Ein Tempel aus Schilfrohr: Warum das Reethaus in Berlin einer der schönsten Orte der Welt ist

Das Reethaus in Berlin wurde vom Time-Magazine zu einem der 100 schönsten Orte der Welt gekürt. Wir sprachen mit Initiator Claus Sendlinger über den Sinn des ungewöhnlichen Gebäudes
Außenansicht des Reethauses in Berlin mit Schilfrohrdach.
José Cuevas

Ein Reethaus hat es in Berlin schon lange nicht mehr gegeben. Eines, das aussieht wie ein antiker Maya-Tempel noch nie. Im Interview spricht Initiator Claus Sendlinger den Sinn des ungewöhnlichen Gebäudes.

Auf dem Gelände des ehemaligen Städtischen Fluss­bads in Berlin-Lichtenberg passiert zurzeit Erstaun­liches. Beispielsweise ist hier das an einen Mayatempel erinnernde Reethaus entstanden, das architekto­nische Highlight und Begegnungszentrum des noch im Auf­bau befindlichen Flussbad-Campus von Slowness – einem Kollektiv, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen nachhaltigen Lebensstil und Longevity zu fördern. Wir sprachen mit dem Slowness-Co-Founder und Gründer von Design Hotels Claus Sendlinger darüber, wie Kultur und Architektur zum ganzheitlichen Dis­kurs anregen können.

Sinnstiftende Architektur an der Rummelsburger Bucht

Im Inneren des Reethauses am FlussbadCampus in Berlin befinden sich meditative Räume mit dunklen Wandverkleidungen.

Kontemplative Architektur aus Beton, Glas und Reet. Im Zentrum des Reethauses an der Spree finden listenings statt.

Clemens Poloczek

AD: Reet als Material zu wählen ist heutzutage sehr ungewöhnlich, vor allem in der Großstadt.

Claus Sendlinger: In Berlin wurde seit über 30 Jahren kein Haus mehr mit Reet gebaut, die Technik ist nahezu ausgestorben. Wir wollten jedoch ein Gebäude entwickeln, das von außen nicht sofort als Haus zu erkennen ist. Deswegen haben wir es so tief wie nur möglich gelegt, sodass man sich fast auf Augenhöhe mit dem Wasser befindet. Reet, also getrocknetes Schilf­rohr, zu verwenden ist am Wasser eigentlich naheliegend.

Das Haus hat eine starke sakrale Anmutung, bei­nahe wie ein Tempel.

Wenn man es Tempel nennt, hat man es schnell mit einer religiösen Konnotation zu tun. Wir wollen es neutral halten und einen Ort erschaffen, der zum Nachdenken und Reflektieren einlädt.

Am idyllischen Ufer der Spree liegt das neue Reethaus in Berlin.

Das Reethaus liegt am Ufer an der breitesten Stelle der Spree in Berlin und fügt sich durch seine Baumaterialien ideal in seine Umgebung ein.

José Cuevas

Klanginstallationen unterstreichen die meditative Wirkung

Ist das Ziel, ein holistisches Leben zu führen, vielleicht doch zu einer Art Ersatzreligion geworden?

Ich glaube, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Unser Open-Haus-Format haben wir aber tatsächlich bewusst auf den Sonntag gelegt. Es ist eine Mischung aus Museumsbesuch und Kirchgang. An jedem letzten Sonntag im Monat kommen bis zu 1500 Personen zu Klanginstallationen ins Reethaus.

Wie schafft man es, dass Longevity nicht zum nächsten Buzzword wird?

Das Wichtigste ist, nicht in Worthülsen zu denken, sondern diese Be­griffe tatsächlich mit Inhalt zu unter­füttern und das eigentliche Pro­gramm authentisch zu gestalten.

Außenansicht des Reethauses in Berlin mit Schilfrohrdach.

Von tiefer Ruhe geprägt ist das von der österreichischen Architektin Monika Gogl als Hommage an antike Tempel, Höhlen und andere natürliche Hohlräume entworfene Reethaus.

José Cuevas

Slowness dreht sich um einen nachhaltigen Lebensstil und fördert zudem die Longevity

Und wie machen Sie das?

Im Zuge der Berliner Long­e­vity Week hatten wir Dr. Eric Verdin zu Besuch. Er ist Präsident und CEO des Buck Institute for Research on Aging in San Francisco und einer der anerkanntesten Altersforscher. Er hat Fantastisches berichtet, zum Bei­spiel über die Verbindungen von Fruchtfliegen, Wür­mern, Mäusen und Menschen. Nach seinen Forschungen sind die drei wichtigsten Ursachen für den Tod Vereinsamung, das Fehlen eines Sinns oder einer Aufgabe und der Lebensstil. Erst an vierter Stelle kommt beispielsweise das Rauchen.

Was gehörte bisher noch zu den Programm-Highlights?

Künstler wie der Filmemacher Jim Jarmusch oder der Musikproduzent Jon Hopkins sind bereits bei uns aufgetreten. Und haben uns gezeigt, welche Kraft in der Kunstform des Zuhörens, also des listening, steckt.

Das Reethaus im FlussbadCampus am Ufer der Spree in Berlin ist ein ruhiger Rückzugsort mit sakralem Charakter.

Schattenspiel: Die Architektur des Gebäudes soll helfen, zur Ruhe zur finden.

José Cuevas
Der „Still Room“ im Inneren entstand in Zusammenarbeit mit dem belgischen Designer Cdric Etienne. In den Innenräumen...

Der „Still Room“ im Inneren entstand in Zusammenarbeit mit dem belgischen Designer Cédric Etienne. In den Innenräumen wird ein modulares System aus Materialien wie gebranntem und duftendem Kork, gewachster Eiche und gewebtem Tatami verwendet.

José Cuevas

Ist die etwas abgelegene Lage ein Vor- oder Nachteil?

Da wir an der breitesten Stelle der Spree sind, ist es fast wie ein innerstädtischer Kosmos inmitten der Natur. Idealerweise entsteht hier ein Platz, an dem ein internationaler Gast, aber auch der Berliner, der einen gewissen Stil und Komfort sucht, einen ganzen Tag verbringen kann. Mit Arbeit, mit Gastronomie, mit An­schluss an Kultur, Kunst und seinesgleichen.

Wie viel Idealismus braucht man für Slowness?

Viel, sehr viel.

Claus Sendlinger steht in entspannter Haltung inmitten eines Betonbaus.

Das 360-Grad-Raumklangsystem von Monom „geht unter die Haut“, so der Slowness-Mitgründer Claus Sendlinger.

Clemens Poloczek