Dachgeschosswohnung in Paris: Tagsüber strahlt hier die Sonne hinein, abends das Licht des Eiffelturms.
Das Wort, das Rudy Guénaires Apartment wohl am besten beschreibt, ist: lichtdurchflutet. „Im ersten Sommer haben wir hier mit Sonnenbrille gefrühstückt. Inzwischen gibt es eine Markise, und es ist noch schöner geworden.“ Vor etwa drei Jahren kauften der französische Designer und seine Frau Raphaële die 100 Quadratmeter große Dachgeschosswohnung in Paris – ihre Tochter Madeleine war gerade auf die Welt gekommen. Sie fanden die spektakuläre Wohnung über eine reguläre Immobilienseite. Als sie sich die Fotos ansahen, war ihnen sofort klar, dass es sich um ein ehemaliges Künstleratelier handeln musste, „und dass sich, wenn wir die hässliche Decke entfernen würden, ein Dachfenster auftun würde – danke, Google Earth“ Das ideale Apartment also für Guénaire und seine Familie, denn für den Franzosen, der einen Hang zum Abenteuer hat, gibt es kein besseres Gestaltungsmittel als natürliches Licht.
Ein paar Jahre zuvor, im Alter von 25 Jahren, zog er fünf Monate zu Fuß durch die Rocky Mountains in den USA und schlief jeden Tag unter dem Sternenhimmel – ein Erlebnis, das ihn nachhaltig beeindruckte. Zurück im trubeligen Paris, suchte er nach „einem Ort, an dem wir inmitten unserer verrückten Stadt und unseres verrückten Lebens zur Ruhe kommen und in den Himmel schauen können“. Was indirekt auch erklärt, warum sich der Designer, der für expressive Interieurs bekannt ist, bei der Gestaltung ausschließlich auf cremefarbene und braune Farbtöne beschränkte. „Das Licht ist das Dekor. Gerade jetzt, am Ende des Tages, ist es spektakulär. Das Wohnzimmer wechselt jede Minute die Farbe. Am liebsten betrachtet Guénaire dieses Schauspiel vom Sofa aus. Am Abend auch von der Esszimmerbank, die er vis-à-vis dem Eiffelturm platziert hat, der jede Stunde in einer anderen Farbe funkelt. „Es ist magisch!“
Eine Dachgeschosswohnung, die sich jeder stilistischen Einordnung entziehen möchte
Die Esszimmerbank, so wie die meisten anderen Möbel und Einbauten in dem Apartment, entstanden auf einem Blatt Papier. Denn Architektur hat Guénaire nie studiert und somit auch nicht die üblichen 3D-Entwurfsprogramme gelernt. „Ich versuche, Dinge zu zeichnen, die keiner bestimmten Zeitperiode angehören und tief aus mir kommen. Es ist wirklich schwierig, Dinge zu machen, die nur dir gehören.“ Denn obwohl er schon immer gestalten wollte, entschied sich der kreative Kopf für ein Studium der Mathematik an der renommierten Business-Schule HEC in Paris und gründete im Anschluss eine Gastronomie-Kette, die Burger verkauft. Die hippen Interieurs der Läden entwarf er dann aber endlich selbst; von dieser Erfahrung beflügelt, gründete er seine Designagentur Night Flight. Eine Anspielung auf den gleichnamigen Roman von Antoine de Saint-Exupéry. „Als ich zehn war, habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich Designer werden würde. Und es ist, als ob ich von da an bis vor Kurzem eine Gedächtnislücke gehabt hätte – in dieser verrückten Welt ist es schwer, sich treu zu bleiben.“ Seine jetzigen Entwürfe (für Kund:innen oder seine eigene Gastronomiekette) sind neben der Literatur auch vom Kino inspiriert. David Lynchs atmosphärische Sets oder Ingmar Bergmans distanzierte Eleganz nähren seine Imagination und lassen ihn, auch ganz ohne 3D-Programme, moderne, erzählerische Orte erschaffen.
In seiner Bibliothek kann Guénaire gedanklich auf Reisen gehen
„Ich reise so viel wie möglich, und wenn ich es physisch nicht kann, dann durch Bücher.“ Sein Wohnzimmer gleicht einer Bibliothek, hier sammelt er Philosophie, Poesie und Literatur, die Kunstbände stehen im Büro. Das letzte Buch, das er gelesen hat? Pasternaks „Dr. Schiwago“. „Und ich habe gerade viel Spaß daran, Yeats’ Gedichte zu übersetzen.“ Im Sommer sollte man hier beim Lesen jedoch dringend einen kühlen Drink parat haben und am besten noch den Ventilator aufdrehen. Durch die großen Fenster erreicht die Dachgeschosswohnung schnell tropische Temperaturen. Das nächste Projekt ist der Einbau einer Klimaanlage.












