Umbau in Venedig: Interiordesignerin Nora Witzigmann machte eine alte Wohnung hell und luftig – und richtete sie mit Vintage-Klassikern und Eigenentwürfen ein.
Man sagt, im Winter sei Venedig besonders schön. Nora Witzigmann möchte sich da lieber nicht festlegen. Sie verbringt ohnehin so viel Zeit wie möglich in der Lagunenstadt, ganz egal, zu welcher Jahreszeit. Seit einigen Jahren hat sie in Venedig eine eigene Wohnung. Anfangs war das Apartment als Wochenendresidenz gedacht, längst ist es zu einem zweiten Zuhause der Interiordesignerin geworden.
Verliebt hat sie sich in die Stadt mit den alten Palazzi, den engen Gassen und dem endlosen Wasser vor rund acht Jahren. Damals richtete sie ein Hotel in Venedig ein und pendelte fast das ganze Jahr lang zwischen München und Venedig. „Hätte man mich früher gefragt, ob ich mir vorstellen kann, überhaupt je eine Wohnung zu besitzen, wäre das für mich utopisch gewesen“, sagt sie lachend. „Ich bin die klassische Mieterin, die sich nicht binden lassen will.“ Von Berufswesen her wisse sie nämlich, wie anstrengend und verpflichtend der Besitz von Immobilien sein kann. „Allerdings war ich auch nie jemand, der eine schöne Zeit in Paris hatte und danach von einem Leben in der Stadt träumte“, sagt sie.
Aufwendiger Umbau: So baute Nora Witzigmann das Apartment um
Und dann kam Venedig. Vorsichtig begann sie, nach Wohnungen zu schauen. Sie fand ein altes Apartment im Nordosten der Stadt, in einer der ruhigeren Ecken fernab der Touristenmassen, die sich selten in den hinteren Teil der Schwimmenden Stadt verlaufen. Damals hatte die Wohnung noch kleine, dunkle Zimmer, aber einen vielversprechenden Terrazzoboden. Witzigmann erkannte das Potential. „Dann habe ich erst einmal episch umgebaut“, sagt sie und schiebt das Wort „Berufskrankheit“ fast entschuldigend hinterher.
Mithilfe der befreundeten Architekt:innen Alvise & Lucia Marzollo vom Büro dd2800a ordnete sie den Grundriss neu und entfernte Wände. Die Decke wurde entkleidet, Fenster vergrößert, sogar an der Statik des Hauses wurde gefeilt, nur der besagte Terrazzoboden blieb. Dort, wo sie Wände entfernen ließ, füllte Witzigmann die Lücken mit Mosaikfliesen auf; die nun wie eine Reminiszenz an das Vorherige erinnern. Das passt zu der Stadt, die bis heute so sehr von ihrer Vergangenheit lebt. Durch Witzigmanns Eingriffe ist ein langer, luftiger und heller Raum mit offener Küche entstanden, an den das Schlafzimmer angrenzt. Die Trennwand mit integrierten Fenstern aus Nussbaumholz und Birke hat Witzigmann gemeinsam mit ihrem Schreiner in Venedig gefertigt. Folgt man dem Wohnraum am entgegengesetzten Ende um die Ecke, warten dort noch ein kleines Gästezimmer.
In Italien zu leben, bedeutet auch, das Draußen zu nutzen: Einer der schönsten Orte der Wohnung ist die große Terrasse mit Blick auf den Innenhof. Über die gesamte Länge des Apartments erstreckt sich außerdem ein schmaler Balkon, der fast 17 Meter lang ist.
Wie die Vintage-Expertin ihre Möbel auswählte
Für das Interieur hat sie sich Zeit genommen – anders, als wenn sie für ihre Kund:innen arbeitet, gab es schließlich auch keine Deadline. Lange stand im Schlafzimmer deshalb nur das Tobia Scarpa-Bett aus den Fünfzigerjahren, das sie Secondhand auf einer italienischen Kleinanzeigen-Plattform erwarb.
Die Tagesdecke darauf hat sie selbst entworfen, sie wird von ihrer Polsterin in München genäht und ist in kleiner Auflage bei Andreas Murkudis in Berlin erhältlich. Überhaupt hat Witzigmann hier viel selbst gestaltet, auch die Küche stammt aus ihrer Feder. Die Marmorplatte war allerdings so schwer, dass sechs Möbelschlepper sie tragen mussten. Die Anreise erfolgte natürlich mit dem Boot. „Deshalb überlegst du dir in Venedig fünfmal, ob du etwas wirklich haben willst“, sagt die Interiordesignerin.
Witzigmann gilt als Vintage-Expertin und auch in ihrem venezianischen Apartment hat sie auf Möbel mit Lebenserfahrung gesetzt. Am Esstisch, ein Vintagestück ohne namentlich bekannte:n Urheber:in, stehen Holzstühle von Vico Magistretti für Cassina. Im hinteren Teil des Wohnraums thront ein rotes Sideboard namens „Bramante“, das in den Siebzigern von Kazuhide Takahama für die Kollektion „Ultrarazionale“ für Simon Gavina designt wurde. Das Sofa hingegen hat sie selbst gebaut. Wenn man die Polster abnimmt, verwandelt es sich in ein weiteres Gästebett.
Aber wie kriegt man all diese Materialien und Möbel in die eigenen vier Wände? Die Stadt sei, anders als man es vielleicht annehmen würde, urpünktlich. „Venedig ist ein Uhrwerk“, sagt sie. „Alle Handwerker waren pünktlich, jedes Vaporetto kommt auf die Minute.“ Ist Venedig etwa bayerischer, als man denkt?
Deshalb empfindet Witzigmann Venedig als entschleunigend
Für Witzigmann ist das nicht wichtig, ihr Tagesablauf in Venedig unterscheidet sich nämlich ganz deutlich von dem in München. „Hier gehe ich in einer kleinen Bar um die Ecke frühstücken. Da gibt es Kaffee und Cornetto und tolle kleine Sandwiches, außerdem frischgepressten Orangensaft“. Überhaupt würden die Mahlzeiten in Italien viel deutlicher den Tagesablauf bestimmen. „Venedig zwingt mich zu maßloser Entschleunigung“, sagt Witzigmann lachend, die ihre Tage hier mit ihrem Partner, ihren Kindern oder alleine verbringt. Dann liegt sie auf der Terrasse und liest ein Buch, „was für mich genauso erholsam ist, als wenn ich irgendwo am Strand liegen würde.“
Weihnachten feiert ihre Familie mittlerweile immer hier. Dann nämlich ist die Stadt besonders magisch. Ist der Winter also doch am besten? „Klar ist es im Winter total schön“, sagt die Gestalterin. „Aber nach Venedig muss man auch im Herbst, im Frühling und sogar im Sommer.“















