Holzhäuser in der Stadt? Warum gerade in Berlin so viele Holzbauten entstehen

Der gute, alte Holzbau erlebt im Rahmen der grünen Bauwende eine große Renaissance. Mit neuesten Technologien und angepassten Bauvorschriften entsteht eine neue Ästhetik – 7 Holzhäuser in Berlin zeigen, wohin diese Reise geht
Die Holzfassade vom Haus2 am Holzmarkt in BerlinMitte ist leuchtend rot gestrichen.
Jan Bitter

Der Holzbau erlebt im Städtebau nach mehr als 150 Jahren ein regelrechtes Revival. Berlin ist dabei Vorreiter im neuartigen Bauen mit Holz. 7 Holzhäuser als Paradebeispiel

Die Moderne im 20. Jahrhundert hatte eine starke Aversion gegen Holz und eine ausgeprägte Vorliebe für Beton. Die extreme Ablehnung von Holz hatte Gründe: Noch 1871 hatte ein Großfeuer zum Beispiel die Innenstadt von Chicago vollständig zerstört. Sie bestand hauptsächlich aus Holzhäusern. Beim anschließenden Wiederaufbau setzte man auf Beton, Eisen und Glas. Chicago gilt seitdem als erste moderne Stadt der USA – und den Baustoff Holz begleitete seitdem und bis heute weltweit die Angst vor dem nächsten Brand. Erst zur jüngsten Jahrtausendwende scheint die Menschheit diese Angst zu überwinden. Die Gründe sind erhebliche technologische Fortschritte im Holzbau, die sowohl die Tragfähigkeit als auch seine Feuerbeständigkeit exponentiell verbessert haben, als auch die omnipräsente Klimakrise. Rund 40 Prozent aller vom Menschen verursachten Co2-Emissionen geht auf die Herstellung, den Betrieb und die Entsorgung von Gebäuden zurück. Auf der Suche nach neuen, umweltverträglicheren Abläufen hat die Bauwirtschaft das uralte Baumaterial Holz neu entdeckt. Im Wohnungsbau in Deutschland liegt der Anteil an Holzbauprojekten bereits bei 20 Prozent und auch der Bürobau zieht langsam nach. Wer nun denkt, diese Holzrenaissance würde sich vor allem auf dem Lande abspielen, der befindet sich, nun ja, auf dem Holzweg. Mit dem Bild der heimeligen Holzhütte mit Geranien am Holzbalkon hat der heutige High-Tech-Holzbau nur noch wenig gemein.

7 wegweisende Holzbauten in Berlin

Das Bauen mit Holz hat längst auch jene Gebiete erobert, die ihm seit 150 Jahren verschlossen waren: die Innenstädte. Laut einer aktuellen Studie liegt ausgerechnet Berlin nach realisierten und geplanten Projekten an der Spitze, knapp vor Bayern. Aus dem „Steinernen Berlin“ nach Werner Hegemann ist die Holzbau-Hauptstadt geworden. Wir zeigen sieben aktuelle Projekte, die den innerstädtischen Holzbau am Besten repräsentieren.

Polierte Edelstahlplatten ummanteln den Holzbau am Kurfürstendamm 210 in Berlin und schützen das Baumaterial so vor Wind...

Polierte Edelstahlplatten ummanteln den Holzbau am Kurfürstendamm 210 in Berlin und schützen das Baumaterial so vor Wind und Wetter. Gleichzeitig entspricht diese Fassade gänzlich den Brandvorschriften.

1. Haus2+ von Office ParkScheerbarth

Rot, robust, selbstbewusst. Das Haus 2+ am Holzmarkt in Berlin-Mitte darf gerne als – wenn auch kleines – Symbol für den aktuellen Holzbau in Berlin gelesen werden. Es markiert den neuen Haupteingang ins Kulturquartier mit dem passenden Namen „Am Holzmarkt“. Am Ufer der Spree wurde früher tatsächlich mit Holz gehandelt, jetzt steht hier eine kleine Siedlung mit Bars, Restaurants, Künstler-Ateliers, Werkstätten und Clubs. Das kleine Rote versammelt auf nur 200 Quadratmetern eine Bäckerei, eine Booking-Agentur, ein Tattoo-Studio, eine Praxis, ein Künstler- und ein Foto-Atelier. Die vollständige Konstruktion aus Holz ist möglich, weil das Haus an das Beton-Treppenhaus seines Nachbarn „andockt“. Außen eine Holzrahmenkonstruktion, Massivholz für die Innenwände, die Geschossdecken aus Holzhohlkastenelementen – alles regional geerntet und verarbeitet, sortenrein verbaut und geschraubt statt geklebt, um das Holz beim Abriss problemlos wieder auseinander nehmen und fast verlustfrei wiederverwenden zu können. In drei Worten: Klein, aber vorbildlich.

Die hölzerne Fassade des Hauses ist in einem intensiven Rot gestrichen.

Das leuchtend rote Haus2+ am Holzmarkt setzt in Berlin-Mitte einen Standart für den zukünftigen Holzbau. Es wurde aus regionalen Hölzern gebaut und kann zudem beinahe ohne Verluste nach einem Abbau wieder aufgebaut werden.

Jan Bitter
2. Start-Up-Remise Immanuelkirchstraße von Jan Wiese Architekten mit Ralf Wilkening

In einem Hinterhof in Prenzlauer Berg haben die Architekten Jan Wiese und Ralf Wilkening eine kleine Remise als Holzhybridbau, also eine Mischung aus Holz und Beton, errichtet. Mit dem Wort „Remise“ beziehen sie sich auf die alte Tradition, in den Höfen auch kleine Gebäude für Handwerker:innen zu haben. Allerdings besteht diese Remise aus höchst modernen Co-Working-Räumen – statt Bäcker:innen, Tischler:innen und Schlosser:innen sind hier Grafiker:innen, Programmierer:innen und IT-Dienstleister:innen am Werk. Auf drei Etagen liegt je ein großer Arbeitsraum, der mit Leichtbauwänden unterteilt werden kann. Im Erdgeschoss gibt es eine Gemeinschaftsküche und Besprechungsräume, auf dem Dach eine Terrasse. Die Konstruktion ist ein Kompromiss mit der Bauordnung für Holzbauten: Die tragenden Wände sind aus Stahlbeton, die Decken eine Kombination aus Kiefernholz und Beton, die Fassade besteht ganz aus Lärchenholz und sehr großen Fenstern. Mit so einer Remise wären die pflegeleichten Computerarbeiter:innen wohl in jedem Hinterhof gern gesehene, neue Mitbewohner:innen.

Das Gebäude von Jan Wiese Architekten mit Ralf Wilkening von 2020 besteht hauptsächlich aus Holz Beton und Glas.

Die Start-Up-Remise von Jan Wiese Architekten greift mit seinem Namen alte Traditionen des Holzbaus auf und lässt daraus einen modernen Hybridbau aus Holz, Beton und Glas entstehen.

Simon Menges
3. Haus Kurfürstendamm 210 von Schmitt von Holst Architekten

Dieser Holzbau ist auf den ersten Blick überhaupt nicht als solcher zu erkennen. In einem sehr schmalen Hinterhof am Ku’damm, Berlins vielleicht berühmtester Einkaufsmeile, durfte der Bauherr einen neuen Seitenflügel errichten. Von Anfang an wünschte er sich dabei einen Holzbau. Neben den ökologischen Vorzügen dachte man vor allem an ein hohes Maß an Vorfertigung und dadurch eine rasche und relativ geräuschlose Montage in dem engen Hof. Die Konstruktion richtet sich ganz nach den Brandschutzbestimmungen: Unter-, Erd- und erstes Obergeschoss bilden einen Sockel aus Stahlbeton, auf dem vom zweiten bis ins achte Geschoss ein massiver Holzbau aus vorgefertigten Elementen steht. Abgesehen vom Fluchttreppenhaus in der Südwestecke sind alle Wände und Decken aus Brettschichtholz. Nach außen allerdings verkleidete man den Holzbau hinter einer spiegelnden Oberfläche aus poliertem Edelstahl. Diese glänzende Haut reflektiert das Tageslicht und erhellt damit den engen Hinterhof deutlich. Das es sich um einen Holzbau handelt, ist nur an den Zimmerdecken der 23 Mini-Apartments sichtbar geblieben, die man für kurze und längere Aufenthalte mieten kann.

Das Haus Kurfürstendamm 210 von Schmitt von Holst Architekten hat eine reflektierende Fassade aus poliertem Edelstahl.

Das Haus Kurfürstendamm 210 wurde von Schmitt von Holst Architekten im Jahr 2022 entworfen und entspricht ganz den Brandschutzbestimmungen. Die unteren 3 Geschosse bestehen aus Stahlbeton und die oberen Stockwerke aus Holz mit einer polierten Edelstahlfassade.

Marcus Bredt
4. Ausbauhaus Südkreuz von Praeger Richter Architekten

Das sogenannte „Ausbauhaus" am Südkreuz ist der umgekehrte Fall: Der Holzfassade wegen sieht es zwar von außen aus wie ein Holzbau, entpuppt sich aber beim Blick von innen als robuste Stahlbetonkonstruktion. Praeger Richter Architekten arbeiten schon länger mit dieser Typologie im Wohnungsbau: Ein solider und langlebiger Rohbau als Grundgerüst, der dann nach den Wünschen der Bewohner ausgestattet wird, wie ein Regal. Das Exemplar am Südkreuz ist die jüngste Entwicklung, bei der sich die gesamte Einrichtung des Beton-Regals nach strengen Vorgaben zur Rezyklierbarkeit aller Ausbaumaterialien richtet: Die Fassade aus Lärchenholz-Paneelen, Zimmerwände aus trocken montierten Holzständerwänden, Fußbodenaufbauten ohne Verbundstoffe. Alles ist geschraubt, gelegt oder gesteckt, sodass es jederzeit wieder auseinander genommen, ausgetauscht und vollständig wiederverwendet werden kann.

Im Inneren des Hauses kontrastieren sich ständig Beton und Holz.

Im Inneren herrscht ein ständiger, aber harmonischer Kontrast zwischen Sichtbeton und Holz.

Andreas Friedel
5. Wohnungsbau Stendaler Straße von AHM Architekten

Auch dieses Wohn- und Geschäftshaus in Moabit ist ein Holzbau auf einem robusten Sockel aus Stahlbeton. Unter- und Erdgeschoss sowie die Innenwände im ersten Obergeschoss sind aus diesem Material – aber darüber beginnt die Holzkonstruktion mit massiven Holzwänden und -decken. Während im Sockel Platz ist für Gewerbe- und Büroräume, liegen darüber 30 Kleinstwohnungen von 30 bis 45 Quadratmetern. Alle Wohnungen werden über offene Laubengänge auf der Hofseite erschlossen, dort steht auch der Aufzug für eine barrierefreie Erschließung. Laubengänge und Fahrstuhlschacht sind aus vorgefertigten Betonelementen sowie Brüstungen aus Metall, ebenfalls aufgrund der Brandschutzvorschriften. Die Fassade der Wohnungen jedoch konnte mit Profilholzelementen gestaltet werden, die nicht nur das Hauptbaumaterial nach außen ablesbar machen, sondern durch die verschiebbaren Scheiben vor den Loggien auch für ein bewegliches, sich je nach Sonnenstand und Wunsch der Bewohner veränderliches Bild des Hauses sorgen.

Die 30 bis 45 Quadratmeter großen Wohnungen von AHM Architekten stehen auf einem Sockel aus Stahlbeton und bestehen ab...

Der Wohnungsbau von AHM Architekten an der Stendaler Straße wurde 2024 fertiggestellt und baut auf einem Sockel aus Stahlbeton auf. Auf dem robusten Grundgerüst befindet sich die eigentliche Holzkonstruktion aus massiven Holzwänden und -decken.

Jordana Schramm
6. Bürogebäude Luisenblock von Sauerbruch Hutton Architekten

Einer der aktuell größten innerstädtischen Holzbauten in Berlin wurde für den Deutschen Bundestag gebaut. Das Bürogebäude steht mitten im Regierungsviertel und bietet 400 Abgeordneten-Büros. Der gesamte Entwurf von Sauerbruch Hutton Architekten zielte auf eine unkomplizierte, rasche Fertigung und Montage. So wurden die Büros als komplette Massivholzzellen inklusive Fenstern, Dämmung, Sonnenschutz und Unterkonstruktion für die farbigen Fassadentafeln in einer Fabrik in Köpenick vorgefertigt, mit LKWs zur Baustelle transportiert, wo sie dann nur noch gestapelt und befestigt werden mussten. Diese Bauart macht das Gebäude auch sehr einfach wieder abbaubar. Theoretisch können die Module wieder getrennt, abtransportiert und an anderer Stelle erneut aufgebaut werden. Lediglich die Bodenplatte, die Technikräume und das zentrale, offene Atrium mussten aus Brandschutzgründen aus Stahlbetonfertigteilen errichtet werden. Die Architekt:innen weisen zudem darauf hin, dass die verwendeten 5.000 Kubikmeter Holz in etwa 15 Jahren vollständig nachgewachsen sein werden. Aktuell entsteht an der Spree ein weiteres Bürogebäude für den Bund, in einer völlig anderen Form und Erscheinung, aber in der gleichen Bauart.

Das Bürogebäude hat eine bunte Fassade mit verschiedenfarbigen Läden vor den Fenstern.

Das Bürogebäude kann unkompliziert zellenweise wieder abgebaut oder stellenweise ausgetauscht werden.

Jan Bitter
7. Haus im Park von Modersohn & Freiesleben Architekten

Zum Schluß noch ein Gebäude für einen völlig anderen Zweck: Als Wohnheim für Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, gebaut für den Sozialdienst Katholischer Frauen in Berlin. Das Haus steht auf einem parkartigen Grundstück zwischen alten Bäumen und denkmalgeschützten Villen im Stadtteil Pankow. Auch hier finden wir die Bauweise wie in den Projekten zuvor, nur das dieses Mal der nötige Sockel aus Stahlbeton grün verputzt wurde. Wie der Entwurf überhaupt gerne mit Farben und Oberflächenstrukturen arbeitet. Der grüne Rauputz umfasst den Stahlbetonsockel des Erdgeschosses. Die Obergeschosse im Massivholzbau werden von roten, sägerauen Brettern vor Wind und Wetter geschützt. Über den Fenstern sorgen rote Wellblechschürzen für Brand- und ein bisschen Sonnenschutz. Darüber beschirmt eine auskragende Holzdachkonstruktion das ganze Gebäude wie ein großer, gemütlicher Hut. Weil alle Bauteile fertige Industrieprodukte sind, die genau in ihren vorgegebenen Materialien und Maßen verwendet wurden, blieb das Gebäude günstig, ohne dabei an architektonischem Anspruch zu verlieren. Erdsonden und eine PV-Anlage machen das farbenfrohe Haus im Park zudem komplett energieautark.

An der Fassade vom Haus im Park von Modersohn  Freiesleben wurde Wellblech und Holz verwendet.

Für den Bau vom Haus im Park vom Architekturbüro Modersohn & Freiesleben wurden kostengünstige Materialien verwendet, ohne dass das architektonische Design darunter leiden musste.

Sebastian Schels