Robert Stephan und Davide Rizzo kombinierten in einer Berliner Wohnung aufregende Materialien mit Design-Klassikern der letzten 100 Jahre

In einem Neubau in Berlin erleben klassische Materialien und sinnliche Kurven eine Renaissance. Für ihre kunstaffine Klientin webten Davide Rizzo und Robert Stephan die 30er-Jahre in die 60er und landeten punktgenau im Heute
Robert Stephan platzierte im Wohnzimmer einen dunkelblauen „Etcetera“Lounger von Jan Ekselius auf einem beigen Teppich...
Daniel Schäfer

Für Natalia Jundef kombinierten der Münchner Innenarchitekt Robert Stephan und Architekt Davide Rizzo Vintage-Möbel verschiedener Epochen mit zeitgenössischer Kunst.

AD100 2025
Jedes Jahr kürt AD die wichtigsten Architekt:innen, Designer:innen und Interiordesigner:innen. Entdecken Sie hier die wichtigsten Gestalter:innen 2025.

Vor zwei Jahren füllte sich das Berliner Kronprinzenpalais für ein Wochenende mit den Installationen von zwölf deutschen Architektur- und Interiorstudios. Teil dieser ersten Ausgabe der AD-Ausstellungs­reihe „New Perspectives“ war auch eine kompakte Wohn­land­schaft des Münchner Innenarchitekten Robert Stephan, in der er die Design-Kosmen von Maria Pergay, Oscar Nie­meyer und Vin­cen­zo De Cotiis zusammenbrachte. Die Grundidee: Das Inte­rior­design für einen fiktiven Art-Collector sollte so austariert und eloquent sein wie die darin präsentierte Kunst. Offenbar ein sehr überzeugender Ansatz, denn plötzlich stand Natalia Jundef vor ihm und stellte sich als Kunstliebhaberin vor, die Werke von Gerhard Richter, A. R. Penck und Karl Horst Hödicke besitzt. Die frei erfundene Rolle war ihr wie auf den Leib geschneidert. Sie sagte:  „Ich möchte genau das – aber in einer femininen Version.“

Natalia Jundef sitzt auf einem Sofa von Christophe Delcourts flankiert von Robert Stephan und Davide Rizzo.

Natalia Jundef sitzt, flankiert vom Interiordesigner Robert Stephan (links) und dem Architekten Davide Rizzo (rechts), auf Christophe Delcourts „Eko“-Canapé.

Daniel Schäfer / Skulptur: Boris Angele

Eine runde Sache

Natalia (für ihre Familie und Freunde: Natascha) Jundef kam in den 80er-Jahren als Kind von Moskau nach Berlin und wuchs nahe dem Olivaer Platz auf. Nach einem ländlichen Abstecher wünschte sie sich mit ihren vier Kindern zurück in den Kiez, in dem sie einst zur Schule gegangen war. Fündig wurde sie, trotz ihrer Vorliebe für stuckverzierte Altbauten, im „Alexander“. Das neue Ralf-Schmitz-Gebäude mit historisierendem Backstein-Antlitz entpuppt sich im Inneren tatsächlich als reiner Neubau. Doch die 360-Quadratmeter-Wohnung wartet nicht etwa mit Loftcharakter und hypermodernen Ecken und Kanten auf. Stattdessen prägen kon­kave Bögen, runde Decken- und Bodenleisten die Räume, ohne sie konventionell voneinander zu trennen. Ganz im Flow ist auch die periodische Holztäfelung aus Nussbaum, die sich vom Entree den Flur entlang erstreckt.

Das Gästebad besteht komplett aus grauem Naturgestein aus den Dolomiten.

Die Kunst der Kuben: Für das Gästebad verwendete Aliprandi Valentino Ceppo di Gré aus den Dolomiten.

Daniel Schäfer

Im Schoß eleganter Kurven fühlt man sich wohl und geborgen – das war nach Natalia Jundefs Stilverständnis schon immer die Stärke von Femininität. Gleichzeitig liebäugelte sie mit dem Charme von bella italia – insbesondere die Mailänder Villen und Wohnungen der 60er- und 70er-Jahre haben es ihr angetan. Seit über 30 Jahren kennt sie den in Mailand geborenen Architekten Davide Rizzo, der in Berlin sein eigenes Büro führt und „genau weiß, wie diese Häuser riechen“. Er zeichnet verant­wortlich für die komplette Innenarchi­tektur und spann aus Jundefs Ideen die edle, sehr klas­sische Materialpalette, die sich sinnlich und selbstbewusst über die Wohnung legt. Dafür akquirierte er einige der besten Handwerker:innen Italiens.

In der Küche steht ein großer Terrazzoblock mit einer Teppanyakiplatte.

In der Küche geht der Ter­razzo-Block mit Teppanyakiplatte fließend in eine „schwebende“ Essinsel mit Sesseln von Warren Platner über; die Deckenleuchte ist von Paul Matter.

Daniel Schäfer

In der Küche trifft Nussbaum auf Naturstein: Den knapp drei Meter langen Terrazzo-Block hievten Rizzo und sein Team mit einem Kran in die Wohnung. Die lombardische Möbelfirma Aliprandi Valentino verlegte den Boden in Travertino Silver nach traditioneller, polygonaler Palladiana-Art. „Latte“-farbe­ner Travertino Piceno, den es nur in einem Steinbruch in den mittelitalienischen Marken gibt, kleidet das Hauptbad ein, von der Wanne bis zum Waschtisch.

Drehbare Paneele mit Wiener Geflecht vor den Fenstern schirmen das Bad vom Sonnenlicht ab.

Drehbare Paneele mit Wiener Geflecht schirmen das Kalksteinbad vor zu viel Sonnenlicht und neugierigen Blicken ab. Murano-Appliken, Strahler von One A und die Deckenleuchte von Apparatus setzen Kontraste.

Daniel Schäfer

In einen unschuldigen Neubau lassen sich durchaus vergangene Referenzen und Traditionen hineinweben. Die Verve, um eine Wohnung mit einem Mix aus Vintages und Zeitgenössischem zu gestalten, beherrscht hierzulande wohl niemand so souverän wie Robert Stephan. Sein neues, mit Co-Foundern gegründetes Studio heißt The Rope, hinzu kommt ab diesem Herbst The Rope Gallery, in der Contemporary-Stars wie Rick Owens und Isabelle Stanislas im kuratierten Kontext gezeigt werden. Die Galerie wird Modernisten wie Pierre Chapo im deutschsprachigen Raum exklusiv repräsentieren, mit Raritäten von Claudio Salocchi, Alexandre Logé, Pierre Chareau und Studio Eric Schmitt im Portfolio. Werke der vier Letztgenannten bestimmten auch den Epochenmix in Jundefs Berliner Refugium maßgeblich mit. Für die Gipsleuchte „Bird“ im Esszimmer besuchte Stephan mit seiner Klientin Alexandre Logé persönlich in Paris. Auf dem Floh­markt an der Porte de Clignancourt taten sie auch das Vintage-Sideboard von De Coene Frères auf, einer in den 30ern wichtigen Art-déco-Institution. Die Steh­leuch­te von Claudio Salocchi, einem Protagonisten des kreativen Aufruhrs der 60er und 70er, fanden sie bei 1stdibs. Im Wohnbereich verlängert das rare Exemplar nun die Linien einer Collage von Natalia Załuska.

Auf einem Holztisch von Garnier et Linker thront ein hölzerner Frauentorso unter einer Leuchte von Alexandre Log.

Auf Garnier et Linkers Kitayama-Esstisch thront ein hölzerner Frauentorso (über Flair in Florenz) unter einer „Bird“-Leuchte von Alexandre Logé.

Daniel Schäfer / Skulptur: Boris Angele

„Das Mixen von Materialien und Designepochen, von High und Low, ging leicht von der Hand, weil Natascha Gespür für Farben, Formen und Haptik mitbrachte“, sagt Robert Stephan. Eindeutig kategorisieren lässt sich die Wohnung dennoch nicht. „Sie hat Art-déco-Flair, ist aber zu sleek für die 30er“, resümiert Davide Rizzo. Vielmehr wird das Jahrzehnt durch die Brille der italienischen 60er und 70er gesehen und in Kombination mit zeitgenössischem Design und Kunst ins Heute übersetzt. Zurück im Entree freut man sich jedenfalls über das verblüffende Nebeneinander von Eric Schmitts zeitgenössischer Pendelleuchte aus Gips und Bronze und einem fast 100 Jahre älteren Entwurf von Pierre Chareau. Wie langweilig wären im Vergleich zwei identische Entwürfe!

Über einem VintageTisch von Giovanni Offredis hängt eine Leuchte von Angelo Lessi.

Den Übergang vom Ess- in den Wohnbereich prägt ein Glas­vasentrio von Vogel Studio auf Giovanni Offredis Vintage-Tisch. Angelo Lellis Leuchte darüber war ein Fund auf der ersten Design Miami Paris.

Daniel Schäfer / Kunst: Claudia Comte; Skulptur: Jeff Koons

Vielleicht löste das Natascha Jundefs „Miracle“-Moment aus, als die Wohnung schließlich fertig war. Denn Jeppe Heins „Expect a Miracle“, eine Mixed-Media-Arbeit aus Spiegelglas und Neonschrift, die im Wohnzim­mer leuchtet, bestätigte sich als Credo einmal mehr: „Es gibt viele Wunder im Leben, man muss nur Geduld haben, offen sein und sie zulassen.“

Über zwei hellbeigen Sesseln hängt das Kunstwerk „Expect a Miracle“ aus Spiegelglas und Neonröhren von Jeppe Hein.

„Expect a Miracle“ aus pulverbeschichtetem Aluminium, Einweg-Spiegelglas und Neonröhren ist ein Werk des in Berlin lebenden dänischen Künstlers Jeppe Hein.

Daniel Schäfer / Kunst: Jeppe Hein
  • Styling: Erika Gómez