Für Natalia Jundef kombinierten der Münchner Innenarchitekt Robert Stephan und Architekt Davide Rizzo Vintage-Möbel verschiedener Epochen mit zeitgenössischer Kunst.
Vor zwei Jahren füllte sich das Berliner Kronprinzenpalais für ein Wochenende mit den Installationen von zwölf deutschen Architektur- und Interiorstudios. Teil dieser ersten Ausgabe der AD-Ausstellungsreihe „New Perspectives“ war auch eine kompakte Wohnlandschaft des Münchner Innenarchitekten Robert Stephan, in der er die Design-Kosmen von Maria Pergay, Oscar Niemeyer und Vincenzo De Cotiis zusammenbrachte. Die Grundidee: Das Interiordesign für einen fiktiven Art-Collector sollte so austariert und eloquent sein wie die darin präsentierte Kunst. Offenbar ein sehr überzeugender Ansatz, denn plötzlich stand Natalia Jundef vor ihm und stellte sich als Kunstliebhaberin vor, die Werke von Gerhard Richter, A. R. Penck und Karl Horst Hödicke besitzt. Die frei erfundene Rolle war ihr wie auf den Leib geschneidert. Sie sagte: „Ich möchte genau das – aber in einer femininen Version.“
Eine runde Sache
Natalia (für ihre Familie und Freunde: Natascha) Jundef kam in den 80er-Jahren als Kind von Moskau nach Berlin und wuchs nahe dem Olivaer Platz auf. Nach einem ländlichen Abstecher wünschte sie sich mit ihren vier Kindern zurück in den Kiez, in dem sie einst zur Schule gegangen war. Fündig wurde sie, trotz ihrer Vorliebe für stuckverzierte Altbauten, im „Alexander“. Das neue Ralf-Schmitz-Gebäude mit historisierendem Backstein-Antlitz entpuppt sich im Inneren tatsächlich als reiner Neubau. Doch die 360-Quadratmeter-Wohnung wartet nicht etwa mit Loftcharakter und hypermodernen Ecken und Kanten auf. Stattdessen prägen konkave Bögen, runde Decken- und Bodenleisten die Räume, ohne sie konventionell voneinander zu trennen. Ganz im Flow ist auch die periodische Holztäfelung aus Nussbaum, die sich vom Entree den Flur entlang erstreckt.
Im Schoß eleganter Kurven fühlt man sich wohl und geborgen – das war nach Natalia Jundefs Stilverständnis schon immer die Stärke von Femininität. Gleichzeitig liebäugelte sie mit dem Charme von bella italia – insbesondere die Mailänder Villen und Wohnungen der 60er- und 70er-Jahre haben es ihr angetan. Seit über 30 Jahren kennt sie den in Mailand geborenen Architekten Davide Rizzo, der in Berlin sein eigenes Büro führt und „genau weiß, wie diese Häuser riechen“. Er zeichnet verantwortlich für die komplette Innenarchitektur und spann aus Jundefs Ideen die edle, sehr klassische Materialpalette, die sich sinnlich und selbstbewusst über die Wohnung legt. Dafür akquirierte er einige der besten Handwerker:innen Italiens.
In der Küche trifft Nussbaum auf Naturstein: Den knapp drei Meter langen Terrazzo-Block hievten Rizzo und sein Team mit einem Kran in die Wohnung. Die lombardische Möbelfirma Aliprandi Valentino verlegte den Boden in Travertino Silver nach traditioneller, polygonaler Palladiana-Art. „Latte“-farbener Travertino Piceno, den es nur in einem Steinbruch in den mittelitalienischen Marken gibt, kleidet das Hauptbad ein, von der Wanne bis zum Waschtisch.
In einen unschuldigen Neubau lassen sich durchaus vergangene Referenzen und Traditionen hineinweben. Die Verve, um eine Wohnung mit einem Mix aus Vintages und Zeitgenössischem zu gestalten, beherrscht hierzulande wohl niemand so souverän wie Robert Stephan. Sein neues, mit Co-Foundern gegründetes Studio heißt The Rope, hinzu kommt ab diesem Herbst The Rope Gallery, in der Contemporary-Stars wie Rick Owens und Isabelle Stanislas im kuratierten Kontext gezeigt werden. Die Galerie wird Modernisten wie Pierre Chapo im deutschsprachigen Raum exklusiv repräsentieren, mit Raritäten von Claudio Salocchi, Alexandre Logé, Pierre Chareau und Studio Eric Schmitt im Portfolio. Werke der vier Letztgenannten bestimmten auch den Epochenmix in Jundefs Berliner Refugium maßgeblich mit. Für die Gipsleuchte „Bird“ im Esszimmer besuchte Stephan mit seiner Klientin Alexandre Logé persönlich in Paris. Auf dem Flohmarkt an der Porte de Clignancourt taten sie auch das Vintage-Sideboard von De Coene Frères auf, einer in den 30ern wichtigen Art-déco-Institution. Die Stehleuchte von Claudio Salocchi, einem Protagonisten des kreativen Aufruhrs der 60er und 70er, fanden sie bei 1stdibs. Im Wohnbereich verlängert das rare Exemplar nun die Linien einer Collage von Natalia Załuska.
„Das Mixen von Materialien und Designepochen, von High und Low, ging leicht von der Hand, weil Natascha Gespür für Farben, Formen und Haptik mitbrachte“, sagt Robert Stephan. Eindeutig kategorisieren lässt sich die Wohnung dennoch nicht. „Sie hat Art-déco-Flair, ist aber zu sleek für die 30er“, resümiert Davide Rizzo. Vielmehr wird das Jahrzehnt durch die Brille der italienischen 60er und 70er gesehen und in Kombination mit zeitgenössischem Design und Kunst ins Heute übersetzt. Zurück im Entree freut man sich jedenfalls über das verblüffende Nebeneinander von Eric Schmitts zeitgenössischer Pendelleuchte aus Gips und Bronze und einem fast 100 Jahre älteren Entwurf von Pierre Chareau. Wie langweilig wären im Vergleich zwei identische Entwürfe!
Vielleicht löste das Natascha Jundefs „Miracle“-Moment aus, als die Wohnung schließlich fertig war. Denn Jeppe Heins „Expect a Miracle“, eine Mixed-Media-Arbeit aus Spiegelglas und Neonschrift, die im Wohnzimmer leuchtet, bestätigte sich als Credo einmal mehr: „Es gibt viele Wunder im Leben, man muss nur Geduld haben, offen sein und sie zulassen.“
- Styling: Erika Gómez








