Bye-bye, Minimalismus? Warum der Maximalismus in Ihrem Zuhause so viel mehr Persönlichkeit und Wärme verleiht

Der Einrichtungsstil Maximalismus war eigentlich nie ganz weg. Dafür ist er zu sympathisch. Und dafür passt er auch zu gut zu unserem Leben
Ashley Hicks Martina Mondadori Maximalismus Mailand
Guido Taroni

Der Maximalismus ist sympathisch, positiv, und er entspricht in der Art, in der er entsteht, auch unserem Leben. Denn Dinge zu bewahren und anderen damit eine Freude zu machen, liegt im Wesen der Menschen.

Wörter, Sätze, Sprache im Allgemeinen: Manchmal kommen sie einem vor wie Hilfskonstruktionen. Sie umschreiben die Dinge, aber sie beschreiben sie nicht. Der Begriff Maximalismus ist ein gutes Beispiel: Seit einiger Zeit bezeichnet er einen bestimmten Stil, häufig als Gegensatz zum Minimalismus. Aber was heißt Maximalismus? Eines ist sicher: Es ist die Lust, Räume zu schmücken und mit Gegenständen zu füllen, bis die Lage etwas unübersichtlich wird. Und das haben die Objekte, Bilder und Skulpturen, die Sessel, Schränke und Kommoden, die Vasen, Schalen, Leuchten und Spiegel definitiv gemeinsam. Sie sind ihren Besitzer:innen so wichtig, dass sie sie nicht verstecken wollen.

Der Stil Mix and (don’t) Match ist sehr alt – und gleichzeitig ist er sehr jung

Wenn man alte Fotos des Ateliers von Hans Makart betrachtet, einem im späten 19. Jahrhundert sehr erfolgreichen österreichischen Gesellschaftsmaler, dann sieht man Teppiche an den Wänden und auf Tischen, Sessel, Stühle, Pflanzen in großen Töpfen und Gemälde überall. In seinem grenzenlosen, überbordenden Gestaltungsdrang war dies das Gegenteil von langweilig. Und so empfanden es auch die Wiener, die es sich leisten konnten. Sie nahmen Makart als Stilvorbild und ließen ihre Wohnungen und Häuser einrichten wie seine damals weithin bekannte Malwerkstatt.

Cristiana Agnelli Renzo Mongiardino Paris Maximalismus

Renzo Mongiardino richtete für seine Freundin Cristiana Agnelli in Paris in den Sechzigerjahren ein kleines Hôtel particulier ein, hier sieht man die Kombination Küche/Bibliothek. Der Tisch mit den Steinintarsien ist italienisch, der Teppich schwedisch, die Stühle sind aus dem 19. Jahrhundert, und die Deckenleuchte aus Muscheln ist von Jean Cocteau inspiriert.

Stefan Giftthaler

In den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts tauchte der „Mix and (don’t) Match“-Stil wieder auf – in den Interieurs von David Hicks, Renzo Mongiardino und Anouska Hempel, der späteren Lady Weinberg, in den Landhäusern, die David Mlinaric designte, oder in Nancy Lancasters Yellow Room in Mayfair (sie hatte 1945 von ihrem Mann die Firma Colefax and Fowler geschenkt bekommen, wohl damit sie ihm seine Affären verzieh. Nancy Lancaster ließ sich trotzdem scheiden, noch im selben Jahr). Sie mischten alles mit allem, über Epochen und Genres hinweg. Streng betrachtet passte bei ihnen nichts zusammen, das war ja gerade die Idee. David Hicks Sohn Ashley und seine Ehefrau und Geschäftspartnerin Martina Mondadori machen das auf bezaubernde Art noch immer so.

Cristiana Agnelli Renzo Mongiardino Salon Paris Maximalismus

Noch einmal das Haus von Cristiana Agnelli: Im Salon kommt so einiges zusammen – Kunst, die der Hausherrin schon immer gehörte, Stühle, die Mongiardino mit einem Tiger-Print von Nobilis beziehen ließ. Und ein Paravent vom Flohmarkt, damit Agnelli im Sommer das schwarze Loch am Kamin nicht sehen muss.

Stefan Giftthaler

Der Adel hat immer maximalistisch gelebt, es gab so viel zu erben – und zu bewahren

Tatsächlich war der Maximalismus nie ganz weg. Der Adel hatte seit jeher so gelebt – dort gab es von Generation zu Generation einfach immer so viel zu vererben. Und das hieß auch: so viel aufzubewahren. Was bedeutete, die alten Möbel und Bilder wurden immer mehr. Und immer noch mehr. Es ist kein Zufall, dass die meisten der eben erwähnten Interior-Stars ihre Karrieren in England begannen, dem Land, das robuste Klassenschranken zur Staatsraison erhob und wo Aristokratie und landed gentry in Stilfragen seit Jahrhunderten den Ton angaben.

Renzo Mongiardino Cristiana Agnelli Paris Maximalismus

Die Enfilade im Hôtel particulier von Cristiana Agnelli: Renzo Mongiardino wusste genau, wie seine Kundschaft wohnen möchte: Er selbst wuchs in Genua in einem Barockpalast auf.

Stefan Giftthaler

Aus diesem Grund wurden später auch Innenarchitekten wie Jacques Garcia und Alberto Pinto groß. Sie stammten beide aus dem zweiten Land, in dem lange Zeit robuste Klassenschranken herrschten und der Landadel den Ton angab: Frankreich. Ihr Maximalismus war oft unverhohlen feudal, ja man konnte den Eindruck gewinnen, dass Auftraggeber:innen, die kein Hôtel particulier in Paris oder wenigstens ein Schloss in der Normandie besaßen, bei ihnen eigentlich nicht willkommen waren.

Jacques Garcia Château de Villette Paris Maximalismus

Arbeitsumfeld Schloss: Jacques Garcia hat in den letzten fünfzig Jahren Hotels, Häuser, Wohnungen eingerichtet, doch am liebsten waren ihm Adelssitze. Und irgendwann besaß er selbst auch einen. Hier das von ihm gestaltete Château de Villette in der Nähe von Paris.

Styling Thibaut Mathieu/Foto Julien Oppenheim
Château de Villette Salon Jacques Garcia Maximalismus StilMix

Einer der Salons im Château de Villette: Selbst wenn man es nicht auf den ersten Blick erkennt, mischen sich auch hier Epochen, Stile, Herkünfte – darin erlangte Garcia schnell höchste Meisterschaft.

Styling Thibaut Mathieu/Foto Julien Oppenheim

Maximalismus braucht keine großen Bühnen, manchmal tut es auch die kleine Hütte

Einen anderen Ansatz verfolgen Laura Sartori Rimini und Roberto Peregalli aus Mailand. Renzo Mongiardino war ihr Mentor, aber sie widmen ihre Fantasie, ihr Wissen und ihr Interesse an Philosophie und historischer Architektur auch den kleinsten Hütten. Ihrer Zweizimmerwohnung in Paris etwa, dem Pied-à-terre von Laura Sartori und ihrer Tochter in London oder einem äußerlich unscheinbaren, dafür im Inneren umso vornehmeren Holzhaus am Tegernsee.

Laura Sartori Rimini Roberto Peregalli Holzhaus Tegernsee

Für einen ihrer Stammkunden richteten Laura Sartori Rimini und Roberto Peregalli aus Mailand in Oberbayern dieses Holzhaus ein. Von außen glaubt man nicht, was einen drinnen erwartet.

Robert Rieger
Laura Sartori Rimini Roberto Peregalli Maximalismus Oberbayern

Nämlich zum Beispiel dies: alte portugiesische Fliesen und bedruckte Tapeten an den Wänden, bemalte Kassettendecken und historisches Parkett, das aus Abbruchhäusern gerettet wurde – plus ein paar Sachen, die der kunstsinnige Auftraggeber mitbrachte.

Robert Rieger

Auch der Landhaus-Stil ist im Grunde nichts anderes als Maximalismus

Und weil bei AD gerade der Landhausstil gefeiert wurde – wie Fiona Bornhöft schreibt, ist auch der maximalistisch. Oder wie soll man das nennen, was Nicola Harding auf ganz entzückende Weise mit einem ehemaligen Bauernhaus in England anstellte? Farben, Formen, Muster, Vintage-Möbel und neue Tische und Sessel, Fliesen an den Wänden und am Boden – es ist ein wundervolles Durcheinander, in dem man am liebsten sofort ein paar Jahre verbringen möchte, nur damit man keines der Details verpasst.

Nicola Harding London Bauerhof England Maximalismus

Und wo wir gerade bei Holzhäusern sind: Nicola Harding aus London richtete diesen ehemaligen Bauernhof für eine britische Familie ein, hier eines der Wohnzimmer, mit dem Harding zeigt, wie man Maximalismus und Gegenwart verbinden kann. Die Möbel sind vintage mit neuen Bezügen, am Kamin hat sie marokkanische Fliesen anbringen lassen. Gemälde von Jason Thompson.

Dean Hearne

Maximalismus ist sympathisch – man will damit auch anderen eine Freude machen

Es muss also nicht unbedingt immer ein Palast sein. Und an sich ist der Maximalismus sehr sympathisch. Er hat etwas Großzügiges, Lebensbejahendes. Und ist, wie schon Hans Makarts Maleratelier bewies, ein wirksames Antidot gegen Eintönigkeit. Menschen, die sich mit so vielen schönen Dingen umgeben, tun es nicht nur für sich – sie wollen, dass andere daran teilhaben, um ihnen Freude zu bereiten. Und auch das stimmt: Obwohl der Maximalismus seine Wurzel in der Aristokratie hat, ist er heute ziemlich egalitär. Denn in einer eklektischen Umgebung muss nicht alles zwangsläufig ein extrem wertvolles Unikat sein. Entscheidend ist, dass es einem gefällt. Dass man Geschichten darüber erzählen kann. Dass man weiß, woher man das Stück hat und weshalb es dort ist, wo es ist.

Nicola Harding Bauernhof England Maximalismus Zellige Fliesen

Ein zweiter, kleinerer Salon im umgebauten Bauernhaus von Nicola Harding: Möbelmix, kräftige, in der Kombination auch etwas gewagte Farben, noch einmal die bezaubernden marokkanischen Zellige-Fliesen an den Wänden – schon hat man eine ultrawirksame Medizin gegen Langeweile.

Dean Hearne

Wie Maximalismus im nun bald zu Ende gehenden Jahr 2025 funktioniert, zeigt der französische Architekt und Interiordesigner Paul du Pré de Saint Maur, ironischerweise Abkömmling einer alten Adelsfamilie aus der Region Brie nördlich von Paris. Im Burgund hat er einem verwunschenen Schloss eine Frischzellenkur verordnet, Altes mit etwas weniger Altem vermengt und ein paar neue, klassische Möbel mit dazugestellt: Das Resultat ist umwerfend elegant und so jung wie er selbst (er ist Jahrgang 1995).

Wenn man es sich genau überlegt, kann der Maximalismus gar nicht aus der Mode kommen – dafür entspricht er dem menschlichen Wesen zu sehr.

Mehr Beispiele zum Maximalismus

Paul du Pr du Saint Maur Schloss Burgund Maximalismus

Dieses verwunschene Schloss im Burgund bot dem Innenarchitekten Paul du Pré du Saint Maur Gelegenheit zu beweisen, dass der Maximalismus jung und knackig ist wie er selbst (er ist dreißig).

Styling Sarah de Beaumont/Foto Jukka Ovaskainen
Paul du Pr de Saint Maur Burgund Schloss Maximalismus

Wände in Creme und einem dunklen Pompei-Rot, Sessel und Sofa im Art-déco-Stil, Lunettenbilder und historische Boisserien an den Türen; ein Teppich von Nordic Knots und ein Couchtisch aus den 1930er-Jahren aus Italien: Das ist die Frischzellenkur, die du Pré de Saint Maur dem burgundischen Schloss verordnete.

Styling Sarah de Beaumont/Foto Jukka Ovaskainen
du Pr de Saint Maur Schloss Esszimmer Maximalismus

Tisch und Stühle aus dem 19. Jahrhundert machen im Zusammenspiel mit dunklen Wandgemälden Atmosphäre, die das neue alte Parkett, ein auffallendes Gelb und ein Altrosa wirkungsvoll beleben: Esszimmer in dem Schloss, das Paul du Pré du Saint Maur gestaltete.

Styling Sarah de Beaumont/Foto Jukka Ovaskainen
Atelier Hans Makart Maler Maximalismus Wien Josef Löwy

Der österreichische Fotopionier und Unternehmer Josef Löwy fotografierte das Atelier des Malers Hans Makart in Wien in den 1880er-Jahren – die Einrichtung wurde zum viel kopierten Stilvorbild in der K.-u.-k.-Monarchie.

Ashley Hicks Martina Mondadori Mailand Maximalismus

Ashley Hicks, der Sohn des legendären Londoner Einrichters David Hicks, ist auch Interiordesigner geworden, genau wie seine Frau und Geschäftspartnerin Martina Mondadori: So haben die beiden ihre Mailänder Wohnung eingerichtet – Muster überall, alte Möbel, eine Kommode aus Japan, was das Leben eben so alles bringt.

Guido Taroni
Ashley Hicks Martina Mondadori Maximalismus Mailand

Die Chefredakteurin eines bekannten deutschen Architektur- und Design-Magazins schrieb einmal über die Art, wie Menschen in England ihre Häuser einrichten: „Wenn mir zwei Muster gefallen, passen sie auch zusammen.“ Ein zeitlos schöner Satz – und für Mondadori und Hicks offenbar eine akzeptable Stilanleitung, auch im Schlafzimmer ihrer Mailänder Wohnung.

Guido Taroni
Esszimmer Ashley Hicks Martina Mondadori Schumacher Stoffe

Das Esszimmer in der Wohnung von Mondadori und Hicks – wem hier langweilig wird, der ist es vielleicht selbst. Die Tischdecke „Diamond Ikat“ entwarf Martina Mondadori für Schumacher, die Deckenleuchte stammt von Renzo Mongiardino, er designte sie 1978 für Mondadoris Eltern.

Guido Taroni