Vielleicht missfällt mir doch nicht alles, was aus dem 3D-Drucker kommt

Unsere Autorin konnte sich bisher noch nie so richtig für Möbel aus dem 3D-Drucker begeistern. Welches Objekt das Potential hat, ihre Meinung zu ändern, verraten wir Ihnen in unser Stilkolumne „Go viral or go home“
Jelly mit Ferrari
Jelly mit FerrariLudger Paffrath

Möbel aus dem 3D-Drucker.

Fast immer, wenn jemand über Möbel aus dem 3D-Drucker spricht, legt sich in meinem Kopf ein Schalter um. Zwar nicke ich beflissen und versuche zu folgen, doch oftmals verliert mich mein Gegenüber spätestens bei den Details der Fertigungstechnik – und ich schalte ab. Ähnlich glasige Augen bekomme ich in Unterhaltungen über KI oder Kryptowährungen. Ich weiß, dass das Themen sind, für die ich mich interessieren sollte – doch einmal umgelegt, verkürzt der Schalter meine Aufmerksamkeitsspanne auf ein Minimum. Dabei bin ich wahrlich keine Gegnerin fortschrittlicher Technik. Dass man bereits Gewebe aus dem 3D-Drucker in der Medizin einsetzen kann, ist doch wirklich beeindruckend! Angeblich könnte es in den nächsten zehn Jahren sogar pumpende Herzen aus dem Drucker geben. Doch bei Möbeln hat bisher noch kaum ein 3D-gedrücktes Stück mein eigenes Herz höher schlagen lassen. Eine Ausnahme stellten bisher lediglich die skulpturalen Gebilde der französischen Designerin Audrey Large dar, die mit ihren Objekten die Grenzen organischer Formen austestet. Ihre Praxis erklärt sie gerade in einem sehenswerten Beitrag der Design-Plattform The Thing. Dort findet sie für ihre komplexen Entwürfe ganz einfache Worte: „Ich versuche, mich darauf zu konzentrieren, gute Arbeit zu leisten.“

Wohnzimmer von Nilufar Galeristin Nina Yashar in Mailand

Im Zuhause von Nilufar-Galeristin Nina Yashar steht eine Vase von Audrey Large auf dem Tischen. 2020 gab Nilufar Arbeiten bei Audrey Large in Auftrag – die „Metabowl“-Vase und eine Handvoll kleinerer Objekte aus dem 3D-Drucker nahm sie gleich mit nach Hause.

Helenio Barbetta

Was erzählen 3D-gedruckte Objekte?

Warum aber fallen Objekte aus dem 3D-Drucker für mich so selten in die Kategorie gute Arbeit? Ist mir die Technik zu komplex? Oder habe ich in den letzten Jahren einfach zu viele mit 3D-Druckverfahren hergestellte Möbel gesehen, deren schlecht geschliffene Kanten nur wie mittelmäßige Prototypen aussahen?

Vielleicht, denke ich, fehlt mir bei gedruckten Möbeln das richtige Narrativ. Halte ich eine Vase aus gefärbtem, dickem Glas in der Hand, denke ich instinktiv an Murano. Waren Sie schon einmal da? Nie werde ich meinen ersten Besuch in einer der brütend heißen Werkstätten vor Venedig vergessen, wo die Glasbläser besonnen in kurzen Hosen und Flip-Flops (in Italien nimmt man es mit den Sicherheitsvorkehrungen nicht so eng) nur der Kraft ihres Atems und einer Eisenzange die erstaunlichsten Formen aus dem heißen Glasgelee schufen. Auch gehe ich mit einer Kaffeetasse der Porzellanmanufaktur KPM behutsamer um, seit ich die Manufaktur besucht habe und weiß, wie viele Arbeitsschritte es braucht, um sie herzustellen. Über Kunsthandwerk lassen sich schönere Geschichte erzählen als über additive Fertigungsprozesse – und mit Erzählungen bauen wir eine Bindung zu Objekten auf.

Jelly: Hocker und Beistelltische aus dem 3D-Drucker

Dann lernte ich Jelly kennen. So heißt ein erst in diesem Jahr gegründetes Berliner Label, das Hocker und Beistelltische mit dem, Sie ahnen es, 3D-Drucker fertigt. Zur Herstellung von Jelly gehören viele Wörter, bei denen sich eigentlich der eingangs erwähnte Schalter umlegt: Algorithmus, Computation, Iteration, Materialeffizienz. Aber irgendetwas ist mit Jelly anders: Die fünf verschiedenen Hocker-Typologien machen mich neugierig. Streicht man mit dem Finger über den Hocker, dann kann man die feinen Rillen ertasten: Haptik ist ein entscheidendes Qualitätsmerkmal eines Möbelstücks. Dann wäre da noch die Farbe, die sich irgendwo zwischen Bernstein und Butter bewegt. Ein bisschen sehen die Hocker deshalb aus, als wären sie aus Harz. Das liegt an der Maisstärke, aus der sie gedruckt werden. Wie Harz oder Honig ist die gedruckte Stärke transluzent, weshalb man das Skelett der Beine, auf denen der Hocker steht, durch die Sitzfläche hindurch erkennen kann. Von oben sehen die Höckerchen somit aus wie kleine Quallen.

Die Inszenierung von Tadan schafft Theatralik

Gegründet wurde Jelly von den Architekten und Ingenieuren Saqib Aziz, Hans von Bülow und Julian Meisen. Dass Hocker und Beistelltische ein dankbares Möbelstück ist, um den eigentlich gesättigten Möbelmarkt zu betreten, haben im letzten Jahr die Architekten von Loes.Beta bewiesen, deren Aluminiumhocker „Sophie“ man plötzlich und völlig berechtigt überall sah.

Einer der Jelly-Stools heißt „Inu“. Er steht auf kurzen, stämmigen Beinen und sieht aus, als wäre er eine Hommage an den Künstler Fernando Botero, der Dinge und Menschen gern mit wunderschönen, dicken Proportionen malte. Zur Lancierung der Serie kooperierte Jelly mit dem Decorateur-Trio Tadan, dass die fünf kleinen Charaktere in einem leergeräumten Friseurladen in Berlin-Schöneberg in die Höhe stapelte. Weil Altes sich schon immer gut mit Brandneuem vertragen hat, wurde die Szenerie lediglich vom Scheinwerferlicht eines alten Ferrari Dino 304 GT4ri beleuchtet. Diese Theatralik schmeichelt den Höckern: Der Drucker spinnt die Fäden, Tadan eine Geschichte. Vielleicht, denke ich, missfällt mir wirklich nicht alles, was aus dem 3D-Drucker kommt. Am wichtigsten ist wohl ohnehin, dass gutes Design für sich spricht.

Hocker Jelly in einem leeren Geschäft

Hocker und Beistelltische von Jelly. Im Hintergrund spendet ein Ferrari Dino 304 GT4ri Licht.

Ludger Paffrath
Jelly Hocker

Der Produktlaunch wurde von Tadan in Szene gesetzt.

Ludger Paffrath
Hocker und Beistelltische aus dem 3DDrucker Hier Modell „Inu“.

Hocker und Beistelltische aus dem 3D-Drucker: Hier Modell „Inu“.

Ludger Paffrath