Ein Reethaus hat es in Berlin schon lange nicht mehr gegeben. Eines, das aussieht wie ein antiker Maya-Tempel noch nie. Im Interview spricht Initiator Claus Sendlinger den Sinn des ungewöhnlichen Gebäudes.
Auf dem Gelände des ehemaligen Städtischen Flussbads in Berlin-Lichtenberg passiert zurzeit Erstaunliches. Beispielsweise ist hier das an einen Mayatempel erinnernde Reethaus entstanden, das architektonische Highlight und Begegnungszentrum des noch im Aufbau befindlichen Flussbad-Campus von Slowness – einem Kollektiv, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen nachhaltigen Lebensstil und Longevity zu fördern. Wir sprachen mit dem Slowness-Co-Founder und Gründer von Design Hotels Claus Sendlinger darüber, wie Kultur und Architektur zum ganzheitlichen Diskurs anregen können.
Sinnstiftende Architektur an der Rummelsburger Bucht
AD: Reet als Material zu wählen ist heutzutage sehr ungewöhnlich, vor allem in der Großstadt.
Claus Sendlinger: In Berlin wurde seit über 30 Jahren kein Haus mehr mit Reet gebaut, die Technik ist nahezu ausgestorben. Wir wollten jedoch ein Gebäude entwickeln, das von außen nicht sofort als Haus zu erkennen ist. Deswegen haben wir es so tief wie nur möglich gelegt, sodass man sich fast auf Augenhöhe mit dem Wasser befindet. Reet, also getrocknetes Schilfrohr, zu verwenden ist am Wasser eigentlich naheliegend.
Das Haus hat eine starke sakrale Anmutung, beinahe wie ein Tempel.
Wenn man es Tempel nennt, hat man es schnell mit einer religiösen Konnotation zu tun. Wir wollen es neutral halten und einen Ort erschaffen, der zum Nachdenken und Reflektieren einlädt.
Klanginstallationen unterstreichen die meditative Wirkung
Ist das Ziel, ein holistisches Leben zu führen, vielleicht doch zu einer Art Ersatzreligion geworden?
Ich glaube, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Unser Open-Haus-Format haben wir aber tatsächlich bewusst auf den Sonntag gelegt. Es ist eine Mischung aus Museumsbesuch und Kirchgang. An jedem letzten Sonntag im Monat kommen bis zu 1500 Personen zu Klanginstallationen ins Reethaus.
Wie schafft man es, dass Longevity nicht zum nächsten Buzzword wird?
Das Wichtigste ist, nicht in Worthülsen zu denken, sondern diese Begriffe tatsächlich mit Inhalt zu unterfüttern und das eigentliche Programm authentisch zu gestalten.
Slowness dreht sich um einen nachhaltigen Lebensstil und fördert zudem die Longevity
Und wie machen Sie das?
Im Zuge der Berliner Longevity Week hatten wir Dr. Eric Verdin zu Besuch. Er ist Präsident und CEO des Buck Institute for Research on Aging in San Francisco und einer der anerkanntesten Altersforscher. Er hat Fantastisches berichtet, zum Beispiel über die Verbindungen von Fruchtfliegen, Würmern, Mäusen und Menschen. Nach seinen Forschungen sind die drei wichtigsten Ursachen für den Tod Vereinsamung, das Fehlen eines Sinns oder einer Aufgabe und der Lebensstil. Erst an vierter Stelle kommt beispielsweise das Rauchen.
Was gehörte bisher noch zu den Programm-Highlights?
Künstler wie der Filmemacher Jim Jarmusch oder der Musikproduzent Jon Hopkins sind bereits bei uns aufgetreten. Und haben uns gezeigt, welche Kraft in der Kunstform des Zuhörens, also des listening, steckt.
Ist die etwas abgelegene Lage ein Vor- oder Nachteil?
Da wir an der breitesten Stelle der Spree sind, ist es fast wie ein innerstädtischer Kosmos inmitten der Natur. Idealerweise entsteht hier ein Platz, an dem ein internationaler Gast, aber auch der Berliner, der einen gewissen Stil und Komfort sucht, einen ganzen Tag verbringen kann. Mit Arbeit, mit Gastronomie, mit Anschluss an Kultur, Kunst und seinesgleichen.
Wie viel Idealismus braucht man für Slowness?
Viel, sehr viel.






