So renovierte Kazuyo Sejima für ein Paar ein 53 Quadratmeter-großes Stadthaus.
Das Taxi hält, obwohl unser Ziel noch nicht erreicht ist: Die letzten Meter muss man gehen. Dieses traditionelle Machiya, so nennt man die historischen, aus Holzbalken und Lehmmauern konstruierten Stadthäuser in Japan, liegt im Bezirk Nishijin – in einer Fußgängerzone. Es ist ein kalter Abend im Januar, doch der Ort entfaltet seine Magie, schon wenn man sich ihm nähert. Warmes Licht fällt durch die Lamellen der Fassade, dahinter erkennt man flüchtig seine Bewohner. Sie bereiten offensichtlich gerade das Abendessen zu. Sam Brustad, ein Kommunikationsberater aus Neuseeland, ist vor gut zehn Jahren nach Japan gezogen. Er holt ein Brathähnchen aus dem Miele-Ofen. Als dieses Haus vor einem Jahrhundert gebaut wurde, kochte man noch über offenem Feuer.
Früher teilten sich fünf- oder sechsköpfige Familien ein Machiya (oder genauer, ein Kyomachiya, weil wir in Kyoto sind) – dabei ist dieses nur 53 Quadratmeter groß. Die meisten Familien webten Seide für Kimonos. „Leider stirbt das Handwerk in diesem Viertel aus“, sagt Yuki Shirato, Brustads Lebensgefährte. Viele Einheimische empfinden die alten Häuser als zu klein, zu unpraktisch oder zu teuer im Unterhalt, was Shirato bedauert. In der Präfektur werden jedes Jahr Hunderte abgerissen. Für die übrigen interessieren sich vor allem Geschäftsinhaber oder Betreiber von Restaurants.
Pied-à-terre in Kyoto
Brustad und Shirato, Anwalt beziehungsweise Tech-Unternehmer, wohnen eigentlich in Tokio. Als sie beschlossen, sich ein Pied-à-terre in Kyoto zuzulegen, suchten sie gezielt nach einem Kyomachiya. Sie fanden dieses – es war von der Stadt sogar für seinen vorbildlichen Zustand ausgezeichnet worden. Trotzdem wollten sie es renovieren; Menschen haben heute einfach andere Gewohnheiten als vor einhundert Jahren. Dafür wandten sie sich an die Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima, die Mitbegründerin von SANAA. Shirato hatte sie über gemeinsame Freunde in Tokio kennengelernt. Für Sejima war es das erste Wohnprojekt seit vielen Jahren und die erste Renovierung überhaupt. Aber das Haus und seine Geschichte faszinierten sie. „Ich wollte das Machiya nicht an das moderne Leben anpassen“, sagt sie. „Es war eher umgekehrt, ich fragte mich, wie ich Yuki und Sam ihre Bedürfnisse erfüllen konnte, ohne die alte Struktur zu sehr zu verändern.“
Das bedeutete, dass eine Menge erhalten blieb: die Tsuchikabe-Wände aus Bambus, Stroh und Lehm; die eindrucksvollen, exquisit ohne Metallverbindungen zusammengefügten Balken aus Kiefernholz an der Decke; die Küche, die das Herdfeuer über die Jahrzehnte tiefschwarz verfärbt hatte. Gleichzeitig gab Sejima dem Haus jene luftige Transparenz, für die sie bekannt ist. Sie und ihr Projektmanager, SANAA-Partner Yoshitaka Tanase, installierten eine Fußbodenheizung und zur Straße hin ein großes Fenster. In der ersten Etage stellten sie ein offenes Zwischengeschoss ein. Es wirkt, als würde es schweben.
Die Küche ist das Herzstück des 53 Quadratmeter kleinen Hauses
„Das Haus war sehr dunkel“, erklärt Brustad. „Der Schriftsteller Jun’ichiro Tanizaki schrieb in seinem Essay ,Lob des Schattens‘, nur im trüben Licht offenbare sich die wahre Schönheit japanischer Lackarbeiten.“ Nach dem Essen merken wir, was er damit meinte: Nun schimmert ein bemalter Paravent von Tsukioka Sessai (1761–1839), einem Künstler der Edo-Zeit, mit Sakebechern aus Zinn und den Seidenfäden eines Kimonos verführerisch um die Wette. Die Antiquitäten harmonieren gut mit dem schlichten Tisch und den Stühlen von Hans J. Wegner, den „Rabbit Ear“-Chairs von SANAA und einer Akari-Leuchte von Isamu Noguchi. „Als wir mit den Arbeiten anfingen, fragten viele Nachbarn, ob das ein Lokal würde“, erinnert sich Shirato lachend, immerhin ist die Kücheninsel vier Meter lang (Brustad kocht gern). Handwerker aus Kyoto bauten Betten, Schränke und Treppen aus Zypressenholz, sie ersetzten auch die Kawara, wie die Dachziegel eines Machiya heißen. „Natürlich macht es Mühe, so ein Haus zu bewahren“, sagt Shirato. „Aber es ist sicher nachhaltiger, als es abzureißen und neu zu bauen.“
„Hören Sie das?“, fragt Brustad plötzlich. Draußen klopft es. „Das ist die Hinoyoujin, die Feuerwache. Jeden Abend gehen sie durch die Nachbarschaft und klappern mit Bambusstöcken, um die Leute daran zu erinnern, ihr Feuer auszumachen.“ Das ist gelebter Gemeinschaftssinn – Shirato und Brustad liegt viel daran, ein Teil davon zu sein.











