Zum Geburtstag von Karl Lagerfeld – so sieht die letzte Villa aus, die sich der Modedesigner einrichtete

Heute vor 92 Jahren wurde Karl Lagerfeld geboren. Zum Geburtstag des großen Modedesigners zeigt AD Einblicke in sein letztes Interior- und Designprojekt in Paris
Villa von Karl Lagerfeld umgeben von Wald
Jerome Galland

Zum Geburtstag von Karl Lagerfeld: So sieht die 600 Quadratmeter große Villa bei Paris aus, die sich der Modedesigner zuletzt einrichtete.

In dem wunderbaren arte-Interview, das Loïc Prigent 2012 mit Karl Lagerfeld führte, gibt es eine Sequenz, in der „Kaiser Karl“ kurz die Fassung verliert. Ob er als Nächstes bitte seine Grabstelle zeichnen könne, wird er gefragt. „Was soll ich …? Oh, wie grässlich!“, entfährt es ihm, Entsetzen im Blick. Dann gewinnt wieder der Großmeister der gut platzierten Pointe, der keine Antwort schuldig bleibt, in ihm die Oberhand, und er feuert mit breitem Lächeln eine Salve ab: „Brûler, jeter, fini“, das sei seine Devise. Verbrennen, wegwerfen, fertig. „Ich bin strikt gegen die Erinnerung und solche Sachen.“ Keine Zeichnung also, nichts zu machen.

Das ist die Villa von Karl Lagerfeld in Louveciennes

Bibliothek von Karl Lagerfeld

Die Bibliothek des Hauses von Karl Lagerfeld.

Jerome Galland

Ein Leben in der Vergangenheitsform war für den Mann, der bis zuletzt Kollektion um Kollektion entwarf und dabei immer auf der Höhe der Zeit blieb, der fotografierte, Bücher verlegte, Wohnungen und ganze Häuser mit seinen Design- und Bücherfunden einrichtete, unvorstellbar. Jedenfalls unvorstellbar langweilig. „Machen ist toll, aber was ich einmal gemacht habe, interessiert mich später nicht mehr die Bohne“, verriet er in einem anderen TV-Interview. Entsprechend schlecht stehen die Chancen, dass es eines Tages ein Lagerfeld-Museum geben wird, einen authentischen Ort seines Wirkens und Lebens. Auch das verträumte kleine Palais in Louveciennes, 20 Kilometer westlich der Ile de la Cité in einem Park versteckt und das letzte in einer langen Reihe von Lagerfeld-Refugien, wird kein solcher Erinnerungsort werden. Obwohl es nicht ohne Charme wäre, ausgerechnet ein Haus im Originalzustand einzufrieren, in dem der Couturier nach vier Jahren Umbauarbeiten nur eine einzige Nacht verbracht haben soll. Es wäre gewissermaßen eine letzte Momentaufnahme von ihm. Aber keine Chance: Das komplette Interieur wurde im März bei ­Sotheby's in Köln versteigert, nun soll auch das Haus selbst auf den Markt kommen. Vorbei ist vorbei. Es bleiben nur Fotos und irgendwann einmal, sicher bei Steidl, Bücher über seine Wohnungen, um einen Blick zurück in die Innenwelten des Modeschöpfers zu werfen.

Statuen am Eingang von Karl Lagerfelds Villa

Im Entree dienen zwei Gips-Karyatiden als Deckenfluter.

Jerome Galland

Karl Lagerfeld reservierte eine komplette Wand für Pléiade-Klassiker

Der indes lohnt sich. So betont sachlich sich Lagerfeld auch gab, der Petit Pavillon du Château de Voisins, wie das historische Gebäude mit offiziellem Namen heißt, steckt voller Hinweise auf die Leidenschaften des späten Karl. Erst mit 80 hatte er es gekauft. An der Fassade erinnert eine Marmortafel daran, dass hier 1894 ein häufiger Gast verstarb, der Dichter Leconte de Lisle. Gar nicht ausgeschlossen, dass Lagerfeld dessen Verse gekannt und geschätzt hat; bis in sein Schlafzimmer im Obergeschoss allerdings hat es der dichtende Pseudo-Graf „von der Insel“ (er war als Charles Marie René Leconte auf Réunion zur Welt gekommen) nicht geschafft: Dort reservierte Lagerfeld eine komplette Wand für die Ausgaben der Bibliothèque de la Pléiade – und in diesen illustren Kanon der französischen Literatur ist de Lisle nie aufgenommen worden.

Bücherwand im Schlafzimmer von Karl Lagerfeld

Griffbereit: Eine Schlafzimmerwand reservierte Lagerfeld für Pléiade-Klassiker; neben dem Bett ein Porträt von Jacques de Bascher.

Jerome Galland

Die Präsenz von Karl Lagerfeld ist in jedem Raum des Hauses spürbar

Alles Neue, alles Vergangene konnte Lagerfeld inspirieren. Schon bevor das Pariser Musée des Arts décoratifs 1966 die Wiederentdeckung des Art déco einläutete, hatte er mit Möbeln von Jacques-Émile Ruhlmann gelebt, später war er einer der Ersten, die sich – für ein paar Jahre zumindest – komplett in Memphis einrichteten. Denn war die Flamme erloschen, gab er so unbeirrt wie unsentimental alles wieder weg. Wirklich alles? Oder behielt er ein Kondensat seiner amours fous? Die Möbel im Petit Pavillon sind durchweg keine Inkunabeln der Stilgeschichte, wohl aber prächtige Entdeckungen, die er mit Witz und geradezu bühnenbildnerischem Sachverstand kombinierte. Das Esszimmer etwa mutet an wie ein mondäner Salon um 1910, die vergoldeten neo­klassizis­tischen Klismos-Stühle (Taxe für ein Duo: 4000 bis 6000 Euro) samt Tisch und passender Ottomane jedoch sind Sixties-­Schöpfungen des britisch-amerikanischen Designers T. H. Robs­john-­Gibbings, und der Terzani-Lüster mit seinen unzähligen Kettengliedern (äußerst moderater Schätzpreis: 3000 bis 4000 Euro) wirkt wie eine aktuelle Neuinterpretation der Belle Époque mit ihren Volant-Exzessen. Zu schade eigentlich, wenn das unverhoffte Ensemble wieder auseinandergerissen würde.

Salon von Karl Lagerfelds Villa runder Tisch mit Stühlen Deckenleuchte und ein großer Teppich

Mit Opulenz und Formstrenge zurück ins imaginäre Jahr 1910: Im Erdgeschoss-Esszimmer schwebt ein „Stream“-Lüster von Christian Lava für Terzani über einem Trio vergoldeter Klismos-Stühle, die der britisch-amerikanische Designer T. H. Robsjohn-Gibbings in den Sixties mit dem griechischen Label Saridis entwickelte.

Jerome Galland

Versteckte Details finden sich in der gesamten Villa

Mögliche Impulsgeber für diese Zeitreise in die Endphase des Großbürgertums sind die Plakate, die Lagerfeld an der Wand vor seinem Schlafzimmer aufhängen ließ – Highlights aus seiner Sammlung deutschsprachiger Werbegrafik des frühen 20. Jahr­hunderts und letzte Zeugen einer untergegangenen, mondänen deutschen Kultur. Da trägt etwa ein grimmig blickender Jäger in Breeches und Schaftstiefeln eine Handvoll geschossener Enten zur Strecke, oder ein eleganter Herr mit Fliege, Sommerhut und Tassel Loafers schwingt einen Tennisschläger, Zigarette im Mund und die Rechte lässig in der Hosentasche. Mag sein, dass der Glücks-klee-Spross hier ferne Anklänge seiner Kindheit heraufbeschwor.

Deutsche Plakate im Schlafzimmer von Karl Lagerfeld

Deutschsprachige Plakate des frühen 20. Jahrhunderts flankieren die Tür zum Schlafzimmer.

Jerome Galland

Das mit dem Wegwerfen nach dem Verbrennen hat er übrigens ganz so prosaisch dann doch nicht gemeint. Seine Asche, verfügte er, solle zur Hälfte mit der seiner Mutter, zur Hälfte mit der seines Lebensmenschen Jacques de Bascher vermischt und an geheim gehaltenen Orten verstreut werden. Fini? Ach, wer weiß.

Blauer Salon Sessel und blaues Sofa in Karl Lagerfelds Villa

Der Blaue Salon mit einem Art déco-Teppich von Louis Süe und André Mare.

Jerome Galland
Karl Lagerfelds Villa Salon mit buntem Teppich

Im Salon eine Etage höher antwortet ein Teppich von Christopher Farr auf das Muster einer „Mondrian“-Vase von KPM. Der Schrank mit vorhangartiger Makassar-Front stammt aus Österreich.

Jerome Galland

Produktion: Thibaut Mathieu