Space-Age-Design heißt: Nicht einmal der Himmel ist das Limit. Dynamisch und fantasievoll begann eine ganz neue Epoche.
Es ist ziemlich genau 101 Jahre her, dass es dem Astrologen Edwin Hubble gelang nachzuweisen, dass der Andromedanebel nicht in unserer Galaxie lag. Sondern viel weiter entfernt war als gedacht – und diese Entdeckung, die Hubble am Mount-Wilson-Observatorium in Kalifornien gemacht hatte, bedeutete eine Sensation. Zusammen mit Albert Einsteins Relativitätstheorie und der vom belgischen Priester Georges Lemaître aufgestellten These, dass das Universum expandiere, ergab sich so eine faszinierende Mischung: Auf einmal schauten die Menschen zum Himmel und wussten, dass sie nichts wussten. Völlig neue, unvorstellbare Dimensionen, die Ahnung von Unendlichkeit – der Weltraum wurde zum Welttraum.
Es dauerte dann zwar noch eine Weile, aber Mitte der Fünfzigerjahre war es so weit. Am 30. Mai 1955 verkündete die Regierung der Vereinigten Staaten, zur Erforschung dieser unbekannten Größe den ersten künstlichen Satelliten ins All befördern zu wollen.
Die Erforschung des Weltraums war auch ästhetisch ein durchschlagender Erfolg
Worauf die Russen fanden: Das können wir auch. Zwei Jahre und vier Monate später schossen sie Sputnik 1 in den Orbit und lösten damit die sogenannte „Sputnik-Krise“ aus. Wie eigentlich alle Konflikte ist das rückblickend schwer zu verstehen, denn Sputnik 1 war ein kleines, richtig süßes Kerlchen. Man hätte es ohne Mühe auf den Schoß nehmen können. Mit 83 Kilo war es nicht gerade ein Leichtgewicht, aber es war nur 60 Zentimeter groß. Und rund wie ein Ball. Und aus silbern glänzendem sowjetischen Weltraum-Metall. Mit Antennen dran. Für alle, die mit Kunst und Design zu tun hatten: unwiderstehlich.
So entstand der Space Age-Stil. 1957 wurde in Berlin rund um den Hansaplatz im Bezirk Tiergarten die „Interbau“ eröffnet, mit Häusern vom Bungalow über den langen Riegel bis zum Punkthochhaus. Arne Jacobsen und Oscar Niemeyer waren dabei, Egon Eiermann, Walter Gropius und Alvar Aalto. Und mittendrin stand eine Plastik des damals sehr bekannten Berliner Bildhauers Hans Uhlmann. Drei aufragende, schmale Doppelstützen knickten in etwa drei Meter Höhe nach außen ab wie Abschussrampen für Raketen. Daran waren lange dünne Eisenstangen angebracht, an deren Enden Uhlmann Kugeln befestigt hatte – und obwohl er dem Kunstwerk den unverfänglichen Titel „Ohne Titel“ gegeben hatte, sahen sie aus wie Planeten in einer schematischen Darstellung des Sonnensystems.
Ungefähr zur selben Zeit entwarf Poul Henningsen, Däne wie Arne Jacobsen, zwei Leuchten, die heute zu den berühmtesten des 20. Jahrhunderts zählen. Sie werden bei Louis Poulsen immer noch produziert, die „PH 5“ und die „PH Artichoke“. Die eine erinnert an einen chinesischen Sonnenhut, die andere hat tatsächlich etwa von einer Artischocke – aber ebenso gut könnte man beide für Satelliten halten oder für die Sonnensegel einer Raumstation.
In den folgenden fünfzehn Jahren traten sie massenweise auf, geschwungene, windschnittige, stromlinienförmig gebogene Sessel und Stühle, Tische und Hängeleuchten, Liegen und Regale.
Space-Age-Design scheint bereit für das ganz große Abenteuer: den Weltraumflug
Und sie alle machten den Anschein, als seien sie bereit für das eine, das einzige, das ganz große Abenteuer: den Weltraumflug. Es waren Möbel, die auch bei den aufregenden TV-Serien hätten mitspielen können, die damals Familien im Fernsehzimmer zusammenführten: „Raumschiff Enterprise“ oder – der Schocker – „Raumpatrouille Orion“. Space Age war ein Versprechen, war Zukunft. Die Aufbruchstimmung ließ sich mit Händen greifen. Alles war in Bewegung, alles schien möglich.
Architektinnen und Architekten bauten Häuser, die aussahen, als würden sie gleich abheben. Eero Saarinens Terminal 5 auf dem John F. Kennedy-Flughafen in New York und die Tiny Houses, die der französische Design-Händler und Galerist Clément Cividino sammelt, sie sind wie die Ufos aus Steven Spielbergs Science Fiction-Klassiker „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.
Oder das ellipsoide „Futuro House“ des Finnen Matti Suuronen von 1968: Es bestand nicht nur fast ganz aus dem Material der Stunde, Plastik. Man würde sich auch nicht wundern, wenn es plötzlich anfinge zu sprechen, mit einer künstlich metallisch klingenden Stimme, um Botschaften zu verkünden, die aus den tiefsten Tiefen des Raums kommen. In demselben Jahr designte Jean-Benjamin Maneval das „Bubble House“, auch das ist hauptsächlich aus Kunststoff. Heute steht ein Exemplar auf dem Anwesen eines Sammlers in der Region Vexin im Nordwesten Frankreichs, ein anderes - mit grüner Außenhaut - gehört zur Sammlung von Clément Cividino in Terra Remota in Katalonien.
Und die Zeit des Space Age-Designs ist noch nicht vorbei. Die Berliner Wohnung des Models Stephanie Giesinger zum Beispiel ist voll davon. Was sich etwas verflüchtigt hat, ist der Ernst der Anfangszeit. Geblieben ist das Augenzwinkern – nicht das Schlechteste, was man über eine Stil-Epoche sagen kann.












