Ein Sommerhaus in Potsdam: Aus einer ehemaligen Sommerresidenz schuf sich ein Ehepaar ihren eigenen Zufluchtsort.
„Zu schön, um wahr zu sein“ ist ein Ausdruck, den eingefleischte Skeptiker gern benutzen. Aber es gibt sie ja wirklich, diese Orte, die so atemberaubend sind, dass man zwei-, dreimal mit den Augen blinzeln muss, um sich zu versichern, dass sie tatsächlich existieren. Wenn man in der Bibliothek von Karen und Wolf Heumann steht und durchs Fenster auf das dunkelblaue Wasser der Havel blickt, wähnt man sich an einem dieser Orte.
Ein Sommerhaus in Potsdam mit Blick auf die Havel
Als die Werberin Karen Heumann vor über einem Jahrzehnt ihren ersten Besuch in Sacrow plante, sah sie auf dem Navi nur Blau. Ein gutes Zeichen, Karen und ihr Mann Wolf, ebenfalls Werber, lieben das Wasser; ihre Wohnung in Hamburg liegt direkt an der Alster. In Sacrow wollte Heumann ihre Freundin Rebecca Casati besuchen. Die Journalistin war mit ihrem Mann, dem 2014 verstorbenen Feuilletonisten und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, aus der Stadt ans Wasser gezogen. „Dass der Ort nicht nur unheimlich schön, sondern auch geschichtsträchtig ist, erschloss sich mir auf einer Bootsfahrt“, erinnert sich Karen Heumann und macht eine Handbewegung in Richtung der als bridge of spies bekannten Glienicker Brücke. „Frank sagte: ,Komm, setz dich ins Boot, ich fahr’ dich ein bisschen rum.‘ Ich freute mich so, dass die beiden diesen Ort gefunden hatten.“
Auch für die Heumanns wurde Sacrow zu einem Sehnsuchtsort. Das Sacrower Schloss ist vor allem für die großartige Gartenanlage bekannt, die Peter Joseph Lenné in den 1840er-Jahren gestaltete. Die großen Bäume, das Graublau der Havel und des Sacrower Sees, die alten Sommerhäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert mit ihrer einzigartigen, so gar nicht uniformen Architektur lockten sie immer wieder her. Als sich vor rund zehn Jahren die Möglichkeit ergab, selbst ein Wassergrundstück zu kaufen, verwarfen sie den Gedanken zunächst – zu teuer, zu groß, außerdem waren sie in Hamburg fest verwurzelt. Aber wäre es nicht interessant, die stattliche Villa, die zum Verkauf stand, zumindest einmal zu besichtigen?
Der einstige Sommerort der Berliner
In den 1920ern zog es immer mehr Menschen zur Sommerfrische aufs Land. Im Wörterbuch der Brüder Grimm wird die Sommerfrische als „Landlust der Städter im Sommer“ bezeichnet. Auch das Haus, das die Heumanns schließlich doch begeisterte, wurde 1926 als Sommerresidenz konzipiert. Es hat, wie so viele Häuser am Wasser in Potsdam, eine bewegte Geschichte: Erbaut wurde es von einer jüdischen Familie, die während des NS-Regimes zum Verkauf gezwungen wurde. Danach verliert sich ihre Spur – ob im Exil oder in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten, ist unklar.
Zurück zu den Wurzeln der Villa
Von der Idee der einstigen Bauherren freilich war nicht mehr viel zu sehen, als sich die Heumanns doch noch zum Kauf entschlossen. Man hatte das große Haus in drei Wohneinheiten aufgeteilt und den Garten stark vernachlässigt. Das Paar, das seit über 30 Jahren verheiratet ist, stellte das Haus in seinem ursprünglichen Grundriss wieder her. So darf es wieder für sich sprechen, mit alten Steinböden, fast sakral anmutenden Glasfenstern und einem filmreifen Treppenhaus. „Nach dem Kauf saßen wir bei Rebecca, und ich sagte, dass wir gar keine Möbel für das Haus hätten“, erinnert sich Heumann. „Wir gingen in ihren Keller und liefen mit zwei Stühlen und einem Hollywood-Regency-Barwagen ins leere Haus.“ Bis heute stehen die beiden Korbstühle wie gute Freunde nebeneinander im Wintergarten.
Das Haus als Schatulle einer Sammlerin
Im Rest des Hauses ist die Möblierung reduziert. Es gibt einige Stücke von Ilse Crawford für Ikea (Karen Heumann betreute das Möbelhaus früher als Kunden), außerdem einen langen Esstisch, den sie in Frankreich anfertigen ließ. Die Hausherrin eine Minimalistin zu nennen, wäre aber falsch. Überall hängt alte Kunst; akademische Aktzeichnungen von Männern, die Heumann schon seit ihren Studientagen sammelt. Im ersten Stock hat sie die Zimmer mit Tapeten von Cole & Son und Pierre Frey verkleidet und Vintage-Schreib- und Schminktische mit Gemälden namenloser Künstler gepaart. Und wenn sie sich erst einmal richtig für etwas begeistert, dann beginnt sie zu sammeln: Kohlblatt-Geschirr aus Portugal, handgearbeitete Keramik-Fische aus Vallauris oder Amaryllen, die sie in der Küche zieht.
Und dann sind da noch die Bücher: Die Bibliothek ist das Herzstück des Hauses. Der erste Stock wurde von Heumann als Suite konzipiert: „Da wirkt es nicht seltsam, wenn man den ganzen Tag im Pyjama verbringt. Das Lesezimmer bildet die Mitte der En-suite-Räume und ist der intimste Raum dort oben, durch das Grün und Blau der Farben verbindet er sich aber komplett mit dem Außen. Die Meeresbilder, die aus dem Nachlass von Wolfs Großvater stammen, holen die Wasserwelt herein.“
Ein Gartenparadies für Hund und Mensch
Der Garten und das Wasser spielen für das Paar und ihre Hündin Lina vielleicht sogar die größte Rolle. „Wir haben ein Schrägufer angelegt, das für Pflanzen und Tiere ideal ist. Enten und Gänse kommen so leicht an Land, im Frühjahr bevölkern sie in Scharen das Gras. Am Wassersaum sind Schilf und autochthone Pflanzen wie der Blutweiderich angesiedelt“, erzählt Karen Heumann. Eine Achse aus Maulbeerbäumen, wie sie einst schon Friedrich II. in Potsdam pflanzen ließ, stellt die optische Verbindung der Villa zur Havel wieder her – einst zog sich eine Hochterrasse mit Orangerie, Bootshaus und Kaimauer zum Ufer. Die Bepflanzung des verwunschenen Gartens mit Hortensien, Kletterrosen und Blauregen wurde von dem Landschaftsarchitekten Thorsten Hinze geplant. Zu jener Verzauberung trägt auch der schmale Steg bei, an dem das Segelboot von Wolf Heumann liegt. „Frauke“ heißt der Schärenkreuzer von 1927. „Dieser schlanke Bootstyp wurde als Rennyacht konzipiert, doch uns begeistert am meisten die knarzende, patinierte, abblätternde Eleganz, die eine unglaubliche Gelassenheit ausstrahlt“, schwärmt Karen Heumann. „,Frauke‘ ist fast exakt so alt wie unser Haus – nicht mehr lange, dann werden die beiden hundert Jahre alt.“












