Der Space-Age-Stil ist ein Versprechen: Alles ist in Bewegung, alles ist möglich!

In den Fifties kam etwas völlig Neues auf: Dynamik in Kunst und Design. Die Menschen schauten zum Himmel und sahen den Weltraum – als Welttraum. Alles zum Space Age Design, erfahren Sie hier
Nikolaos Xasteros Haus von innen Sammlung Cividino
Stephan Julliard

Space-Age-Design heißt: Nicht einmal der Himmel ist das Limit. Dynamisch und fantasievoll begann eine ganz neue Epoche.

Es ist ziemlich genau 101 Jahre her, dass es dem Astrologen Edwin Hubble gelang nachzuweisen, dass der Andromedanebel nicht in unserer Galaxie lag. Sondern viel weiter entfernt war als gedacht – und diese Entdeckung, die Hubble am Mount-Wilson-Observatorium in Kalifornien gemacht hatte, bedeutete eine Sensation. Zusammen mit Albert Einsteins Relativitätstheorie und der vom belgischen Priester Georges Lemaître aufgestellten These, dass das Universum expandiere, ergab sich so eine faszinierende Mischung: Auf einmal schauten die Menschen zum Himmel und wussten, dass sie nichts wussten. Völlig neue, unvorstellbare Dimensionen, die Ahnung von Unendlichkeit – der Weltraum wurde zum Welttraum.

Damit fing das Space AgeDesign an mit dem Satelliten „Sputnik 1“

Ein süßes kleines Kerlchen - und eines mit enorm großer Wirkung. Am 4. Oktober 1957 schoss die Sowjetunion den 60 Zentimeter großen Satelliten „Sputnik 1“ ins All. Und alle, wirklich alle sahen ganz genau hin. Die einen mit gemischten Gefühlen, die anderen mit Begeisterung.

Es dauerte dann zwar noch eine Weile, aber Mitte der Fünfzigerjahre war es so weit. Am 30. Mai 1955 verkündete die Regierung der Vereinigten Staaten, zur Erforschung dieser unbekannten Größe den ersten künstlichen Satelliten ins All befördern zu wollen.

Die Erforschung des Weltraums war auch ästhetisch ein durchschlagender Erfolg

Worauf die Russen fanden: Das können wir auch. Zwei Jahre und vier Monate später schossen sie Sputnik 1 in den Orbit und lösten damit die sogenannte „Sputnik-Krise“ aus. Wie eigentlich alle Konflikte ist das rückblickend schwer zu verstehen, denn Sputnik 1 war ein kleines, richtig süßes Kerlchen. Man hätte es ohne Mühe auf den Schoß nehmen können. Mit 83 Kilo war es nicht gerade ein Leichtgewicht, aber es war nur 60 Zentimeter groß. Und rund wie ein Ball. Und aus silbern glänzendem sowjetischen Weltraum-Metall. Mit Antennen dran. Für alle, die mit Kunst und Design zu tun hatten: unwiderstehlich.

So entstand der Space Age-Stil. 1957 wurde in Berlin rund um den Hansaplatz im Bezirk Tiergarten die „Interbau“ eröffnet, mit Häusern vom Bungalow über den langen Riegel bis zum Punkthochhaus. Arne Jacobsen und Oscar Niemeyer waren dabei, Egon Eiermann, Walter Gropius und Alvar Aalto. Und mittendrin stand eine Plastik des damals sehr bekannten Berliner Bildhauers Hans Uhlmann. Drei aufragende, schmale Doppelstützen knickten in etwa drei Meter Höhe nach außen ab wie Abschussrampen für Raketen. Daran waren lange dünne Eisenstangen angebracht, an deren Enden Uhlmann Kugeln befestigt hatte – und obwohl er dem Kunstwerk den unverfänglichen Titel „Ohne Titel“ gegeben hatte, sahen sie aus wie Planeten in einer schematischen Darstellung des Sonnensystems.

Poul Henningsens Leuchte „PH Artichoke“ Space AgeDesign pur

Poul Henningsens Leuchte „PH Artichoke“ wird bei Louis Poulsen immer noch produziert: Space Age-Stil pur. Es gibt sie inzwischen in verschiedenen Farben, aber in Schwarz wie hier sieht sie aus wie ein außergalaktischer Stern, der zu allem bereit ist, da mag das Schlafzimmer noch so unschuldig rosa sein.

Foto Louis Poulsen

Ungefähr zur selben Zeit entwarf Poul Henningsen, Däne wie Arne Jacobsen, zwei Leuchten, die heute zu den berühmtesten des 20. Jahrhunderts zählen. Sie werden bei Louis Poulsen immer noch produziert, die „PH 5“ und die „PH Artichoke“. Die eine erinnert an einen chinesischen Sonnenhut, die andere hat tatsächlich etwa von einer Artischocke – aber ebenso gut könnte man beide für Satelliten halten oder für die Sonnensegel einer Raumstation.

Sieht aus wie ein kleiner Satellit PH 5“

Da schwebt doch was im Raum. Richtig, es ist Poul Henningsens Leuchte „PH 5“. Es könnte aber auch ein kleiner Satellit sein, einer fürs Wohnzimmer, passend zu den Sofas in beruhigendem Beige.

Foto Louis Poulsen

In den folgenden fünfzehn Jahren traten sie massenweise auf, geschwungene, windschnittige, stromlinienförmig gebogene Sessel und Stühle, Tische und Hängeleuchten, Liegen und Regale.

Space-Age-Design scheint bereit für das ganz große Abenteuer: den Weltraumflug

Und sie alle machten den Anschein, als seien sie bereit für das eine, das einzige, das ganz große Abenteuer: den Weltraumflug. Es waren Möbel, die auch bei den aufregenden TV-Serien hätten mitspielen können, die damals Familien im Fernsehzimmer zusammenführten: „Raumschiff Enterprise“ oder – der Schocker – „Raumpatrouille Orion“. Space Age war ein Versprechen, war Zukunft. Die Aufbruchstimmung ließ sich mit Händen greifen. Alles war in Bewegung, alles schien möglich.

Im Chalet Nova finden Ausstellungen statt

Der französische Galerist Clément Cividino sammelt tiny houses im Space Age-Design. Das „Chalet Nova“ von Studio Rochel stammt aus dem Jahr 1972 und wird von Cividino in Terra Remota in Katalonien für Keramik-Ausstellungen genutzt – etwa in Kooperation mit der Londoner Galeristin Melissa Paul.

Courtesy Clément Cividino / Stephan Julliard

Architektinnen und Architekten bauten Häuser, die aussahen, als würden sie gleich abheben. Eero Saarinens Terminal 5 auf dem John F. Kennedy-Flughafen in New York und die Tiny Houses, die der französische Design-Händler und Galerist Clément Cividino sammelt, sie sind wie die Ufos aus Steven Spielbergs Science Fiction-Klassiker „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.

Space AgeStil im Bubble House

Jean-Benjamin Maneval entwarf das „Bubble House“ 1968. Fast 50 Jahre später erwarb es ein Sammler und ließ es vom interdisziplinären Kreativstudio Kif von Mélissa Louis und Guillaume Furet und der AD 100-Designerin Dorothée Meilichzon kongenial im Space Age-Stil ausstatten.

Karel Balas

Oder das ellipsoide „Futuro House“ des Finnen Matti Suuronen von 1968: Es bestand nicht nur fast ganz aus dem Material der Stunde, Plastik. Man würde sich auch nicht wundern, wenn es plötzlich anfinge zu sprechen, mit einer künstlich metallisch klingenden Stimme, um Botschaften zu verkünden, die aus den tiefsten Tiefen des Raums kommen. In demselben Jahr designte Jean-Benjamin Maneval das „Bubble House“, auch das ist hauptsächlich aus Kunststoff. Heute steht ein Exemplar auf dem Anwesen eines Sammlers in der Region Vexin im Nordwesten Frankreichs, ein anderes - mit grüner Außenhaut - gehört zur Sammlung von Clément Cividino in Terra Remota in Katalonien.

Das restaurierte „Bubble House“ in Terra Remota Katalonien

Sechs Exemplare ließ Jean-Benjamin Maneval von seinem „Bubble House“ herstellen. Lange krähte kein gallischer Hahn danach, inzwischen ist es eine Rarität, die Design-Liebhaber:innen mit viel Hingabe pflegen - hier die Version, die zu der Sammlung von Clément Cividino gehört.

Courtesy Clément Cividino

Und die Zeit des Space Age-Designs ist noch nicht vorbei. Die Berliner Wohnung des Models Stephanie Giesinger zum Beispiel ist voll davon. Was sich etwas verflüchtigt hat, ist der Ernst der Anfangszeit. Geblieben ist das Augenzwinkern – nicht das Schlechteste, was man über eine Stil-Epoche sagen kann.

Sessel von Sucuk und Bratwurst daneben ein DiskoSpiegel

Space Age reloaded: In der Berliner Wohnung des Models Stephanie Giesinger stehen ein neuer „Zenomorph Chair" des Studios Sucuk und Bratwurst und ein nachgebauter Discospiegel von Nina Marlena Oswald und Lillian Cebe. Der Sessel erinnert daran, wie man sich Aliens in den 1960er Jahren vorstellte.

Volker Conradus
Space AgeStühle am Esstisch

Noch einmal in der Wohnung von Stephanie Giesinger: Auch die Stühle am Esstisch - Space Age, wie es lebt und schwingt und sehr dynamisch seinen eigenen (Flug-)Kurven folgt. Die Hängeleuchte „Arch“ über dem Tisch ist von Oblure.

Volker Conradus
Nikolaos Xasteros Space Age Haus Sammlung Cividino

Könnte auch ein Ufo sein: Ende der Sechzigerjahre machte sich der in Paris ausgebildete griechische Architekt Nikolaos Xasteros daran, seine Variante des kleinen Hauses für die Zukunft zur Serienreife zu bringen. Auch dieses zählt mittlerweile zur Sammlung von Clément Cividino.

Stephan Julliard
Nikolaos Xasteros Haus von innen Sammlung Cividino

Xasteros' Haus von innen, ausgestattet mit Space Age-Design der 1950er bis 1970er Jahre, der Stuhl links ist von Louis Durot, der einen andern seiner Entwürfe „Spiral Chair“ – der Name ist Programm, das Stück sieht aus, als würde es im nächsten Moment abheben. Typisch für den Space Age-Stil sind auch weißen Sessel und die Metallplastik hinten rechts.

Stephan Julliard
Space Age Raumteiler in Wohnung in Paris

Die spiegelnden Elemente, die dieses Wohnzimmer eines Appartements in Paris in zwei Hälften teilen: Die Architektin Bénédice Curt entwarf sie 2024 für ihre Auftraggeber:innen, die eigentlich aus Chicago stammen. Ihre leicht psychedelische Wirkung ist einfach nur – spacig.

Vincent Dessailly
Chalet Nova Studio Rochel Sammlung Cividino

Mit Silberhaut wie ein Satellit aus dem Jahr 1972: Das „Chalet Nova“ von Studio Rochel aus der Sammlung von Clément Cividino bei Tag, hier die Eingangsseite.

Courtesy Clément Cividino/Stephan Julliard