Markus Miessen und Lena Mahr: So leben der Architekt und die Grafikdesignerin in Bensheim.
Markus und Lena waren Facebook-Freund:innen, aus Gründen, die heute keiner mehr so richtig rekonstruieren kann. Vermutlich, weil sie sich in einem ähnlichen Dunstkreis bewegten; sie ist Grafikdesignerin, er Architekt. Für ein Designprogramm mit Fokus auf Architektur, das Lena zusammenstellt, kontaktiert sie ihn; zur Buchübergabe treffen sie sich in der „Neuen Odessa Bar“ in Berlin. „Die damals noch nicht so schlimm war wie heute!“, betont Markus. Elf Jahre und zwei Söhne im Grundschulalter später ist das Paar, das beruflichen viel herumgekommen ist, und seinen Hauptwohnsitz in Berlin hat, auf Suche nach einem Haus. Wohin es gehen soll, steht zunächst nicht fest; nur dass sie „raus“ wollten, ist klar. Zunächst schauen sie sich im Raum Frankfurt um, doch stellen bald fest, dass sie hier nicht das finden, was sie suchen, und auch nicht in der Preiskategorie, die sie sich leisten können. Der Suchradius wird größer, bis sie die Entscheidung fällen, sich auf Bensheim zu fokussieren – Lena ist hier aufgewachsen, ihre Eltern leben noch immer hier, zudem ist es nur zwei Stunden von Luxemburg entfernt, wo Markus einen Lehrstuhl erhält. Um das passende Haus zu finden, greifen die beiden auf einen ungewöhnlichen Trick zurück.
#thirtysomething: Markus Miessen und Lena Mahr im Interview
Man hört ja immer wieder, dass es fast unmöglich ist, ein bezahlbares Haus zu finden. Wie habt ihr das geschafft?
Lena Mahr: Wir haben uns einen Trick von Freunden aus Berlin abgeguckt, die lange in einem speziellen Ort in der Uckermark gesucht haben, wo es genauso unmöglich ist, etwas zu finden. Sie haben einfach Zettel mit dem Gesuch in sämtliche Briefkasten der Nachbarschaft geworfen, mit einer Art Finderlohn für die, die etwas vermitteln können. So haben wir es auch gemacht, und wahnsinnig viel Feedback bekommen. Das Tolle daran ist, dass du es ganz genau in den Straßen einwerfen kannst, die dich interessieren.
Markus Miessen: Erst hatten wir sogar noch überlegt, ein Familienfoto von uns auf die Zettel zu machen, um so richtig auf die Tränendrüse zu drücken, aber das war uns dann doch zu cheesy. Jedenfalls hatten wir unser Gesuch auch bei unserem jetzigen Nachbarn eingeworfen. Und zufälligerweise war die Dame, die in diesem Haus gewohnt hatte, ein paar Wochen zuvor verstorben. Die Erben hatten sich zerstritten und den Nachbar gefragt, ob er sich nicht darum kümmern kann, das Haus zu verkaufen. Wir sind also durch einen Zufall an ein Haus gekommen, das noch gar nicht auf dem Markt war.
Wie hat sich das Leben hier für euch verändert?
Markus: Wir arbeiten beide quasi von zu Hause aus. Das funktioniert im Grunde genommen genau so, wie wir in Berlin auch gelebt haben. Nur, dass wir mehr Platz haben. Oft kommen wir eigentlich gar nicht großartig aus dem Haus raus und machen quasi alles hier. Dann fällt uns aber auch auf, dass es eigentlich gar nicht so viel mehr braucht.
Lena: Markus und ich haben es inzwischen total in unseren Alltag integriert, in die Natur zu gehen, oft gehe ich morgens erst mal raus. Wir sind beide in regelmäßigen Abständen beruflich unterwegs, Markus in Luxemburg und ich in Berlin. Und das tut dann auch total gut, komprimiert Leute zu treffen, in schöne Restaurants zu gehen und Kultur zu erleben.
Um sich dann wieder hier in die Natur zurückzuziehen?
Markus: Die Natur spielte bei der Standortwahl schon auch eine große Rolle. Wir wollen irgendwo sein, wo es von der Landschaft her nicht so flach ist wie in Berlin. Wir wollten unbedingt Berge oder zumindest so viel Topografie, dass man Höhenmeter machen kann, und das geht hier einfach perfekt! Wenn du laufen willst oder Fahrrad fahren, es geht hier einfach direkt vor der Tür los.
Du klingst euphorisch!
Markus: Also wir wohnen jetzt seit zwei Jahren hier, und ich bin immer noch so geflasht von der Sicht und mache Fotos vom Haus und von der Umgebung, als wäre ich im Urlaub. Direkt hinter dem Haus geht es steil hoch in den Odenwald. Und in die andere Richtung hast du 40 Kilometer freie Sicht in die Pfalz. Selbst wenn der Tag miserabel war, gibt es abends einen fantastischen Sonnenuntergang. Ich bin immer noch erstaunt, wie positiv sich das auf die Laune auswirkt.
So unterstrich das Paar die Bungalow-Anmutung des Hauses
Das Haus ist von 1969. Was habt ihr im Originalzustand gelassen und was musste weg?
Lena: Wir haben einiges geändert, aber es gab auch wirklich tolle Features, die wir eher noch hervorgehoben haben. Die umlaufende Terrasse zum Beispiel. Über die haben wir ein Dach gebaut, um die Bungalow-artige Anmutung noch mehr zu unterstützen. Hier sitzen wir oft und trinken Kaffee, selbst im Winter, denn wenn die Sonne herauskommt, wärmt einem die Wand den Rücken.
Markus: Ursprünglich war das ein recht normativer, für damalige Verhältnisse wahrscheinlich relativ großer Einfamilienhausbau. Aber mit Giebeldach und ultrakleinen Fenstern. Eine der wichtigsten Interventionen war, die Fassade zu perforieren – also große Fenster einzusetzen. Die Grundrisse waren ziemlich genial, da mussten wir wenig verändern. Wir haben nur ein paar Stellenwände herausgenommen, um die Räume zu vergrößern. Wie Lena sagt, die Features, die schon da waren, haben wir versucht herauszuarbeiten. Es klingt zwar ein bisschen absurd, aber ich würde behaupten, dass es jetzt eigentlich mehr ein Haus aus den 60ern ist als vorher.
Wie seid ihr bei der Einrichtung vorgegangen? Hattet ihr eine genaue Vorstellung davon, wie es hier aussehen soll?
Lena: Wir haben jetzt kein Moodboard gemacht, falls du das meinst. Es kam eher alles einfach so gut zusammen, vielleicht hatten wir eher so im Unterbewussten ein Bild. Wir waren dann selbst oft fast überrascht, wie gut sich die Dinge zusammenfügten.
Markus: Ja, es hat alles so ganz gut gepasst. Die meisten Möbel hatten wir schon, ansonsten haben wir in fast allen Zimmern Einbauschränke oder Regale mit Vorhängen davor eingebaut. Und dann haben wir versucht, uns auf eine Handvoll Materialien zu fokussieren, also zum Beispiel auf das Birkensperrholz oder die Stoffe von Kvadrat, die gut mit den Alufenstern und dem geschliffenen Betonboden harmonieren.
Gemütlich in Grau – mit Objekten, die Geschichten erzählen
Ihr verwendet sehr viele Grautöne und industriell anmutende Materialien, und trotzdem wirkt es sehr gemütlich.
Lena: Ja, das stimmt, es sind eigentlich alles nur Grautöne, aber es sind auch viele warme Grautöne. Die Decken sind Akustikdecken, diese Optik kennt man tatsächlich eher aus Garagen oder Industriehallen. Und dazu der Betonboden und eine Küche aus Edelstahl – ich hatte auch meine Bedenken, ob das alles zu kühl wird. Aber ich glaube, es lebt viel davon, dass hier einfach viele schöne kleine Objekte herumstehen, die dem Haus Charakter verleihen. Und die vielen Textilien helfen sehr – auch für den Sound.
Markus: Dabei sind es einfach meterweise Bettlaken, die Lena und meine Schwägerin aus Minnesota zusammengenäht haben. Die haben eine Zeit lang im Wohnzimmer so eine Art Sweatshop für Gardinenproduktionen gehabt.
Seid ihr euch in Gestaltungsfragen immer einig?
Lena: Also es gibt andere Konfliktpotenziale bei uns, aber nicht beim Einrichten (lacht). Ich hatte jetzt nicht das Gefühl, dass irgendjemand einen Kompromiss machen muss.
Markus: Wir waren ein ziemlich gutes Team, würde ich sagen. Ich glaube, die Kompromisslinie musste eher mit dem Bauleiter gefunden werden. Ich wollte zum Beispiel im Sinne der Historie des Gebäudes Kellenwurf als Außenputz, das macht aber kaum noch jemand. So was ist dann schwierig durchzusetzen.
Lena: Das ist ja oft bei Bauprojekten so, wenn man außerhalb der Norm und vor allem der D-Norm gehen will, dann sind alle total skeptisch, und man muss dann für alles selbst die Gewährleistung übernehmen. Und da muss man natürlich manchmal abwägen, ob es einem wichtig genug ist, dass man bereit ist, das Risiko auf sich zu nehmen. Auf die gleiche Skepsis trifft man aber auch bei ästhetischen Entscheidungen, die viele Leute hier zunächst nicht nachvollziehen konnten, wie zum Beispiel die Industriedecken in den Wohnräumen.
Wie funktioniert ihr zusammen im Homeoffice?
Markus: Unten ist unser Studio mit einem acht Meter langen Schreibtisch. Da haben wir sehr viel Zeit hineininvestiert, und das ist auch wirklich richtig toll geworden. Die Idee war natürlich, dass wir dort zusammen arbeiten. Ironischerweise hatten wir aber eigentlich noch nie zuvor so richtig im gleichen Raum zusammen gearbeitet, und dann hatte ich meinen ersten Call, und Lena hat nur so herüber geguckt und meinte: „Nee, das geht nicht.“
Lena: Aber wir hatten ja zum Glück dieses Ausweichzimmer ganz oben, was eh schon einen eingebauten Schreibtisch hatte, wo Markus jetzt arbeitet.
Gibt es einen Raum, in dem ihr am liebsten Zeit verbringt?
Markus: Das ist schwierig. Also unser Bauleiter, der hat immer Witze gemacht, wie viele Räume wir eigentlich noch haben wollen, wo man sich hinsetzen kann.
Ihr habt ja auf jeden Fall zwei riesige Sofa-Landschaften, die zum Verweilen einladen. Seid ihr gesellige Menschen?
Lena: Also das Sofa oben, in dem Raum, in dem Markus jetzt arbeitet und von dem die Terrasse abgeht, ist noch aus Berlin. Dort oben ist auch so ein bisschen unser Rückzugsort, wenn man selbst oder auch die Kinder für sich sein wollen. Unten haben wir diese große, eingebaute Sitzecke. Natürlich ist man hier automatisch viel, weil es der Raum ist, wo die Familie sich trifft, wo man isst. Und hier sitzen wir auch viel mit Freunden; es ist toll, wie viel Platz man hier hat, um sich zurückzuziehen, aber auch, um mit Leuten zusammen zu sein.
Assistenz: Bettine Kuffer






















