Wenn sich die Küche verändert, geschieht das in der Regel langsam, evolutionär. Korpusse wachsen, Hochschränke schrumpfen, die Mikrowelle wird durch den Dampfgarer ersetzt. Alles keine großen Umwälzungen, schließlich ist man bei einer Anschaffung fürs Leben oder zumindest für Jahrzehnte wenig geneigt, sich auf Experimente einzulassen. Kommt es aber doch einmal zu einer deutlichen Transformation, dann sind es nicht technische, sondern gesellschaftliche Veränderungen, die sie anstoßen.
Die letzten Metamorphosen liegen dementsprechend schon ein Weilchen zurück: Nach dem Ersten und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg revolutionierte die Einbauküche den Familienalltag. Küchen sollten effizient und pflegeleicht sein; Geräte und Vorräte platzsparend verstaut und jederzeit griffbereit. So befremdlich es heute erscheint, Konzepte wie die Frankfurter Küche waren neben den beengten Großstadtverhältnissen auch damals fortschrittlichen Rollenbildern geschuldet. Die berufstätige Frau sollte den Haushalt schnell und ergonomisch erledigen können. Dass sie dafür in einer geschlossenen Kabine vor sich hin werkelte, wurde in Kauf genommen. Bis – nächster „Megatrend“ – etwa ab den 80er Jahren die Küche in den Wohnraum zu wandern begann. Wenn man schon stupide Küchenarbeit erledigen musste, dann wenigstens in Gesellschaft. Die praktische Resopalwerkstatt entwickelte sich zur repräsentativen Kochoase mit Frühstückstresen. Griffleisten verschwanden, Geräte wurden bündig eingelassen oder gleich in Schränken verborgen, und zunehmend edle Materialien kamen zum Einsatz.
Diese Entwicklung hält bis heute an. „Küchenräume werden kontinuierlich wohnlicher und öffentlicher“, sagt Jörg Overlack, Leiter der Markenkommunikation bei Siematic. „Wir sind mitten in einer Evolution, von der offenen Küche zur kompletten Verschmelzung von Küche und Wohnbereich“, ergänzt Stefan Waldenmaier, Vorstand von Leicht. Dazu gehört etwa, dass Türen raffiniert gedreht oder gefaltet werden und sich selbst gewaltige Kühlschränke grifflos auf leichten Druck öffnen; dass Bratdünste effizient abgesaugt werden, bevor sie sich im Sofabezug festsetzen können. Dass sich Materialien aus der Küche im Wohnbereich fortsetzen und umgekehrt, sich also beides eines durchgängigen gestalterischen Vokabulars bedient.
Neu ist nun jedoch, wie flexibel und experimentierfreudig Küchenplaner und -hersteller darangehen, die gesamte Raumaufteilung auf den Prüfstand zu stellen, ausgehend von der Grundfrage: Braucht man überhaupt noch eine Küche im herkömmlichen Sinn – und wenn ja, wie viele? Wem es an Kochlust oder schlicht an Platz mangelt, dem genügt vielleicht eine Teeküche, versteckt in einem Schrank. Eine kompakte All-in-one-Unit, wie sie gerade von Poggenpohl vorgestellt wurde. Oder ein „Zwittermöbel“ wie die elegante „Bibliotheksküche“, die Hermès-Designer Grégoire de Lafforest für Obumex entworfen hat. Wer häufig Gäste einlädt, eventuell sogar einen Koch engagiert, braucht dagegen vielleicht nicht nur eine vorzeigbare „Partyküche“, sondern zusätzlich einen belastbaren Arbeitsraum im Hintergrund (in Asien schon lange als wet kitchen und dry kitchen verbreitet) – „das Thema wird in Europa immer relevanter“, sagt Michael Wunram, CEO von Eggersmann. Auch Vorratskammern kommen wieder verstärkt zum Einsatz. Genauso wie ein Hauswirtschaftsraum – maßgeschreinert oder mit Staulösungen, die etwa von Arclinea, Leicht oder Schüller angeboten werden – können sie der Küche Pflichten abnehmen, sie quasi entschlacken. „Solche ,Hinterzimmer‘ sorgen für Ordnung“, sagt die britische Interiordesignerin und -kolumnistin Rita Konig. „Und das erhöht den Wohnkomfort enorm. Für mich bedeutet es wahren Luxus.“ Wie schick diese Nebenräume aussehen können, zeigt exemplarisch die butler’s pantry. Den New Yorker Interior-Instanzen Steven Gambrel und Miles Redd ist es in den letzten Jahren gelungen, die oft schlauchförmige Kammer, in der traditionell Tischtücher, Geschirr und Gläser gelagert oder Braten tranchiert wurden, in eine erweiterte Hausbar umzuwidmen – in farbig lackierten Kabinetten lagern Wein, Silber und funkelnde Gläser, es werden Getränke gekühlt und Drinks gemixt. Ein solcher Raum muss nicht versteckt, sondern kann wie eine Schatzkammer erkundet werden. Und wenn die eigentliche Küche sich glatt und „salonig“ gibt, wird die eine oder andere Party wohl künftig eher dort enden.
Womit wir bei der Pointe der aktuellen Entwicklung wären. Je mehr die Küche im Wohnraum aufgeht und je weniger man im Alltag dank Convenience-Food und Lieferdiensten auf ihre Alltagsdienste angewiesen ist, desto verlockender wird offenbar die archaische Idee der Küche als „Herz des Hauses“ und gemeinschaftsstiftende Feuerstelle. Wenn das Kochen keine lästige Pflicht mehr ist, kann es als soziales Event zelebriert werden – nach dem Motto: Die Küche als Werkstatt ist tot – es lebe die Küche; als sanctuary oder holistic hub, wie es „Wallpaper“ gerade genannt hat, als Ort gemeinsamen Zubereitens, Genießens und der Kommunikation. Konsequent bildet momentan Bulthaup diesen Gedanken in der Studie „b.architecture“ ab. Und der Global Wellness Summit 2018 hat gar den Trend zur „Wellness Kitchen“ ausgerufen. Neben Tablaren zum Anbau von Sprossen und Kräutern (in der Realität etwa schon bei Giorgetti oder Agrilution erhältlich) und Schränken zur schonenden Lagerung von Lebensmitteln gehört dazu ein lichtdurchfluteter Arbeitsbereich und ein offener Kamin samt „gemütlicher Sitzplätze, die zur Gemeinschaft einladen“.
In dieser Vision mögen sich sentimentale Sehnsüchte von Menschen ausdrücken, die vermutlich noch nie einen Kochlöffel in der Hand hatten, und doch belegt auch sie: Die Küche verschwindet – und wird gleichzeitig aufgewertet. Die Karten beginnen gerade, neu gemischt zu werden. Wo das alles hinführen soll? Jörg Overlack von Siematic gibt augenzwinkernd die Antwort: „Ich sehe ein klares Sowohl-als-auch für die Küche der Zukunft.“

















