Bauernhaus in Ingolstadt: Dieser behutsame Umbau mitten in der Altstadt zeigt, was in alten Häusern steckt

Am Rande der Ingolstädter Altstadt verwandelt das Architekturbüro Mühlbauer ein ehemaliges Bauernhaus in ein lichtdurchflutetes Wohn-Ensemble – das Thürwachterhaus
Bauernhaus in Ingolstadt Dieser behutsame Umbau mitten in der Altstadt zeigt was in alten Häusern steckt
Ralph Feiner

Bauernhaus in Ingolstadt: Das renovierte Thürwachterhaus in Ingolstadt bietet Platz für sieben Menschen.

Eine Betontreppe zackt nach oben, so wunderbar roh und geradlinig, dass es sich eigentlich nur um einen Neubau handeln kann. Von wegen. Das renovierte „Thürwächterhaus“ am westlichen Rand der Ingolstädter Altstadt zeigt, was möglich ist, wenn gute Architekten und eine ambitionierte Bauherrin zusammenkommen. Auch aus der Treppe zum Dachstuhl machte das Ingolstädter Büro Mühlbauer eine minimalistische Skulptur unter der frischen Balkenlage. In den Beton eingelassen sind zwei Nischen für die Beleuchtung, die aus einfachen Glühbirnen besteht. Dass es sich hier eigentlich um ein historisches Stadtbauernhaus handelt, zeigt sich erst im Hof mit dem großen Tor zum Stall. Hinter dem hölzernen Eingang schwingt ein zweites, gläsernes Doppeltor auf. Dahinter öffnet sich ein spartanischer Raum über zwei Geschosse, halb mönchisches Skriptorium, halb Co-Working-Space mit einem Tisch für vier. Mit dem Licht scheint auch der Beton an den Wänden zu leben.

Treppe zum Dachstuhl im historischen Anwesen.

Treppe zum Dachstuhl im historischen Anwesen.

Ralph Feiner

Platz schaffen, lautete die Devise des Umbaus

Oft sind es die einfachsten Lösungen, für die am längsten gerungen werden muss. Wie dieses Bad mit bodengleicher Dusche und kubischem Waschtisch vor Glasbausteinen entstand, ist nur zu erahnen. Es musste viel Vertrauen in die Baukunst gesteckt werden, um solch einen Raum entstehen zu lassen. Ein Fenster schwebt als schwarzes Quadrat vor der milchigen Wand. Piet Mondrian hätte seine Freude daran, was aus dem ehemaligen Garagentor wurde.

Bad Stadtbauernhof

Bad im umgebauten Stadtbauernhof in Ingolstadt: Waschtisch vor Wand aus Glasbausteinen.

Ralph Feiner

Überhaupt sind es die vielen guten Details, die diesen Umbau so besonders machen. Kunststofffenster wurden durch Holzfenster ersetzt, der Hof wurde vom Berner Landschaftsarchitekturbüro Maurus Schifferli aufgeräumt und mit Maulbeerbaum und Kletterhortensie zu einem kleinen „Hortus Conclusus“ verwandelt. Ohne groß am Außenbild zu schrauben, entwickelte sich das Anwesen zu einem dreigeschossigen Stadthaus mit vier Wohnungen auf 180 Quadratmetern Wohnfläche.

Glastore wo es früher zum Stall ging. So geht Umbauen.

Glastore, wo es früher zum Stall ging. So geht Umbauen.

Ralph Feiner

Die böseste Überraschung im Zuge der Sanierung? „Das war wohl die Pandemie und ihre Folgen“, sagt Architekt Alexander Mühlbauer und lacht. „Das Projekt stand über Monate still. Es kam zu Lieferengpässen und Kostensteigerungen.“ Doch daran muss niemand mehr denken. Wer heute durch den Taschenturm auf die Altstadt zugeht, sieht ein Haus, das sich bestens in die Nachbarschaft fügt. Mit etwas Glück steht vielleicht das feuerrote Tor offen und gibt den Blick frei in den gerade 20 Quadratmeter großen Innenhof.

Alte Gebäude sollen vor dem Verfall bewahrt und weitergedacht werden – wie dieses Bauernhaus in Ingolstadt

Ingolstadt hat einiges zu bieten – und beileibe nicht nur einen Autokonzern mit vier Ringen. Vorsprung durch Technik versprach lange die berühmte medizinische Fakultät der dortigen Universität (bevor sie nach München verlegt wurde). Ihre Mediziner inspirierten Mary Shelley 1818 sogar zum Roman „Frankenstein“. Heute ist eher eine Tragik, dass so viele Häuser in der Altstadt verfallen, etwa in der Nähe des Medizinhistorischen Museums, in dessen wunderbarem Kräutergarten sich mitten in der Stadt Espresso trinken lässt – mit Blick auf die Alte Anatomie übrigens, wo dereinst Leichen aufgeschnitten wurden.

Minimalistische Architektur im ehemaligen Stall der sich mit Glastoren zum Hof öffnet.

Minimalistische Architektur im ehemaligen Stall, der sich mit Glastoren zum Hof öffnet.

Ralph Feiner

Gleich ums Eck liegt auch das renovierte, denkmalgeschützte Anwesen aus dem 16. Jahrhundert, ein Haus samt Scheune, in dem nun wieder sieben Menschen leben. „Warum viele Häuser leer stehen, liegt wohl daran, dass deren Eigentümer sich bislang noch nicht von ihnen trennen konnten“, vermutet Alexander Mühlbauer und lobt lieber die erfolgreichen Bemühungen seitens der Stadt, „Hauseigentümer zur Sanierung oder auch zum Verkauf ihrer Anwesen zu bewegen.“ Es stimmt natürlich. Auch das prägt die Altstadt von Ingolstadt: viele Ansätze, das Alte weiterzudenken und nicht nur im Verfall zu bewahren. Das renovierte „Thürwächterhaus“ jedenfalls ist eine Freude – und vielleicht sogar Ansporn, es genauso gut zu machen.

Das rote Tor im historischen Anwesen zeigt Hier wurde klug umgebaut.

Das rote Tor im historischen Anwesen zeigt: Hier wurde klug umgebaut.

Ralph Feiner