Nicolas Schuybroek verlieh einem Sixties-Haus in Brüssel einen neuen Look und verwandelte es in ein minimalistisches Zuhause mit friedvoller Atmosphäre.
Früher, aber da war er noch ein Teenager, beeindruckten Nicolas Schuybroek spektakuläre Bauten von Rem Koolhaas oder Santiago Calatrava. Später setzte sich der heute 42-Jährige mit einem Freund ins Auto, fuhr, während im Radio Songs von Johnny Cash oder Leonard Cohen liefen, quer durch Europa, und stellte fest, dass es Gebäude gab, die ihn noch viel mehr faszinierten: romanische Kirchen und Klöster zum Beispiel, wie die Zisterzienserabteien Notre-Dame de Sénanque oder Le Thoronet in Südfrankreich. „Dass es religiöse Gebäude waren, ist eher Zufall, ich bin kein religiöser Mensch“, erklärt Schuybroek, der in Brüssel als Architekt und Interiordesigner arbeitet. Was ihn anzog, waren das sensible Gleichgewicht der Proportionen und Symmetrien; der besondere Einfall des Lichts; Materialien, die in Schönheit altern; sowie Ruhe und Schlichtheit. „Minimalistische Architektur gab es schon, lange bevor das Wort Minimalismus überhaupt existierte.“
Schuybroek möchte die meditative Energie von Sakralbauten wiedergeben
Betritt man einen sakralen Ort, verlangsamt sich in der Regel der Schritt, Gespräche werden leiser, der Puls fährt herunter. Diesen Effekt versucht Schuybroek in all seinen Projekten zu realisieren, seien es Hotels, Galerien, Shops, Büros oder Wohnhäuser. Während es in Kirchen allerdings oft um Ehrfurcht geht, strebt Schuybroek nach dem menschlichen Maß. Er schafft Räume, „bei denen du in dem Moment, in dem du sie betrittst, anfängst, zu dir zu finden. So ein Ort fängt dich auf und beschützt dich.“
Sein Büro hat der belgische Architekt 2011 gegründet, größere Bekanntheit erlangte er vor allem durch seine 2016 abgeschlossene Arbeit am Hotel „The Robey“ in Chicago. Heute ist er mit seinem Team rund um den Globus aktiv und hat gerade sein vielleicht herausforderndstes Projekt der letzten Jahre realisiert: Er modernisierte eine historisierende Villa aus den 1960ern, baute sie komplett um und versah sie mit einem ausgeklügelten Anbau.
Besser Umbau als Abriss
Das Haus sei in halbwegs gutem Zustand gewesen, erzählt er. „Aber man muss schon ehrlich sein, das ist nicht die Art von Architektur, die ich von vornherein besonders mag. Es war weder eleganter Modernismus noch ein Art-déco-Juwel.“ Dennoch plädierte Schuybroek für einen Erhalt des Gebäudes. Solange es eine Chance zur Verbesserung gibt, zieht er die Arbeit mit dem Bestand einem Abriss immer vor. Das junge Paar, das das Anwesen am Stadtrand von Brüssel gekauft hatte, um mit seinen Kindern im Grünen zu leben, pflichtete ihm darin bei.
Architektur braucht Respekt
Dass sich Schuybroek als junger Erwachsener von einigen großen Namen der Architektur abwandte, lag auch daran, dass die Kollegen in seinen Augen oft etwas sehr Wesentliches außer Acht gelassen hatten: den Kontext. „Man startet nie auf einem weißen Blatt Papier, das ist eine Illusion.“ Lokale Baukultur, die Landschaft, das Licht, die Bedürfnisse der Menschen, die ein Gebäude nutzen – all das müsse doch mit Respekt berücksichtigt werden.
Der ursprüngliche Erbauer der Brüsseler Villa hatte in dieser Hinsicht ebenfalls keine Glanzleistung vollbracht. Die umgebende Landschaft hatte er bei der architektonischen Ausrichtung weitgehend außer Acht gelassen. So befand sich unmittelbar vor der Haustür ein trostloser leerer Platz, der einzig zum Abstellen von Autos genutzt wurde und das Gebäude gänzlich abschnitt vom gleich dahinter beginnenden üppigen Wald. „In dieser Hinsicht war das Haus völlig absurd, vieles ergab einfach keinen Sinn.“
Der öde Parkplatz wurde zum grünen Patio
Was Schuybroek dann tat, ist hingegen von A bis Z durchdacht. Er setzte, vereinfacht gesagt, an das L-förmige Ursprungsgebäude ein umgekehrt L-förmiges neues Ensemble, sodass die kurze Seite des einen Buchstabens auf die lange Seite des anderen trifft; in der Mitte entstand ein grüner Hof. Der kurze Teil des Neubaus wurde zweigeschossig mit Satteldach konzipiert und ahmt das alte Haus mit Klinkerfassade nach. Der öde einstige Parkplatz verwandelte sich in einen grünen Patio, an den nun ein eingeschossiger minimalistischer Flachbau andockt (der lange Teil des neuen L) und sich mit breiten Fensterfronten zum Wald hin öffnet. Dieser Innenhof bildet das Herzstück der Anlage, gleicht einem Hortus conclusus und fungiert als fluide Verbindung zwischen gestern und heute. Die angrenzenden verglasten Flure erinnern an einen Kreuzgang – und geben der Familie, die hier wohnt, das Gefühl, als sei die Natur immer und überall um sie herum.
Edle Vintage-Möbel zwischen Holz und Lehmputz
Das Interieur begann Schuybroek gemeinsam mit Céline Ghins, die hier als Kuratorin des Mobiliars und der Kunst fungierte, schon früh zusammenzustellen. Es reicht von selbst entworfenen Stücken über abstrakte Gegenwartskunst bis hin zu Möbeln der 1930er- bis 1970er-Jahre von Designgrößen wie Lina Bo Bardi, Axel Einar Hjorth oder Jean Prouvé. Die Farbpalette ist gedämpft, es gibt viel Holz, Hell-Dunkel-Kontraste und eine Auswahl teils ungewöhnlicher Naturmaterialien. So kam etwa Lehmputz zum Einsatz. Dessen Ruf ist noch immer nicht so gut, wie er es verdient – schließlich handelt es sich um ein hervorragendes und absolut ökologisches Baumaterial. Ganze Häuser lassen sich mit ihm errichten (man denke an die Arbeit der nigrischen Architektin Mariam Issoufou Kamara), in Innenräumen reguliert er das Klima, schafft eine warme Atmosphäre und hat eine besondere haptische Struktur und Qualität.
Die wissen auch die Menschen zu schätzen, die in der Villa leben. „Es fühlt sich fantastisch an, hier zu wohnen“, erzählen sie. „Jeden Tag sind wir dankbar, in einer so ruhigen, friedvollen und einladenden Umgebung zu wohnen. Das Haus ist ein kleines Paradies, das es uns ermöglicht, von der Außenwelt abzuschalten, uns zu sammeln und die Gesellschaft unserer Lieben in vollen Zügen zu genießen.“ Ein urbanes Heiligtum.











