Warum künstliche Intelligenz nicht um die Kurve schauen kann, uns aber vielleicht beim Träumen hilft – eine Momentaufnahme mit Fabian Freytag und Sergei Tchoban.
Alle staunen über künstliche Intelligenz, wohin damit, weiß aber noch keiner so ganz genau. Klar ist schon jetzt: Der Einfluss auf die Gestaltungsdisziplinen wird immens sein. Wir trafen zwei Experten zum Meinungsaustausch.
Die beiden Architekten Fabian Freytag und Sergei Tchoban im AD-Gespräch
AD: Herr Freytag, Sie experimentieren gerade mit Midjourney, wobei auch unsere Bilder entstanden sind – wie läuft das ab?
Fabian Freytag: Auslöser ist, ganz analog, ein Buch, das nächstes Jahr erscheint. Und die Frage, wie man das illustriert, was übrigens auch im Kundenkontakt immer wichtiger wird. Wir arbeiten zur Ideenfindung viel mit Collagen, in die all das einfließt, was ich auf Möbelmessen oder Reisen entdecke. Der Umgang mit KI ist ja vor allem textbasiert. Wir hatten also zwei Ebenen: die beschreibende, also die Prompts, und die visuelle, unsere Collagen. Über Umwege kann man in Midjourney beides zusammenführen, und dann „fummelt“ sich die KI eine neue Realität zusammen. Das hat bei mir ein Bauchkribbeln verursacht wie seit Jahren nicht.
Warum?
FF: Es ist eine Revolution im Arbeitsprozess, quasi eine zusätzliche Person im Team, die agiert, wie sie es für richtig hält. Dabei entstehen Bilder, die hochgradig ästhetisiert sind – sicher auf eine Weise, die sich weiter entwickeln wird. Aber eben kein Schrott. In Millisekunden geschieht hier etwas, das bisher Wochen gebraucht hätte. Was also passiert, wenn man sich auf den Dialog mit der KI einlässt? Wenn ich mit ein paar Sätzen ein Ergebnis definiere? Dabei wird eine Designsprache entstehen, die zwar eine menschliche Basis hat, aber eben nicht menschlicher Natur ist.
Interessiert Sie das für Ihre Sammlung, Herr Tchoban?
Sergei Tchoban: Schon seit Urzeiten wollen wir eine Art von Kunst schaffen, die wie nicht von Menschen gemacht scheint. Nehmen Sie das interessante Phänomen des Contre-épreuve – als Technik zur Vervielfältigung ist das völlig untauglich. Aber es erzeugt den Eindruck eines Bildes, das nicht vom Menschen erschaffen, sondern durch ein technisches Verfahren entstanden ist. Als käme es von Gott selbst. Für meine Sammlung interessiert mich aber nur das Original, die direkte Spur der menschlichen Hand.
Von künstlicher zu künstlerischer Intelligenz
Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Gestaltung mit KI?
ST: Was das künstlerische Schaffen betrifft, befinden wir uns aus meiner Sicht auf einem relativen Tiefpunkt. Wir sind wie Pilze am Körper der alten Kunst. Was wären Ai Weiweis Lego-Bilder ohne die alten Meister? Das Problem ist: Große Kunst war in der Vergangenheit mit brutalen Lebensumständen erkauft. Die heute bescheidene handwerkliche Qualität ist der Preis des schönen Lebens. Mit KI versucht man, dieses Loch zu stopfen und eine materielle Kultur zu erschaffen, die in die Nähe einer Perfektion kommt, wie sie einst nur mit Sklavenarbeit möglich war. Das Heikle ist: Wie alle Leibeigenen wird die KI versuchen, den Spieß umzudrehen.
Um den Menschen überflüssig zu machen?
ST: Ich bin überzeugt, dass echte Durchbrüche nur der Mensch erzeugen kann. KI mag die Nachahmer ersetzen – was für die kreative Welt einen immensen Umbruch bedeutet, weil viele, die bisher von der Nachahmung gelebt haben, überflüssig werden. Aber an den Spitzen von Kreativität ändert das nichts. Eine KI wird nie vom Historismus aufs Bauhaus kommen. Die Frage, wie könnte es ganz anders sein, wird sie immer überfordern.
Was die aktuelle Diskussion weitgehend ausblendet, ist die Definition von künstlicher Intelligenz an sich …
ST: Ich glaube, wir sind noch nicht mal bei einem Prozent des Wissens darüber angelangt, was die eigentliche menschliche Intelligenz ist, der unglaublichen Tiefe der physischen oder psychischen Reserven dahinter. Und schon bilden wir uns ein, dass wir uns etwas ausgedacht hätten, das uns ersetzt. KI scheint mir ein reaktives Medium zu sein: Sie kann mithalten, solange der Weg gerade ist. Aber sie schafft nicht die scharfe Kurve. 1911 hätte eine KI das erzeugt, was wir heute überall im Netz sehen: immer kompliziertere und verrücktere Gaudís. Aber nicht die Fagus-Werke.
FF: Seit der Postmoderne gab es keine große stilistische Bewegung mehr, nur noch die Freude an der Technik selbst. Man staunte über die Effizienz des Computers und die technische Optimierung mit CAD. Was fehlte, waren die ästhetischen Sprünge. Und da freue ich mich auf das, was kommt und uns hoffentlich wachrüttelt. Eine neue Leidenschaft wie in der Renaissance vielleicht, eine Lust an der Verspieltheit und Opulenz, die ich spannend finde.
Können Leute denn noch entwerfen, die nur noch Prompts in eine Maschine eingeben?
ST: Ich denke, ja – eine echte Idee ersetzt Hunderte Stunden von zeichnerischer Arbeit. Das war immer so: Egal, wie viel du zeichnest, ohne richtige Idee kommt auch nichts Neues raus. Ich habe umgekehrt große Architekten gesehen, die kaum zeichnen können. Sie haben trotzdem großartige Werke geschaffen. Spannend wird es für mich, wo die Welt nicht mehr materiell ist und wir ganz in unsere Vorstellung abtauchen, während die Realität zusehends vermüllt und gar nicht mehr lebensfähig ist. Was wir heute sehen, ist vielleicht das letzte Aufbäumen der Materialität …
FF: Eine spannende Frage: Wie wird diese Parallelwelt aussehen, welche Ästhetik wird sie haben? Zuckerbergs Metaversum ist ja eine gruselige Vorstellung. Zugleich werden beide Richtungen immer extremer: Als Brandlhuber beim Tacheles die Gebäude ausgeschalt hatte, haben alle geheult. Perfekte, fabrikneue Fenster mitten im Schrott! Und er lief über die Baustelle und fand es toll.
ST: Wir feiern einerseits die Komplexion durch die KI, auf der anderen Seite erheben wir das Unvermögen zur Ästhetik. Dabei versenkt sich der Mensch immer weiter in eine Welt, in der er seinen Körper gar nicht mehr braucht.
FF: Zugleich ist es ja genau das, was wir während Corona so vermisst haben: auf eine Messe zu gehen und Sachen anzufassen, in Räumen zu riechen, die Interaktion und so weiter. Aber vielleicht haben wir den Anspruch an ein super Sofa und eine schöne Akustik auch nur, weil wir noch nicht anders können. Sobald wir die Gefühle selbst designen können, ist das Thema wohl passé.
Ein Wechselspiel aus menschen- und maschinengemachter Kunst
Gibt es einen Punkt, Herr Freytag, der Sie in der konkreten Arbeit mit Midjourney überrascht hat?
FF: Das Interessante ist eher, in den Grenzen der KI zu denken und die richtigen Worte zu finden. Das schult ungemein. Im Kopf hat man ja die Idee, wie sich der Raum anfühlen soll. Das aber in Worte zu fassen ist wie sprechen lernen. Man muss extrem eindeutig sein, auch wenn das Ergebnis mehrere Wege nehmen kann. Am vorhersehbarsten funktionieren KIs mit starken Vorbildern …
ST: Eben – Genies mit einer klaren Handschrift!
Das Vorhersehbarste ist aber auch das Langweiligste, oder? Wie entwickelt man dabei noch eine eigene Handschrift?
FF: Das beginnt schon bei der Lehre. Jahrhundertelang ging es darum, deine eigene Formensprache zu finden. Dabei sind die spannendsten Geister ja die, die sich ständig veränderten. Deshalb tun sich KIs auch so schwer, Corbusier zu fassen. Leute, bei denen man nie damit rechnen konnte, was sie als Nächstes machen.
ST: Picasso!
FF: Lagerfeld oder Picasso, deren progressiver Ansatz es war, das, was um sie herum passierte, in ihr Schaffen einzubeziehen. Deshalb wird auch ein Genie heute unweigerlich von dem beeinflusst, was KIs generieren. Ja, es wird immer Leute geben, die mit Talent vom Himmel fallen und Dinge schaffen, auf die eine Maschine nie käme. Aber wird es nicht umgekehrt auch immer mehr von Maschinen Hervorgebrachtes geben, worauf kein Mensch je gekommen wäre? Die Wechselwirkung ist doch höchst interessant. Deswegen müssen wir die Arroganz aufgeben zu sagen: Das ist nur KI. Ist wie bei Fast Food. Ist das kein richtiges Essen? Doch, natürlich – ich kann auch nicht jeden Tag Sterneküche fressen.
Spiegel einer nicht existierenden Welt
Was könnte denn dabei herauskommen?
FF: Ich fahre jedes Mal nach Venedig auf die Biennale und bin aufs Neue erschrocken. Die Kunst hat es verstanden, raumgreifend zu arbeiten. Aber die Architektur verliert sich in Details, die selbst für mich als Profi uninteressant sind. Das ist doch nicht die Kraft der Architektur. Wir haben die Fragestellung aus den Augen verloren: was ein Gebäude können muss, weil der Mensch darin einen schönen Raum verdient hat.
ST: Ja, es geht nur um politische Korrektheit. Aber die Malereien von Anselm Kiefer im Dogenpalast waren großartig. Da habe ich verstanden, dass man nicht das Können von Tintoretto braucht, um eine solche Dichte in einem Raum wie dem Dogenpalast zu erzeugen. Hier Kiefer und im nächsten Raum Tintoretto – das ist die gleiche Ebene. Das nenne ich einen Sprung, ohne das Niveau zu verlieren. Aber es braucht dafür den Menschen, der sagt: Tintoretto ist schön, aber wir machen es jetzt anders. KIs würden aus 100 Tintoretto-Bildern einfach nur ein 101. kreieren.
Aber auch als Menschen arbeiten wir doch in erster Linie mit dem, was vorhanden ist.
ST: Genau! Neues entsteht aber erst, wenn die Kompilation aus drei Dingen nicht das vierte schafft, sondern etwas vollkommen anderes. Natürlich bedient sich auch Kiefer der Vergangenheit. Aber er macht daraus etwas vollkommen Unerwartetes.
FF: Unsere Ausbildung als Designer:innen tut halt immer, als ob es objektive Regeln gäbe, die den guten Raum ausmachen. Das hat uns in eine Sackgasse geführt, weil es der Sache jede Leidenschaft genommen hat. Vielleicht hilft uns KI genau dabei: dem etwas extrem Menschliches entgegenzusetzen. Weil ich nicht Opfer meiner eigenen Regeln sein muss, sondern größer denken kann.
KI weitet den Horizont, aber dahinterschauen müssen wir?
ST: Ich vermute, KIs können uns nicht überraschen, nicht durch kontrastvolle Weiterentwicklung dessen, was da ist. Allenfalls durch Wiederentdeckung vergessener kultureller Schichten.
FF: Vielleicht bringt genau das etwas von jener Dichte zurück, für die wir die Historie lieben. Die Realität zu sehen geht heute per se mit einem schlechten Gewissen einher. Dem entziehe ich mich beim KI-generierten Bild, weil es mir eine Vorstellung suggeriert, die losgelöst ist von jeglichen Voraussetzungen. Vielleicht ist das ein Teil der Faszination – eine Art Spiegel, aber in eine nicht existierende Welt, eine idealisierte Zusammenfassung von Realität.
Ist es – etwa im Kontakt mit Kund:innen – nicht auch eine Gefahr, wenn Leute diese Idealisierung für real nehmen?
FF: Die meisten kommen heute schon mit ihren Pinterest-Boards und sagen: „Ich will das genau so haben!“ Aber das geht an der Sache vorbei: Das Materielle finde ich eher uninteressant; das Gefühl zu definieren scheint mir viel wichtiger. Vielleicht kann KI uns ja dabei helfen: den Traum von etwas darzustellen, weniger das Ergebnis selbst. Eine Maschine, die sagt: „So kann deine Traumvorstellung auch aussehen. Denk dich mal rein!“









