllt.
Die School of Art, Design and Media (ADM) der Nanyang Technological University (NTU) in Singapur ist eine renommierte Bildungseinrichtung für Kunst, Design und Medien. Der architektonisch markante Gebäudekomplex wurde von C.P.G. Consultants in Zusammenarbeit mit dem Architekten Lee Cheng Wee entworfen und besteht aus drei geschwungenen, miteinander verbundenen Baukörpern. Charakteristisch sind die weitläufigen, begehbaren Gründächer, die sich organisch in die umliegende, bewaldete Hügellandschaft einfügen und so die Vision eines „Campus im Garten“ verkörpern.
Das Biesbosch-Museum befindet sich im Nationalpark De Biesbosch, in der Nähe von Dordrecht in den Niederlanden. Das Museum wurde in einem bestehenden Gebäude umgebaut und erweitert. Dabei behielt das Architekturbüro Studio Marco Vermeulen die charakteristische sechseckige Struktur des ursprünglichen Gebäudes bei und ergänzte einen neuen Flügel, der einen Blick auf den Gezeitenpark sowie die umliegenden Wasserwege eröffnet. Durch diese Erweiterung ist das Museum heute von Wasser umgeben und liegt auf einer Art Insel, die die besondere Lage im Nationalpark unterstreicht. Die Dächer des Museums sind teilweise mit einer Mischung aus Kräutern und Gräsern begrünt, was die Verbindung zur natürlichen Umgebung verstärkt.
Der Architekt Renzo Piano ließ sich bei der Gestaltung des neuen Gebäudes der California Academy of Sciences, das 2008 eröffnet wurde, von der natürlichen Umgebung des Golden Gate Parks und den sanften Hügeln von San Francisco inspirieren. Das Dach erstreckt sich über circa 10.000 Quadratmeter und ist mit rund 1,7 Millionen einheimischen Pflanzen bepflanzt. Es handelt sich um ein grünes Dach, das verschiedene Ökosysteme der Region widerspiegelt und die Biodiversität fördert. Das Gebäude wurde mit der höchsten Auszeichnung im Rahmen des LEED-Programms (LEED Platinum) zertifiziert. Das Büro von Piano arbeitete bei der Gestaltung des Gründachs eng mit Rana Creek Living Architecture zusammen. Das Dach beherbergt außerdem Sonnenkollektoren zur Erzeugung erneuerbarer Energie und Wetterstationen. Darüber hinaus dient das Dach als lebendiges Freiluft-Klassenzimmer.
Im Wohnviertel Putuo im Nordwesten von Shanghai steht ein spektakulärer Wohnbau, der an einen terrassenförmig angelegten Berg erinnert und über und über mit Bäumen bedeckt ist. Schlanke Säulen tragen riesige Pflanzenkübel, sodass es wirkt, als ob grüne Triebe durch das Gebäude hindurchsprössen. Ein regionaler, biodiverser Mix aus Sträuchern, Hängepflanzen, Laub- und immergrünen Bäumen lässt dabei das Aussehen übers Jahr hinweg immer wieder anders erscheinen – ganz wie bei einem echten Berghang eben.
Spektakulär vor allem in seiner Funktion ist das Gründach-System von Living Roofs in Asheville. Es vereint gleich mehrere Umweltvorteile, indem es Regenwasser sammelt und damit einen Teil des Wasserverbrauchs im Wohnhaus darunter abdeckt, die Artenvielfalt fördert und den städtischen Wärmeinseleffekt ausgleicht. Die Pflanzenarten wurden so ausgewählt, dass sie einheimische Bestäuber und Vogelarten unterstützen. Die Grundlage ist eine Wildblumenwiese (in deutlichen Kontrast zur Geradlinigkeit des Baus darunter), mittelhohe Pflanzen lockern das Dachgrün auf und machen es auch von der Straße aus sichtbar.
Das Konzept dieses Einfamilienhauses in Vietnam besteht darin, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen wie in einem Wald leben können. Das Grün in den Fassadenöffnungen und auf dem Dach wirft reizvolle Schatten auf die Betonfassade, wodurch sich das Erscheinungsbild des Gebäudes ständig verändert. Die Ha Long Villa in Vietnam ist einer der Prototypen des „House for Trees“-Projekts, das Grünflächen in die Stadt zurückzubringen versucht und das Leben in der Stadt mit dem im Grünen verbinden soll. Umsetzbar ist das Konzept in seiner aktuellen Form vor allem in tropischen Klimaregionen.
Auf einem 110 Jahre alten Fabrikgebäude in Lower Manhattan entstand ein Penthouse mit der Qualität einer von einem eigenen Garten umgebenen Villa. Dafür wurden die Dachkonstruktion und die Tragbalken des ursprünglichen Gebäudes verstärkt, um die höhere Eigenlast tragen zu können. Durch Terrassen, Rasenflächen, Pflanzenbeete, einen Fischteich und einen blühenden Gemüsegarten ist das Haus mit dem Außen verbunden. Die Gartengestaltung von Goode Green lebt vor allem von einheimischen Gräsern und Wildblumen; ein Bienenvolk und sogar Hühner gehören auch dazu.
Ein Bürogebäude in Chelsea wurde unter anderem durch seine Nähe zur begrünten High Line inspiriert. Die visuelle und physische Verbindung zur Natur stellt hier eine Reihe von intensiv begrünten Terrassen her, die die Büroumgebung dahinter um wohltuende Ausblicke bereichern. Geschwungene Pflanzengefäße und wilde Gärten, die mit Holzterrassen und gepflasterten Flächen durchsetzt sind, bieten außerdem flexibel nutzbare Veranstaltungsflächen.
Die absolute Krönung einer Garage ist das blühende Sedumdach. Mit einem tiefen Pflanzenbeet, einem integrierten Bewässerungssystem und natürlicher Drainage bietet es Platz für eine Vielzahl auch großer einheimischer Pflanzen und Gräser. Über mehrere kleine Terrassen hinweg geht die Bepflanzung von hier in den Innenhof über.
Die riesige Dachfläche der Moynihan Train Hall in Manhattan erweitert das Konzept des neuen Arbeitens für ein multinationales Technologieunternehmen. Tagungs- und Veranstaltungsräume sind in eine üppige Dachlandschaft eingebettet; große Rasenflächen, Arbeitsplätze im Freien und Besprechungskabinen ermöglichen verschiedenste Formen des Zusammenkommens, Lernens und Arbeitens. Inspiriert von dem historischen Bau werden bei der Gestaltung Prinzipien der Beaux-Arts-Architektur mit Gartenräumen, Baumalleen und modernen formalen Geometrien zusammengeführt.
Urban Farming über den Dächern der Stadt
Eine besonders nachhaltige Möglichkeit, extrem große Flachdächer wie die eines Shopping Centers, eines Parkhauses oder eines anderen großen Gebäudekomplexes nutzbar zu machen, ist Urban Farming. Das kann den ökologischen Fußabdruck einer Gemeinde durch die Schaffung einer eigenen lokalen Lebensmittelproduktion sogar noch weiter verringern. Obst und Gemüse werden in Töpfen, Trögen oder direkt in aufgeschüttete Erde gepflanzt. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern kann obendrein noch Freude (und reiche Erträge) bringen. Derartige Projekte stärken die Gemeinschaft, fördern das Gefühl der Selbstständigkeit und verbessern auch gleich das Nahrungsmittelangebot.
Der Green Cloud Garden ist als öffentlicher Raum konzipiert: Jeder kann nach Anmeldung an der Rezeption einfach auf das Dach steigen. Gedacht ist das Projekt in Shenzen für verschiedene Gemeinschaftsaktivitäten, die Förderung von Naturerziehung und eines nachhaltigen Lebensstils. Auf der sogenannten Mietfarm können die Stadtbewohner:innen sich um ein privat bewirtschaftetes Feld von etwa einem Quadratmeter bestehend aus vier Pflanzenkästen bewerben und dieses dann selbstständig nutzen.
ØsterGro wurde 2014 auf dem Dach eines alten Auto-Auktionshauses in Kopenhagen gegründet. Die Dachfarm umfasst 600 Quadratmeter mit Feldern für Bio-Gemüse, Obst, Kräuter und essbare Blumen, ein Gewächshaus, einen Hühnerstall und drei Bienenstöcke. Die Mitglieder erhalten nicht nur ihre wöchentliche Ernte von der Dachterrasse, sondern können die frischen Produkte auch im Restaurant „Gro Spiseri“ genießen, wo die Köche die frische Ernte in köstliche Gerichte verwandeln.
Teils zuerst erschienen bei AD US.

















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