Umbau in Mailand. Das Architektenduo Tutto Bene gibt eine Privatführung durch sein neues zweites Zuhause in der Zona Magenta in Mailand, wo minimalistische Design-Pieces mit dem historischen Altbau Hand in Hand gehen.
Wenn die Mauern im Piano nobile dieser gelben Historismusvilla inmitten von Mailands elegantem Magenta-Viertel sprechen könnten, hätten sie viel zu erzählen: Sie waren Zeugen eifriger commercialisti im Palazzo einer einflussreichen Mailänder Familie, die dort noch bis vor Kurzem als umtriebige Steuerberater tätig war. Hier befand sich bislang ein sehr schickes Büro, erzählt Felizia Berchtold und erinnert sich vor allem an Unmengen von Briefpapier und Dokumenten auf dem langen Konferenztisch zwischen Fensterfront und Kaminsims. Und an jede Menge Stühle von „Gigi“. So nämlich nennt die Eigentümerin und Erbin des Hauses liebevoll ihren 2016 verstorbenen Freund, die Designikone Luigi Caccia Dominioni.
Tutto Bene: Das Architekten-Duo machte ein ehemaliges Büro zu seinem zweiten Zuhause
Als private Wohnung jedenfalls ist dieser pittoreske Raum, der zuletzt um 1910 renoviert wurde, nie genutzt worden, betont Oskar Kohnen, der Studio-, und Lebenspartner von Felizia Berchtold – fast, als wäre das Architektenpaar der Tradition schuldig, dass sich an der Bestimmung dieses Ortes nichts ändert. Zumindest fast nichts. Die beiden aus Deutschland stammenden Interiordesigner, die ihr gemeinsames Studio Tutto Bene erst 2023 in London gründeten, arbeiten international, haben einige Kunden sowie Freunde in Mailand und waren deshalb neben ihrer britischen Wahlheimat auf der Suche nach einem Pied-à-terre in Italiens Designmetropole.
„Wir sind wahnsinnig gern in dieser Stadt, aber die Übernachtungssituation ist miserabel“, findet Felizia Berchtold. „Es gibt kaum gute Hotels zu vernünftigen Preisen. Und Mailand kann frustrierend sein, wenn du keine gute Bleibe hast.“ Deshalb suchte das Paar nach einem Ort, an dem sich Privates und Berufliches verbinden lässt – wie in einer repräsentativen Hotelsuite, in der es gut sein kann, dass Auftraggeber morgens zum Termin kommen und bis abends zum Aperitivo bleiben. Bestens dafür geeignet ist die zur Wohnung gehörende Terrasse mit ihrer dschungelartigen Pflanzenpracht aus Glyzinien und Weinreben, die Oskar Kohnen an Picassos letzte Villa La Californie in Saint-Jean-Cap-Ferrat erinnert.
Da er und seine Partnerin passionierte Gastgeber sind, sollte dieser Ort zugleich eine erlebbare Visitenkarte auf 70 Quadratmetern werden, die das Flair Mailands aus ihrem ganz persönlichen, gestalterischen Blickwinkel spiegelt. Mit ihrem zweiten Zuhause in der Zona Magenta haben sie sich ganz bewusst gegen eine klassische Wohngegend und gegen ein klassisches Studio-Apartment entschieden. „Für unsere ganz unregelmäßigen Besuche in Mailand“, sagt Berchtold, „hat sich ein klassisches Wohnviertel mit einer eingewachsenen, familiären Nachbarschaft nicht angeboten.“ Deshalb schätzen sie das Geschäftsviertel um das Borghese-Quartier, das nicht kontrastreicher zu ihrem bisherigen Leben in Notting Hill sein könnte. Allerdings haben die beiden auch in London gerade einen Umzug hinter sich gebracht, ans andere Ende der Stadt. Von ihrem Apartment in Notting Hill, das, wie sie selbst sagen, „den Charme einer RomCom-Serie“ hatte, sind sie nun in ein ehemaliges „Victorian Gym“ im Osten Londons gezogen, um dort ebenfalls Studio und Privates unter ein Dach zu kriegen.
Privat wie beruflich gab es für Tutto Bene also alle Hände voll zu tun. Einen „Signature-Look“, betonen beide, haben sie nicht (oder noch nicht), eher schon hätten sie eine „Signature-Methode“ entwickelt, wie sie historische Referenzen mit modernem Minimalismus in Einklang bringen. „Für dieses Projekt haben wir uns gefragt, wie wir in Mailand leben möchten“, beschreibt Felizia Berchtold den Prozess, denn für sie geht jeder Umzug mit einer Neuerfindung der Person einher. Eine Chance, sich mit einem neuen Wohnraum auch einem ganz neuen Lebensgefühl zu widmen.
Beim Entwickeln neuer Ideen für Räume lautet Tutto Benes Grundsatz, dass es viel wichtiger ist, eine subtile Atmosphäre zu schaffen als ein visuell überbordendes, schickes Interieur, das zwar auf Fotos gut aussehen mag, aber deswegen noch lange nicht in der Realität gut funktioniert oder sich gut anfühlt. So wirkt der schwarze Schrankmonolith als raumteilende Intervention zwar zunächst äußerst sperrig, aber: „Für uns ist es reizvoll, wenn in einem alten Kontext etwas stattfindet, das auf den ersten Blick aneckt. Manchmal braucht ein Raum mit viel Struktur und vielen Mustern einfach nur einen schwarzen Ruhepunkt.“ Dafür haben sie sich ein wenig von Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ inspirieren lassen: Der schwarze Kvadrat-Stoff, mit dem der Schrank bezogen ist, gibt ihm eine fast abstrakte Note – und verankert den Raum gleichzeitig. Angesichts des unruhigen Terrazzobodens und des Geflirrs der Blätter im Garten wirkt die lichtschluckende schwarze Fläche wie ein Stopp- oder Nullpunkt, ein Statement der Stille in einer überdesignten und chaotischen Welt.
Das Gestaltungs-Credo von Tutto Bene lautet „romantische Einfachheit“, wie Berchtold und Kohnen es selbst beschreiben, eine Balance aus Ornamentik und rationalem Esprit. Wenn schnödes Aluminium und Plexiglas auf Marmorterrazzo treffen, antike syrische Hocker mit Perlmuttintarsien von 1850 neben Thonets klassischen Wiener Kaffeehausstühlen stehen (eine Reverenz an das von Gianfranco Frattini gestaltete Mailänder „Radetzky Cafè“) und echtes Blattsilber auf das Holz einfacher Kücheneinbauten aufgebracht wird, dann ist das wohl der beste Beweis für einen italienischen Rationalismus, der ganz nach Bruno Munaris Prinzipien gleichzeitig auch etwas sehr Verspieltes und Dekadentes haben darf. Diesem manchmal irrationalen Kompass, der auch absurd Wirkendes zulässt, folgen die beiden nur zu gern.
„Momentan sieht man überall sehr viele Edelstahlküchen“, sagt Felizia Berchtold. „Diesem Trend wollten wir etwas mehr Glamour verleihen.“ Durch die offene Raumsituation zwischen Entree und Hauptraum sollte der Küchenbereich beiläufig und keinesfalls betont wohnlich wirken. Mit Blattsilber von Maya Romanoff ist den beiden ein fast schon sakral wirkender Schrein gelungen. „Praktisch ist das schon gleich gar nicht“, lacht Felizia Berchtold und gibt zu, dass der Hersteller dringend von Blattsilber im Nassbereich abriet. Mit einer Schutzschicht aus Klarlack auf dem Silber tricksten die beiden ein wenig, trotzdem können sie nun, wie sie durchaus heiter einräumen, keine Pasta mit Tomatensauce kochen, ohne simultan jeden Spritzer sofort aufwischen zu müssen. Aber für ihr maßgefertigtes Küchenhighlight nehmen sie das gerne in Kauf.
Der Rest in diesem Apartment gibt sich dezent und unaufgeregt; statt Statement-Chairs stehen klassische Thonets auf dem historischen, rotbraun-beigen Terrazzomosaik; die Wände sind weiß, die Fensterrahmen lindgrün. Sie leiten den Blick in sattes Blattgrün, definieren einen beruhigenden Farbkanon und werden Teil eines Licht- und Schattenspiels, das einem beim Betreten des Wohnraums ein luftiges, lässiges und zugleich elegantes Raumgefühl vermittelt.
„Das Schönste ist, dass wir hier ankommen und die Schränke leer sind. Das ist so befreiend, es fühlt sich wie ein Hotel an. Alles, was ,so menschlich‘ ist, haben wir rausgelassen.“ Damit das auch künftig so bleibt, haben die beiden eine Regel aufgestellt: „Ab sofort darf nichts Neues mehr mit rein, und wenn doch, muss dafür etwas anderes weg.“ Die Stapel an Briefpapier auf dem Tisch werden es wohl kaum sein, denn manche Traditionen bleiben in diesem Raum für immer.














