Keine Angst vor Farbe – und Sportgeräten im Wohnraum: So richtete ein junges, kreatives Paar seine Berliner Altbauwohnung ein

Ist das eine Sprossenwand oder ein Kunstwerk? Beides! In Berlin leben Denis Olgac und Sera Akyazici mit junger Kunst, den Arbeiten zeitgenössischer Designer:innen und ausgewählten Vintage-Funden – und beweisen, wie viel Spaß Design machen kann. Für thirtysomething haben wir sie besucht.
Sera Akyazici und Denis Olgac
Volker Conradus/Kunst: Nik Kosmas

Farbe, Form, Fitness: thirtysomething zu Hause bei Denis Olgac und Sera Akyazici in ihrer Wohnung in Berlin.

Manchmal macht man eine Tür zu einer Wohnung auf und glaubt, ihre Bewohner:innen direkt ein bisschen besser zu kennen. Sie zu verstehen und greifen zu können. Das Zuhause von Denis Olgac und Sera Akyazici ist einer dieser Orte. Ihre 146 Quadratmeter große Altbauwohnung ist verspielt, lustig, experimentell, intellektuell; lauter Attribute, die Gefahr laufen, flach zu wirken, aber doch so zutreffend auch für den Künstler und die Community-Expertin sind.

Denis Olgac ist Gründungsmitglied des interdisziplinären Studios Sucuk und Bratwurst, Sera Akyazici hat gerade Tourist lanciert, ein Netzwerk für Kreativschaffende aus der ganzen Welt. Zusammen betreiben sie außerdem das Label Very Shy Sun.

Wir trafen die beiden an einem sonnigen Vormittag in ihrer Wohnung, die streng genommen in Mitte liegt, sich aber viel mehr nach Kreuzberg anfühlt. Und während manche Menschen in die Küche oder aufs Sofa laden, trifft man sich bei Denis und Sera auf den bunten Tatami-Matten. Sie sind das Herzstück der Wohnung, dienen als Treffpunkt, Arbeitsplatz, Ort für Kaffeepausen – und manchmal auch einfach ihrem ursprünglichen Zweck: dem Stretching.

Wohnzimmer mit bunten Turnmatten und rotem Regal in einem Altbau in Berlin

Tatami-Matten im Wohnzimmer. Das rote Regal entwarf Olaf von Bohr in den 1960er-Jahren für Kartell. Gefunden haben Sera und Denis es im Vintage-Shop Ain’t no Trash.

Volker Conradus/Kunst: Nik Kosmas

Zu Besuch bei Sera Akyazici und Denis Olgac in ihrer Berliner Altbauwohnung

Ihr habt euch beim Sport kennengelernt, heute liegen bunte Tatami-Matten in eurer Wohnung. Wie bringt euch Sport zusammen?

Sera: Man kann Denis wirklich nicht in einer Bar oder in einem Club treffen – ich hatte während der Corona-Pandemie das Glück, ihm im Böcklerpark in Kreuzberg wieder zu begegnen. Sport war von Anfang an ein großer Teil unserer Beziehung, weil wir beide Sportfreaks sind.

Verbringt ihr auf den Matten mehr Zeit als auf dem Sofa?

Sera: Ich habe eineinhalb Jahre lang in Japan gelebt – Tatamis waren mein täglicher Komfort.

Denis: Wir gehen oft ins Fenriz-Kampftraining am Moritzplatz und haben immer gedacht, es wäre superschön, es als unser Wohnzimmer zu haben. Die Matten ermutigen uns, dass wir uns die ganze Zeit dehnen.

Kommen euch beim Stretching die besten Ideen?

Sera: Wir trainieren viel, arbeiten aber auch zu viel. Obwohl unser Alltag fast siebenmal pro Woche mit Sport beginnt, verbringen wir auch viel Zeit am Computer, sprich im Sitzen. Wir starten den Tag mit Denis’ großartiger Barista-Cappuccino-Kunst und dehnen uns. Den Tag auf unseren Matten zu beginnen, ist unser Morgenritual, um in Ruhe zu starten. Sanft zu meinem Körper zu sein, lässt meine Ideen definitiv besser fließen – aber die besten Ideen kommen mir, wenn ich sie laut gegenüber Denis ausspreche.

Denis: Es gibt so viele Möglichkeiten, gute Ideen zu entwickeln. Manchmal ist es so einfach wie ein Rechtschreibfehler bei WhatsApp, der den kreativen Fluss in Gang bringt. Und manchmal ist Sport die Antwort. Sera und ich machen regelmäßig Brainstorming-Sitzungen auf den Matten.

So richtete das Paar seine Wohnung ein

Inwiefern repräsentiert eure Wohnung euch?

Sera: Verspieltheit, Bewegung und Farben sind ein großer Teil meiner Persönlichkeit. Das Spielen ist wichtig in unserem Leben, und ich finde es sehr wichtig, dass wir das kleine Kind in uns, unabhängig von unserem Alter, nicht verlieren. Wenn man ans Spielen denkt, wird Bewegung zu einem unvermeidlichen Muss – was definitiv ein großer Teil meiner Persönlichkeit ist, da ich ziemlich hyperaktiv bin. Ein weiteres, sehr wichtiges Element sind Farben, in meinem Leben und in unserer Wohnung. Genauso wie wir als Kinder mit bunten Buntstiften gemalt haben, ist es für mich fast unmöglich, an einen Raum zu denken, der ohne Farben und runde Formen auskommt. Ich mag keine Ecken, wir müssen in Kreisläufen denken und fühlen. Auch die neue Website meines Unternehmens Tourist spiegelt meine Persönlichkeit wider.

Denis: Kunst und Sport sind wichtige Teile unseres Lebens. Sie haben einen großen Einfluss auf unsere Wohnung. Graffiti hat mir beigebracht, wie man kreativ und spielerisch mit Einschränkungen umgeht. Ich habe mir 3D über Youtube selbst beigebracht, also habe ich einen spielerischen Ansatz für das Programm. Diese Verspieltheit sieht man auch in unserem Wohnraum. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, das Leben nicht zu ernst zu nehmen.

Denis, die Wohnung war früher auch euer Büro. Wann bist du, Sera, eingezogen? Wie hat sich die Wohnung verändert?

Denis: Genau, die Wohnung war seit 2018 das Büro von Sucuk. Sera ist im Dezember 2023 eingezogen. Das Interieur war vor dem Einzug von Sera ziemlich minimalistisch und eher unentspannt. Zusammen mit ihr ist die Wohnung definitiv bunter und gemütlicher geworden – wie man auch an unseren gemütlichen Filikli-Teppichen aus Afyon, Anatolien, und dem „Üç kanatlı“-Kilim aus Van sehen kann, von unserer lieben Freundin Beyza von Wild Heart Free Soul.

Rotes Regal  und roter Stuhl

Olaf von Bohrs modulares Regal für Kartell, daneben Eero Aarnios roter Kunststoffstuhl.

Volker Conradus

Du bist Künstler. Wenn man so viel in 3D und mit Animationen arbeitet, kriegt die physische Welt eine andere Bedeutung?

Denis: Wenn du den ganzen Tag am PC bist – und das ist beim Arbeiten in 3D selbst mit Unterstützung durch KI ziemlich unvermeidlich –, wird dir bewusst, wie wichtig es ist, eine Pause einzulegen und dich zu bewegen. Du schätzt die Vorteile von Sonnenschein und frischer Luft.

Mit Sucuk und Bratwurst habt ihr zwei Möbelstücke entworfen. Könnte da noch mehr kommen?

Denis: In Deutschland braucht es mehrere Tests und Genehmigungen, bevor ein Stuhl auch als solches Produkt verkauft werden kann. Aus diesem Grund wurde unser erstes Möbelstück stattdessen als funktionale Kunstskulptur definiert. „Zenomorph“ haben wir 2022 während des Salone del Mobile Milano im Spazio Maiocchi präsentiert, ein Jahr später kam „unsTABLE“ in Zusammenarbeit mit Highsnobiety, das auf der folgenden Milan Design Week präsentiert wurde. Ich bin mir sicher, dass noch mehr kommen wird.

Ihr hättet gerne die Küche umgebaut und habt sie sogar gerendert – erzählt mir von eurer Idee! Und wäre so etwas spannend, in eine so ganz traditionelle Möbelbranche einzutreten?

Denis: Als Sera eingezogen ist, wollten wir unsere Küche komplett grün gestalten, mit 3D-gedruckten Obst- und Gemüsegriffen und nur runden Kanten. Da ich diese Küche mit einem Freund von mir entworfen habe, kamen Sera und ich auf das Konzept Hello Kitchen. Die bunte Küchengestaltung hat uns wirklich begeistert.

Sera: Denis und ich können mit allen Arten von Ideen verrückt werden und sie auf eine neue Ebene bringen. Hello Kitchen ist definitiv eine davon, vielleicht lässt sie sich irgendwann umsetzen.

Sera, du hast Tourist gegründet. Was bedeutet dir Community?

Gemeinschaft bedeutet einen sicheren Raum, in dem man sich mit seiner gewählten Familie umgibt. Für mich ist es fast ein Gefühl, wie wir (zumindest ich) uns als Kinder vorgestellt haben, auf den Wolken zu liegen. Gemeinschaft bedeutet eine kollektive Akzeptanz und Wertschätzung deiner Träume und auch ein sanftes Anstoßen, die Träume zu verwirklichen.

Sera, du bist aus Istanbul, Denis, du kommst aus Mainz. Für Tourist stellst du Kreativschaffenden immer die folgende Frage: What does being a tourist mean to you? Ich würde sie für euch beide gern umdrehen: Was bedeutet es, zu Hause zu sein?

Sera: Ich nenne Istanbul mein Zuhause. Da die Stadt fast 16 Millionen Einwohner hat, bin ich in einer Umgebung aufgewachsen, in der sich mein Umfeld oft chaotisch anfühlte – und dieses Gefühl war für mich Zuhause. In Istanbul gibt es immer mehr zu entdecken und herauszufinden, was mich manchmal immer noch wie einen Touristen fühlen ließ. Als ich in Amsterdam lebte, fühlte sich die Stadt nach drei Jahren zu klein an, und ich musste mich auf neue Abenteuer einlassen. 2017 war ich in Tokio, da war ich auf eine seltsam vertraute Weise zu Hause. Daher glaube ich, dass Zuhause für mich ein Ort ist, an dem es nicht langweilig wird und die Stadt dich immer wieder überrascht.

Denis: Es hat eine Weile gedauert, bis Sera mich überzeugt hat, das Videointerview für Tourist zu machen. Ich hatte das Gefühl, dass bereits so viel darüber gesagt wurde, was zu Hause bedeutet. Aber gleichzeitig hat es mich dazu gebracht, mehr darüber nachzudenken. Für mich bedeutet zu Hause, eine Routine zu haben. Als Local hat man seine bevorzugten Sportplätze, man weiß, wo man danach den besten Kaffee bekommt und wo es leckeres Essen gibt. Eine Routine ist das, wonach ich mich sehne, wenn ich zu lange von zu Hause weg bin.

Habt ihr in Berlin euer Zuhause gefunden?

Sera: Ja und nein. Ja, weil ich momentan das Gefühl habe, dass Berlin in Bezug auf Arbeit und Kreativität die beste Stadt ist, in der ich sein könnte, da sie mir den richtigen Druck gibt, um meine Träume zu übertreffen. Nein, weil die Stadt mich nicht genug überrascht, und ich intuitiv spüre, dass ich bald zu einem neuen Ziel aufbrechen könnte – das wir hoffentlich ein zweites Zuhause nennen können –, vielleicht Taipeh, vielleicht Mexiko-Stadt, vielleicht wieder Tokio, wer weiß! Ich bin immer eine Touristin im Herzen.

Denis: Berlin macht momentan auch viel Sinn für mich. Ich bin seit fast zwei Jahren in unserem neuen Büro mit Sucuk und Bratwurst und gerade dabei, das Team zu erweitern. Ich habe meine Lieblingsorte zum Trainieren und kenne die Stadt wie meine Westentasche – ich liebe es. Das bedeutet nicht, dass ich nicht bereit bin, neue Dinge auszuprobieren. Mal sehen, wo wir enden.

Mehr Einblicke in die Wohnung von Denis Olgac und Sera Akyazici

Sera Akyazici und Denis Olgac

Denis, 31, und Sera, 27 hängen an einer Sprossenwand des Künstlers Nik Kosmas.

Volker Conradus/Kunst: Nik Kosmas
Homegym Bunte Tatamimatten mit Kunst von Nik Kosmas

Die Tatami-Matten sind ein zentraler Bestandteil der Wohnung des Paares: Sie dienen als Treffpunkt, Arbeitsplatz, Ort für Kaffeepausen – und manchmal auch einfach ihrem ursprünglichen Zweck: Stretching.

Volker Conradus/Kunst: Nik Kosmas
In der Küche steht ein weiterer Eero AarnioStuhl das Regal ist von USM mit Keramik von Raphael Bordallo Pinheiro.

Rot-Grün-Schwäche: In der Küche steht ein weiterer Eero-Aarnio-Stuhl, das Regal ist von USM mit Keramik von Raphael Bordallo Pinheiro.

Volker Conradus
Grüner Küchentisch

Die Kerzen auf dem Küchentisch sind Fundstücke.

Volker Conradus
„Kilim „Üç kanatlı“ von Wild Heart Free Soul die Leuchte war ein VintageFund inspiriert von Verner Pantons „Wonderlamp“....

Kilim „Üç kanatlı“ von Wild Heart Free Soul, die Leuchte war ein Vintage-Fund, inspiriert von Verner Pantons „Wonderlamp“. In der Flucht eine Arbeit von Sucuk und Bratwurst.

Volker Conradus/Kunst: Nik Kosmas, Sucuk und Bratwurst, Nik Kosmas x Sucuk und Bratwurst
Gelbe Kommode von USM Haller

Vintage-Vase im Flur. Die kleine Kugelleuchte auf dem USM links ist von Bocchi.

Volker Conradus/Kunst: Yung Hurn
Wohnzimmer mit TogoSofa daneben eine Stehleuchte und einem Zimmerbaum

Im Wohnzimmer lassen sich die Togos zu einer Sitzlandschaft zusammenschieben. Pflanze via Die Palme Berlin.

Volker Conradus
„Mantisse“  von Sucuk und Bratwurst

Ein Tippfehler inspirierte Sucuk und Bratwurst zur Serie „Mantisse“ – eine Gottesanbeterin in avantgardistischem Blau.

Volker Conradus/Skulptur: Sucuk und Bratwurst
Der ZigarettenAnzug „SMOKING sKILLS“

Der Zigaretten-Anzug „SMOKING sKILLS“ wurde von einer Stuntfrau getragen – und angezündet. Das dazugehörige Foto hängt im Flur.

Volker Conradus/Kunst: Sucuk und Bratwurst
Schlafzimmer mit einem Spiegel hinter dem Bett und einer Reckstange daneben

Blickfang im Schlafzimmer ist der „Zooom Rug“ von Haus Otto für Bottone Objects.

Volker Conradus/Skulpturen: Nik Kosmas
Objekte von Nik Kosmas.

Objekte von Nik Kosmas.

Volker Conradus/Skulpturen: Nik Kosmas
Objekte von Nik Kosmas im Schlafzimmer. Teppich Haus Otto für Bottone Objects.

Objekte von Nik Kosmas im Schlafzimmer. Teppich: Haus Otto für Bottone Objects.

Volker Conradus/Skulptur: Nik Kosmas
Vintagedeckenleuchte in Grasgrün.

Halb Raumschiff, halb Trockenhaube: Vintage-Deckenleuchte in Grasgrün.

Volker Conradus
AlienChair von Sucuk und Bratwurst

Den „Alien Chair“ entwarf Sucuk und Bratwurst, vorgestellt wurde er während des Salone im Spazio Maiocchi.

Volker Conradus
Denis Olgac und Sera Akyazici

Das Licht im Treppenhaus hat Vermeer-Qualität.

Volker Conradus
Sera Akyazici und Denis Olgac.

Sera Akyazici und Denis Olgac.

Volker Conradus
Detailaufnahme im Treppenhaus.

Detailaufnahme im Treppenhaus.

  • Produktion: Thomas Skroch