Zug geht wieder auf Reisen: Der Svt Görlitz ist jetzt ultramodern und stilecht ausgestattet.
Das Schaufenster in eine andere Welt ist 150 Meter lang, fast 300 Tonnen schwer und steht auf einem Gleis in Halberstadt. Der VT 18.16 – besser bekannt als SVT Görlitz (das „SVT“ steht für Schnellverbrennungstriebwagen) – war der Prestigezug der DDR. Als der vierteilige, dieselhydraulische Triebzug 1963 auf die Gleise kam, sollte er nicht bloß Passagiere von Berlin nach Prag, Kopenhagen oder Wien bringen, sondern zudem die Botschaft, dass auch die DDR die Kunst der Eleganz auf Schienen beherrschte. Die Bundesbahn hatte seit 1957 ihren Trans-Europ-Express, der Osten antwortete mit einem stromlinienförmigen Geschoss aus beigefarbenem Metall, gebändigt von einem umlaufenden Band in Burgunderrot.
So wurde er bald im ganzen Land bekannt. Auch wenn drinnen eine Welt herrschte, die den meisten verborgen blieb. „Das Design war natürlich etwas ganz Besonderes“, erinnert sich Rita Hoffmann, die einst als Zugführerin im SVT Dienst tat. Platzkarten waren Pflicht, das Publikum handverlesen – Funktionäre, ausländische Würdenträger, Diplomaten. Kein Wunder, dass man den Zug bald „der Diplomat auf Schienen“ nannte. Er war Schaufenster und Schicksalsgemeinschaft zugleich: ein Prestigeprojekt, das dringend benötigte Devisen herbeischaffen und zugleich im nichtsozialistischen Ausland die Schlagkraft der DDR-Industrie demonstrieren sollte.
Ein Zug, der Fortschritt versprach
Für die wenigen Glücklichen, die an Bord gelangten, war es eine Erfahrung, die sich tief einprägte. „Es war, als träte man in eine andere Welt ein“, sagt Matthias Hebenstreit, der mit 18 zum ersten und einzigen Mal mitfahren durfte. „So anders als ein normaler Zug. Es fühlte sich an wie ein Stück Zukunft.“ Genau darin lag das eigentliche Versprechen des SVT Görlitz: nicht in der Geschwindigkeit – 120 Stundenkilometer galten schon bald als bescheiden –, sondern in der Illusion, dass sich hinter den Polstern und Paneelen ein Fortschritt verbarg, der auch den Rest der Republik bald einholen werde.
Ästhetisch und genau durchdacht
Doch was den Zug zu einem Gesamtkunstwerk erhob, war nicht die Aerodynamik allein, sondern die ästhetische Chiffre, die Architekten und Formgestalter ihm gaben. Die Ost-Berliner Architekten Hans Gutheil und Günter Köhler hatten den Auftrag, die Technik in eine moderne Form zu gießen. „Ich bewundere heute noch die Konstrukteure des VEB Waggonbau Görlitz, die diesen Zug bauten“, bekannte Gutheil Jahrzehnte später. „Es mangelte ja an allem – und trotzdem wurde mit größtem Ernst gearbeitet.“ Man improvisierte, probierte, stellte sogar ein Abteil auf Räder, damit Mediziner die Sitzlinie studieren konnten. „Als könnte man in drei Stunden Bahnfahrt eine Rückgratverkrümmung heilen.“
Die Sitze im Triebwagen kamen aus dem Flugzeugbau und waren bei Rückwärtsfahrten in Fahrtrichtung drehbar, niemand sollte hier rückwärtsgewandt sitzen. Ansonsten wurde möglichst viel aus dem bestehenden Schienenfahrzeugbau adaptiert. Natürlich nur das Beste: Sommers wie winters warmes und kaltes Wasser – das kannte man sonst nur aus dem Schlafwagen. Wo anfangs noch Kunststoff verbaut wurde, waren es bald schon Teak und Palisander. Selbst der Speisewagen zitierte mit seinen klaren Linien das (in der DDR ungeliebte) Bauhaus. Eine Reminiszenz an eine Moderne, die im Sozialismus ihren eigenen Weg finden musste. Von den insgesamt acht gebauten Garnituren überlebten nur drei. Eine davon steht heute in einer Halle in Halberstadt, wo Ingenieure und Eisenbahnliebhaber seit sechs Jahren daran tüfteln, aus dem einstigen Prestigezug wieder ein fahrfähiges Gesamtkunstwerk zu machen. Mehr als 70 Freiwillige – Elektriker, Polsterer, Gastronomen – haben sich zusammengetan, um den Zug Schraube für Schraube auf den Prüfstand zu stellen. Motoren und Getriebe blieben, Heizkessel und Bremsen wurden ersetzt, Toiletten und Türverriegelungen auf internationalen Standard gebracht. Die Gardinen wurden neu gewebt.
Doch das Interieur aufzuarbeiten war am Ende schwieriger als gedacht. „Wir haben uns sehr lange und intensiv mit den verschiedenen Fahrzeugen auseinandergesetzt, aber fast jedes sah innen anders aus“, sagt Mario Lieb, der das Projekt leitet. „Ich hoffe, wir haben den richtigen Kompromiss gefunden.“ Statt graubraunem Cord entschied sich das Team für Sessel in Rot mit schwarzen Seitenpartien – aus Stoff, der heutigen Brandschutzauflagen genügt. Die Leuchten im Speisewagen, vor Jahrzehnten durch Modelle aus Pressglas ersetzt, ließen sie von der Leuchten Manufactur Wurzen originalgetreu rekonstruieren.
Rund sieben Millionen Euro kostete die Restaurierung bislang. Bald soll der Zug wieder im In- und Ausland rollen – sogar mit eigenem Koch an Bord. 238 Plätze gibt es im Zug, 23 im Speisewagen. „Der SVT steht für Freiheit und Ferne, die vielen einst unerreichbar war“, sagt Andreas Haufe, Lokführer der DB und einer der Mitstreiter des Projekts. Für ihn und viele andere – oft zu jung, um den Zug noch im Regelbetrieb erlebt zu haben – ist der „Görlitzer“ mehr als nur ein Stück Technik. Er ist Erinnerungskultur auf Rädern. Früher sollte er die Welt beeindrucken, heute genügt es, wenn er Herzen rührt. Der SVT Görlitz ist wieder unterwegs, als Diplomat im Dienst der Erinnerung.







