DDR-Zug wieder in Betrieb: Der Svt Görlitz war damals ein Prestigeprojekt – so sieht der Zug heute aus

Windschnittig wie ein Jet, ausstaffiert mit Palisander und Sesseln aus dem Flugzeugbau: Der Zug Svt Görlitz war einst die rollende Visitenkarte der DDR. Jetzt geht er wieder auf große Fahrt
DDRZug wieder in Betrieb Der Svt Görlitz war damals ein Prestigeprojekt  so sieht der Zug heute aus
Franz Grünewald

Zug geht wieder auf Reisen: Der Svt Görlitz ist jetzt ultramodern und stilecht ausgestattet.

Das Schaufenster in eine andere Welt ist 150 Meter lang, fast 300 Tonnen schwer und steht auf einem Gleis in Halberstadt. Der VT 18.16 – besser ­bekannt als SVT Görlitz (das „SVT“ steht für Schnellverbrennungs­trieb­wagen) – war der Prestigezug der DDR. Als der vierteilige, dieselhydraulische Triebzug 1963 auf die Gleise kam, sollte er nicht bloß Passagiere von Berlin nach Prag, Kopenhagen oder Wien bringen, sondern zudem die Botschaft, dass auch die DDR die Kunst der Eleganz auf Schienen beherrschte. Die Bun­desbahn hatte seit 1957 ihren Trans-Europ-Express, der Osten antwortete mit einem stromlinienförmigen Geschoss aus beigefarbenem Metall, gebändigt von einem umlaufenden Band in Burgunderrot.

Die viel beschworene Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilo­metern blieb hehre Theorie  auf den Schienen in...

Die viel beschworene Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilo­metern blieb hehre Theorie – auf den Schienen in Deutschland, Öster­reich und Tschechien waren nur 120 erlaubt. Für viele Reisende aus
der DDR endete die Fahrt ins Ausland ohnehin bereits in Prag.


Franz Grünewald

So wurde er bald im ganzen Land bekannt. Auch wenn drinnen eine Welt herrschte, die den meisten verborgen blieb. „Das Design war natürlich etwas ganz Besonderes“, erinnert sich Rita Hoffmann, die einst als Zugführerin im SVT Dienst tat. Platzkarten waren Pflicht, das Publikum handverlesen – Funktionäre, ausländische Würdenträger, Diplomaten. Kein Wunder, dass man den Zug bald „der Diplomat auf Schienen“ nannte. Er war Schaufenster und Schicksalsgemeinschaft zugleich: ein Prestigeprojekt, das dringend benötigte Devisen herbeischaffen und zugleich im nichtsozialistischen Ausland die Schlagkraft der DDR-Industrie demonstrieren sollte.

Ein Zug, der Fortschritt versprach

Für die wenigen Glücklichen, die an Bord gelangten, war es eine Erfahrung, die sich tief einprägte. „Es war, als träte man in eine andere Welt ein“, sagt Matthias Hebenstreit, der mit 18 zum ersten und einzigen Mal mitfahren durfte. „So anders als ein normaler Zug. Es fühlte sich an wie ein Stück Zukunft.“ Genau darin lag das eigentliche Versprechen des SVT Görlitz: nicht in der Geschwindigkeit – 120 Stundenkilometer galten schon bald als bescheiden –, sondern in der Illusion, dass sich hinter den Polstern und Paneelen ein Fort­schritt verbarg, der auch den Rest der Republik bald einholen werde.

Eine der rekonstruierten Leuchten.

Eine der rekonstruierten Leuchten.

FRANZ GRUENEWALD

Ästhetisch und genau durchdacht

Doch was den Zug zu einem Gesamtkunstwerk erhob, war nicht die Aerodynamik allein, sondern die ästhetische Chiffre, die Architekten und Formgestalter ihm gaben. Die Ost-Berliner Architekten Hans Gutheil und Günter Köhler hatten den Auftrag, die Technik in eine moderne Form zu gießen. „Ich bewundere heute noch die Konstrukteure des VEB Waggonbau Görlitz, die diesen Zug bauten“, bekannte Gutheil Jahrzehnte später. „Es mangelte ja an allem – und trotzdem wurde mit größtem Ernst gearbeitet.“ Man improvisierte, probierte, stellte sogar ein Abteil auf Räder, damit Mediziner die Sitzlinie studieren konnten. „Als könnte man in drei Stunden Bahnfahrt eine Rückgrat­ver­krüm­mung heilen.“

Die Außenschwenktüren

Die Außenschwenktüren

FRANZ GRUENEWALD
Wo sich die Technik abspielt

Wo sich die Technik abspielt

FRANZ GRUENEWALD
Der Flugzeugbau als Vorbild

Die Sitze im Triebwagen kamen aus dem Flugzeug­bau und waren bei Rückwärtsfahrten in Fahrtrichtung drehbar, niemand sollte hier rückwärtsgewandt sitzen. Ansonsten wurde mög­lichst viel aus dem bestehenden Schienen­fahrzeug­bau adaptiert. Natürlich nur das Beste: Sommers wie winters warmes und kaltes Wasser – das kann­te man sonst nur aus dem Schlafwagen. Wo anfangs noch Kunststoff verbaut wurde, waren es bald schon Teak und Palisander. Selbst der Speisewagen zitierte mit seinen klaren Linien das (in der DDR ungeliebte) Bauhaus. Eine Reminiszenz an eine Moderne, die im Sozialismus ihren eigenen Weg finden musste. Von den insgesamt acht gebauten Garnituren überlebten nur drei. Eine davon steht heute in einer Halle in Hal­ber­stadt, wo Ingenieure und Eisenbahnliebhaber seit sechs Jahren daran tüfteln, aus dem einstigen Prestigezug wieder ein fahrfähiges Gesamtkunstwerk zu machen. Mehr als 70 Freiwillige – Elektriker, Polsterer, Gastro­nomen – haben sich zusammengetan, um den Zug Schraube für Schraube auf den Prüfstand zu stellen. Motoren und Getriebe blieben, Heizkessel und Bremsen wurden ersetzt, Toiletten und Türver­riegelungen auf internationalen Standard gebracht. Die Gardinen wurden neu gewebt.

Der SVT Görlitz in Elfenbein mit burgunderrotem Band war der Stolz der DDR  und der DR der Deutschen Reichsbahn.

Der SVT Görlitz in Elfenbein mit burgunderrotem Band war der Stolz der DDR – und der DR, der Deutschen Reichsbahn.

FRANZ GRUENEWALD

Doch das Interieur aufzuarbeiten war am Ende schwieriger als gedacht. „Wir haben uns sehr lange und intensiv mit den verschiedenen Fahrzeugen auseinandergesetzt, aber fast jedes sah innen anders aus“, sagt Mario Lieb, der das Projekt leitet. „Ich hoffe, wir haben den richtigen Kompromiss gefunden.“ Statt graubraunem Cord entschied sich das Team für Sessel in Rot mit schwarzen Seitenpartien – aus Stoff, der heutigen Brand­schutz­auflagen genügt. Die Leuchten im Speise­wagen, vor Jahrzehnten durch Modelle aus Pressglas ersetzt, ließen sie von der Leuchten Manufactur Wurzen originalgetreu rekonstruieren.

Die samtgepolsterten Bänken in der ersten Klasse dienten schon mal als Notbett für das Zugpersonal. Ein Hotel im...

Die samtgepolsterten Bänken in der ersten Klasse, dienten schon mal als Notbett für das Zugpersonal. Ein Hotel im nichtsozialistischen Ausland hätte die mühsam erwirtschafteten Devisen nur allzu schnell wieder verschlungen.

FRANZ GRUENEWALD
Der Speisewagen war Funktionsraum und Repräsentations­fläche  ein fahrender Salon in dem Kulinarik und Gestaltung den...

Der Speisewagen war Funktionsraum und Repräsentations­fläche – ein fahrender Salon, in dem Kulinarik und Gestaltung den Anspruch der DDR auf Augenhöhe mit dem Westen inszenierten.

FRANZ GRUENEWALD

Rund sieben Millionen Euro kostete die Restau­rie­rung bislang. Bald soll der Zug wieder im In- und Ausland rollen – sogar mit eigenem Koch an Bord. 238 Plätze gibt es im Zug, 23 im Speisewagen. „Der SVT steht für Freiheit und Ferne, die vielen einst unerreichbar war“, sagt Andreas Haufe, Lokführer der DB und einer der Mitstreiter des Projekts. Für ihn und viele andere – oft zu jung, um den Zug noch im Regelbetrieb erlebt zu haben – ist der „Görlitzer“ mehr als nur ein Stück Technik. Er ist Erinnerungskultur auf Rädern. Früher sollte er die Welt beeindrucken, heute genügt es, wenn er Herzen rührt. Der SVT Görlitz ist wieder unterwegs, als Diplomat im Dienst der Erinnerung.