Ein Sommerhaus in Potsdam: In dieser historischen Villa ist die Bibliothek das Herzstück des Hauses

Einst zog es Karen und Wolf Heumann zur Sommerfrische nach Sacrow, in Potsdams nördlichsten Zipfel. Jetzt haben die Berliner hier in einer bald 100 Jahre alten Villa ihr zweites Zuhause gefunden
Karen und Wolf Heumann mit ihrer Hündin Lina
Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Ein Sommerhaus in Potsdam: Aus einer ehemaligen Sommerresidenz schuf sich ein Ehepaar ihren eigenen Zufluchtsort.

„Zu schön, um wahr zu sein“ ist ein Ausdruck, den eingefleischte Skeptiker gern benutzen. Aber es gibt sie ja wirklich, diese Orte, die so atemberaubend sind, dass man zwei-, dreimal mit den Augen blinzeln muss, um sich zu versichern, dass sie tatsächlich existieren. Wenn man in der Bibliothek von Karen und Wolf Heumann steht und durchs Fenster auf das dunkelblaue Wasser der Havel blickt, wähnt man sich an einem dieser Orte.

Die Villa an der Havel mit ihrem großzügigen Garten

Wasserseitig besaß die Villa früher eine Hochterrasse, die bis zur Havel reichte. Weil die Heumanns in einem Naturschutzgebiet leben, war deren Wiederherstellung nicht möglich.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Ein Sommerhaus in Potsdam mit Blick auf die Havel

Als die Werberin Karen Heumann vor über einem Jahrzehnt ihren ersten Besuch in Sacrow plante, sah sie auf dem Navi nur Blau. Ein gutes Zeichen, Karen und ihr Mann Wolf, ebenfalls Werber, lieben das Wasser; ihre Wohnung in Hamburg liegt direkt an der Alster. In Sacrow wollte Heumann ihre Freundin Rebecca Casati besuchen. Die Journalistin war mit ihrem Mann, dem 2014 verstorbenen Feuilletonisten und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, aus der Stadt ans Wasser gezogen. „Dass der Ort nicht nur unheimlich schön, sondern auch geschichtsträchtig ist, erschloss sich mir auf einer Boots­fahrt“, erinnert sich Karen Heumann und macht eine Hand­bewegung in Richtung der als bridge of spies bekannten Glienicker Brücke. „Frank sagte: ,Komm, setz dich ins Boot, ich fahr’ dich ein bisschen rum.‘ Ich freute mich so, dass die beiden diesen Ort gefunden hatten.“

Karen und Wolf Heumann mit ihrer Hündin Lina

Karen und Wolf Heumann, seit über 30 Jahren verheiratet, leben mit ihrer Hündin Lina in Potsdam und Hamburg. Karen Heumann gilt als Deutschlands berühmteste Werberin, war im Vorstand von Jung von Matt, bevor sie die Agenturgruppe Thjnk mitgründete. Als sie letztes Jahr ihre operative Karriere beendete, machte das auch außerhalb ihrer Branche Schlagzeilen. Ihr Mann Wolf ist als freier Berater tätig.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Auch für die Heumanns wurde Sacrow zu einem Sehnsuchtsort. Das Sacrower Schloss ist vor allem für die großartige Gartenanlage bekannt, die Peter Joseph Lenné in den 1840er-Jahren gestaltete. Die großen Bäume, das Graublau der Havel und des Sacrower Sees, die alten Sommerhäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert mit ihrer einzigartigen, so gar nicht uniformen Architektur lockten sie immer wieder her. Als sich vor rund zehn Jahren die Möglichkeit ergab, selbst ein Wassergrundstück zu kaufen, verwarfen sie den Gedanken zunächst – zu teuer, zu groß, außerdem waren sie in Hamburg fest verwurzelt. Aber wäre es nicht interessant, die stattliche Villa, die zum Verkauf stand, zumindest einmal zu besichtigen?

Die Kuppel über dem Treppenhaus

Upstairs, downstairs: Die Kuppel des Treppenhauses bekrönt eine expressionistische Deckenleuchte.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch
Im Flur befinden sich Fliesen im Schachbrettmuster

Wer das Ölbild der sich erholenden Arbeiter am Treppenaufgang gemalt hat, weiß man heute leider nicht mehr. Gefunden hat Heumann es in ihrem Lieblingsgeschäft „L‘objet qui parle“ in Paris.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Der einstige Sommerort der Berliner

In den 1920ern zog es immer mehr Menschen zur Sommerfrische aufs Land. Im Wörterbuch der Brüder Grimm wird die Sommerfrische als „Landlust der Städter im Sommer“ bezeichnet. Auch das Haus, das die Heu­manns schließlich doch begeisterte, wurde 1926 als Sommerresidenz konzipiert. Es hat, wie so viele Häuser am Wasser in Potsdam, eine bewegte Geschichte: Erbaut wurde es von einer jüdischen Familie, die während des NS-Regimes zum Verkauf gezwungen wurde. Danach verliert sich ihre Spur – ob im Exil oder in den Ver­nichtungslagern der Nationalsozialisten, ist unklar.

Ein hellblauer Konsolentisch darüber as Gemälde einer Frau.

Farbe und Lichtstimmung sind Karen und Wolf Heumann wichtiger als das Namedropping von Designmarken und Künstlernamen.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch
Ein Frisiertisch for einen geblümten Tapete

Deshalb finden sich hier vorwiegend Vintage-Möbel, etwa kombiniert mit einer Rankentapete von Cole&Son.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Zurück zu den Wurzeln der Villa

Von der Idee der einstigen Bauherren freilich war nicht mehr viel zu sehen, als sich die Heumanns doch noch zum Kauf entschlossen. Man hatte das große Haus in drei Wohneinheiten aufgeteilt und den Garten stark vernachlässigt. Das Paar, das seit über 30 Jahren verheiratet ist, stellte das Haus in seinem ursprünglichen Grund­riss wieder her. So darf es wieder für sich sprechen, mit alten Steinböden, fast sakral anmutenden Glasfenstern und einem filmreifen Treppenhaus. „Nach dem Kauf saßen wir bei Rebecca, und ich sagte, dass wir gar keine Möbel für das Haus hätten“, erinnert sich Heumann. „Wir gingen in ihren Keller und liefen mit zwei Stühlen und einem Hollywood-Regency-Barwagen ins leere Haus.“ Bis heute stehen die beiden Korbstühle wie gute Freunde nebeneinander im Wintergarten.

Im Wintergarten stehen zwei Stühle mit Gartenblick.

Die Korbstühle im halbrunden Wintergarten waren eigentlich nur als Übergangslösung gedacht und blieben als Dauerleihgabe einer Freundin. Das Kapitänsfernrohr ist antik.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Das Haus als Schatulle einer Sammlerin

Im Rest des Hauses ist die Möblierung reduziert. Es gibt einige Stücke von Ilse Crawford für Ikea (Karen Heumann betreute das Möbelhaus früher als Kunden), außerdem einen langen Esstisch, den sie in Frankreich anfertigen ließ. Die Hausherrin eine Minimalistin zu nennen, wäre aber falsch. Überall hängt alte Kunst; aka­de­­mische Aktzeichnungen von Männern, die Heumann schon seit ihren Stu­dien­tagen sammelt. Im ersten Stock hat sie die Zimmer mit Tapeten von Cole & Son und Pierre Frey verkleidet und Vintage-Schreib- und Schmink­tische mit Gemälden namenloser Künstler gepaart. Und wenn sie sich erst einmal richtig für etwas begeistert, dann beginnt sie zu sammeln: Kohlblatt-Geschirr aus Portugal, handgearbeitete Keramik-Fische aus Vallauris oder Ama­ryllen, die sie in der Küche zieht.

Das Wohnzimmer mit Kamin

In Sacrow leben Karen und Wolf Heumann in einem Landhaus aus dem Jahr 1926. Auf dem alten Kamin lehnt ein Halbakt, ein Fund aus L’Isle-sur-la-Sorgue; der Klapptisch stand früher auf einer alten Yacht. Wenn man vom Sofa durchs Fenster schaut, könnte man fast meinen, der Keramik-Fisch aus Vallauris wäre aus der Havel hereingesprungen.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch
Im Flur steht die Skulptur eines Mannes.

Die Eule gilt als Symbol der Weisheit. Wer sucht, findet im Erdgeschoss mindestens zwei davon – zum Beispiel als Skulptur in der Eggersmann-Küche.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Und dann sind da noch die Bücher: Die Bibliothek ist das Herzstück des Hauses. Der erste Stock wurde von Heumann als Suite konzipiert: „Da wirkt es nicht seltsam, wenn man den ganzen Tag im Pyjama verbringt. Das Lesezimmer bildet die Mitte der En-suite-Räume und ist der intimste Raum dort oben, durch das Grün und Blau der Farben verbindet er sich aber komplett mit dem Außen. Die Meeresbilder, die aus dem Nachlass von Wolfs Großvater stammen, holen die Wasserwelt herein.“

Die Bibliothek dahinter das Schlafzimmer.

Wer nach noch mehr Weisheit sucht, folgt der Reich geschnitzten Treppe in die Bibliothek im ersten Stock, mit maßgefertigten Regalen und Seebildern von Wolf Heumanns Großvater (Wandfarbe: „Mountain Dew“ von Designers Guild). Die DDR-Apotheke im Schlafzimmer dahinter fand das Paar bei Historische Bau­elemente. Tapete von Pierre Frey.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch
Das Badezimmer mit maßgefertigtem Waschtisch und einer Badewanne

Alle Möbel im Bad sind Vintages, die Waschtische ein Maßentwurf.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch

Ein Gartenparadies für Hund und Mensch

Der Garten und das Wasser spielen für das Paar und ihre Hündin Lina vielleicht sogar die größte Rolle. „Wir haben ein Schrägufer angelegt, das für Pflan­zen und Tiere ideal ist. Enten und Gänse kommen so leicht an Land, im Frühjahr bevölkern sie in Scharen das Gras. Am Wassersaum sind Schilf und autochthone Pflanzen wie der Blutweiderich angesiedelt“, erzählt Karen Heumann. Eine Achse aus Maulbeerbäumen, wie sie einst schon Friedrich II. in Potsdam pflanzen ließ,  stellt die optische Verbindung der Villa zur Havel wieder her – einst zog sich eine Hochterrasse mit Orangerie, Boots­haus und Kaimauer zum Ufer. Die Bepflanzung des verwunschenen Gartens mit Horten­sien, Klet­ter­rosen und Blauregen wurde von dem Land­schafts­architekten Thorsten Hinze geplant. Zu jener Verzauberung trägt auch der schmale Steg bei, an dem das Segelboot von Wolf Heumann liegt. „Frauke“ heißt der Schärenkreuzer von 1927. „Dieser schlanke Bootstyp wurde als Rennyacht konzipiert, doch uns begeistert am meisten die knarzende, patinierte, abblätternde Eleganz, die eine unglaubliche Gelassenheit ausstrahlt“, schwärmt Karen Heumann. „,Frauke‘ ist fast exakt so alt wie unser Haus – nicht mehr lange, dann werden die beiden hundert Jahre alt.“

Der Bootsanleger mit eigenem Segelboot.

Ihr Segler „Frauke“ liegt an einem schmalen Steg.

Jordann Wood / Produktion: Thomas Skroch