Neue, radikale Talente: Diese 7 aufstrebenden Designer:innen sollten sie kennen

Schon das Bauhaus wollte Kunst und Design vereinen. Heute ist die Idee aktueller denn je, an die Stelle der politischen
Utopie tritt die Intuition – diesen sieben jungen Kreativen aus Kunst und Design gehört die Zukunft
Neue Talente radikales Design
Luc Bertrand; Marc Leschelier

Radikale Talente: Diese Kreativen lassen sich von ihrer Intuition leiten.

Vor gut hundert Jahren verfolgte das Bauhaus eine Mission, die damals radikal war: Die bildende Kunst und das Design sollten verschmelzen. Es ging darum, schöpferischen Geist in Alltagsgegenstände einfließen zu lassen. Später, in den 1960er- und 1970er-Jahren, ­entstand „Radical Design“. Die vom Kurator Emilio Ambasz ins Leben gerufene Bewegung hatte das Ziel, mit dem Mainstream der Standardisierung zu brechen und utopisch zu sein. Ihr gehörten Gae Aulenti an, Ettore Sottsass, Archizoom, Superstudio, Gaetano Pesce, und sie alle wandten sich gegen die Dominanz des modernen Minimalismus – mit spielerischen, modularen Ent­wür­fen. Und mit Farbe!

Diese Kreativen aus Kunst und Design müssen Sie 2025 auf dem Schirm haben

Heute stellt sich die Frage: Ist Radikalität immer noch eine Utopie? Für den französischen Künstler Marc Leschelier, der seine Arbeiten aus Beton und Zement als „Architektur ohne Nutzen“ bezeichnet, ist sie zumindest eine Option: „Architektur wurde immer so verstanden, dass sie eine Funktion haben müsse. Wenn man sich dagegen wehrt, gilt man gleich als radikal. Ich glaube, das wird sich irgendwann ändern.“ Diese Form von Subjektivität ist etwas, das auch den niederländisch-schweizerischen Designer Dario Erkelens inte­ressiert. Er erschafft Objekte und Möbel, für die er Plastik, Holz und Metall verwendet, das er auf seinen Rundgän­gen durch die Stadt auf der Straße findet. „Ob das nun radikal ist oder nicht, hängt davon ab, wie man den Be­griff definiert“, sagt er. „Wenn es bedeutet, beste­hende Systeme und Normen infrage zu stellen, dann ja.“

Eine Arbeit bestehend aus Betonteilen und besprühtem Stoff

Eine „Architektur ohne Funktion“ nennt Marc Leschelier seine Arbeiten aus Betonteilen und besprühtem Stoff, die er 2022 im Mailänder Spazio Maiocchi zeigte.

Luc Bertrand; Marc Leschelier

Doch nicht alle, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, sind sich der Radikalität ihrer Arbeit bewusst. Der Koblenzer Bildhauer Niclas Wolf etwa benutzt Keramik, Eisen, Leder oder Bronze für seine Werke, die aussehen, als bestünden sie aus Holz oder Lavastein. „Manche sagen, das sei ästhetisch, andere nennen es radikal. Ich stimme beidem zu.“ Der Pariser Designer Jean-Baptiste Durand nennt seine Arbeits­weise „Samp­ling“ und „Mashup“. Die musikalischen Metaphern stehen bei ihm für das Sammeln und Amalgamieren von Referenzen. „Ich entwerfe, indem ich High- und Lowtech-Materia­lien zu einer dystopischen Science-Fiction-Ästhetik kombiniere.“ In Zukunft möchte Du­rand noch mehr mit Textilien arbeiten und Technologien nutzen, die ihm im Moment nicht zur Verfügung stehen, auch weil die Grundbestand­teile für ihn noch zu teuer sind. Seine Arbeit betrachtet er als „stilistische For­schung“ und betont: „Es geht um die Form, die Funk­ti­o­nalität kommt erst später dazu.“

Eine schwarzgraue Vase die an ein Lavagestein erinnert

Man denkt, es ist Lavagestein, tatsächlich besteht Niclas Wolfs Vase der Kollektion „Geoprimitive“ aus Keramik – und deren Oberfläche fühlt sich erstaunlich weich an.

Paulina Almonte; Mathilde Hiley; Gregory Copitet; Gemma Barr
Stühle aus zwei Teilen unten der Hocker sieht aus wie aus Lavagestein ist jedoch aus Keramik und oben drüber liegt eine...

Die Stühle aus Niclas Wolfs Kollektion „Geoprimitive“ von 2023 sehen ­
aus wie die Materie, aus der die Erde vor Milliarden von Jahren bestand: vulkanisches Magna. Doch auch sie sind aus Keramik, mit Fellauflage.


Paulina Almonte

Radikalität als Design-Kompliment

Willie Mor­lon und Gemma Barr verstehen Radika­lität als Kompliment. Der in Brüssel lebende Franzose fiel auf der letzten Designparade Toulon durch seine Ein­lege­arbeiten aus Gips­karton auf, mit denen er einen Raum in der Villa Noailles mit erstaunlichem Rokoko-Charme füllte. „Ist es radikal, BA13-Gipskarton zu verwenden?“, fragt er. „Ich würde sagen, das hängt von der Um­ge­bung ab – wie man es kontextualisiert. Im Bereich des Interiordesigns ist meine Arbeit radikal, aber sie ist auch ein Echo der dekorativen Kunst.“ Die schottische Bildhauerin und Designerin Gemma Barr wiederum kreiert von Stalaktiten inspi­rierte Mö­bel, für die sie auf spektakuläre Weise mathematisch exakte Geome­trien mit geologischen Formen der Natur vermischt. Dabei experimentiert sie gern mit recycelten Materialien wie Metall, Glas, Keramik, Kunststoff und Holz. Sie ist nach Eindhoven gezogen, um mit dem spanischen Künstler Nacho Carbonell zusammenzuarbeiten. „Hier in Eind­hoven und generell in den Nieder­lan­den“, sagt sie, „gibt es viele Designer:innen, die mit Konventionen und Codes brechen, und oft ergibt sich die Kreati­vität aus dem Material selbst.“

Eine Zimmer als Installation nachgebaut aus bunten Gipskarton

Auf der Design Parade Toulon 2024 schuf Willie Morlon einen „Salon d’été“, ein „Sommerzimmer“, in der Villa Noailles. Für seine Installation im Neo-Neorokoko verwendete der Brüsseler Künstler Gipskarton.

Luc Bertrand; Marc Leschelier

Auch Mark Malecki, der in New York und Paris lebt, bekennt sich ohne Umschweife dazu, dass ihn bei seiner Arbeit die freie Kunst inspiriert – und er dabei ziemlich radikal sei. Malecki konzentriert sich vor allem auf Industrieabfälle wie Metall und Glas. Aus ihnen kons­truiert er die Sinne verwirrende Stühle, Tische und Leuchten an der Schnittstelle zur Skulptur. „Das ist meine Art zu denken. Ich mag es nicht, Stücke zu produzieren, die beige und leicht verständlich sind.“

Ein rotorange farbener Tisch der aus Stahlfäden besteht

Sieht soft aus, ist aber aus Stahlfäden: „Hairy Table“ des in New York und Paris lebenden Designers Mark Malecki.

Paulina Almonte; Mathilde Hiley; Gregory Copitet; Gemma Barr

Gemma Barr ist überzeugt: „Wir stehen an der Schwel­le zu einem neuen Zeitalter, es ist nicht so, dass alles schon gemacht worden ist. Es gibt noch viel zu er­forschen, und wir müssen immer noch Normen brechen. Das ist es, was uns antreibt.“ Mark Malecki kommen die Ideen, während er auf Baustellen sein Geld verdient, Treppen, Geländer und Brüstungen zusammenschweißt. Sein in der Praxis vertieftes Verständnis des Materials ermöglicht ihm einen intuitiven Zugang zu Form und Kom­posi­tion seiner eigenen Werke.

Konsole namens Stalactite das ist ein von der Decke einer Höhle hängende Tropfstein

Die in Eindhoven lebende schottische Bildhauerin Gemma Barr experimentierte unter anderen mit Polyurethan und Kunstharz, bis ihre Konsole „Stalactite“ fertig war.

Paulina Almonte; Mathilde Hiley; Gregory Copitet; Gemma Barr

Von der Intuition geleitet

Intuition also: Mehr als Radikalität ist dies der Begriff, den sie alle immer wieder betonen und für sich beanspruchen. So auch Marc Leschelier, der es in seinem Atelier genießt, ein Vokabular zu entwickeln, das außerhalb gängiger Konventionen angesiedelt ist. Jean-Baptiste Durand bezeichnet seine Arbeit als „intuitiv, sogar naiv, opportunistisch“. Niclas Wolf stimmt dem zu: „Sie wissen ja, wie das mit der Keramik funktioniert: Ich öffne den Ofen, und es kann eine gute oder schlechte Überraschung sein. Ich kann nicht alles kontrollieren, vor allem nicht die Oberfläche.“ Ein Jahr­hundert nach dem Bauhaus sind wir, so scheint es, weit entfernt von einer philosophischen Vision. Die Radika­lität, ob gewollt oder nicht, liegt nicht in der Idee, sondern in der Materie: Sie ist es, die über allem steht.

Stuhl aus orangefarbenen Plexiglas umhüllt von Kabeln und Stahl

Stahl, Plexiglas, MDF, Metallfedern und Kabel: „Nascar Chair“ von Jean-Baptiste Durand im Science-Fiction-Stil.

Paulina Almonte; Mathilde Hiley; Gregory Copitet; Gemma Barr