München, Herzogpark: Seven Elohim hat ein Architekturjuwel von David Chipperfield zu einem gemütlichen Ort der Begegnung mit japanischem Flair verwandelt.
Wem sich die Tür zu diesem Münchner Stadthaus einer dreiköpfigen Familie öffnet, zieht am besten gleich die Schuhe aus. Nicht etwa, weil sich die Eigentümer um eine Verschmutzung des hellen Bodens sorgten, sondern weil einen bereits an der Türschwelle eine kontemplative, japanische Atmosphäre umfängt, die man mit allen Sinnen erfahren möchte. Und das geht am besten barfuß. Diana Vreeland sagte einmal: „Das Auge muss reisen“, hier werden auch die Füße und Hände auf einen Streifzug geschickt. Das Interior dieses Hauses ist eine taktile Erfahrung, die Mela Gruber und Florian Dressler vom Münchner Architektur- und Designbüro Seven Elohim auf das Einladendste durchkomponiert haben.
Japanischer Flair: Helle Einrichtung und exquisite Materialien
Fein ausgearbeitete Oberflächen aus Eiche, Travertin, Quarzit und Granit in Kombination mit exquisiten Stoffen und Teppichen aus Lotusblüte, Kaschmir, Seide, Wolle und Leinen wollen berührt werden – sofern sie nicht zu empfindlich erscheinen, um überhaupt angefasst zu werden. Hier zählen die leisen Gesten, die das sonst Verborgene zum Vorschein bringen: Wände sind in mehreren Ebenen aus atmendem, leicht strukturiertem Putz aufgebaut, hell duftendes Eichenholz liefert den Basso continuo für unzählige maßgefertigte Möbel, japanisch anmutende Leuchten-Entwürfe oder Schiebetüren aus feingliedrigen Holz-Lamellen, die sich nicht selten als intelligente Stauraumlösung offenbaren, sobald sie sich geräuschlos zur Seite öffnen. Hinzu kommen Textilien in hellen Kreidetönen, die die zarte Webstruktur der einzelnen Fäden zeigen, als wäre es hauchdünnes Pergamentpapier.
Licht und Schatten geben hier den Farbkanon vor, während mit Loro-Piana-Tuch bezogene Wandpaneele und eigene Teppichentwürfe an Boden und Wand eine zenartige Akustik schenken – zumindest so lange, bis der Hausherr mit seinem Architekten, der selbst lange in einem Münchner Nachtclub aufgelegt hat, vom DJ-Pult im Wohnzimmer Gebrauch macht – und den Tempel der Stille nachts in einen höchst gediegenen Club verwandelt.
Bis es so weit war, musste aber erst einmal der inspirative Grundstein für das Projekt gelegt werden, das später den Arbeitstitel „Kyoto-Protokoll“ erhalten sollte. Für die weit gereisten Eigentümer war allerdings nicht Japan die erste Ideenquelle, sondern das in die Sandstein-Canyons des südwestlichen Utah eingebettete Hotel-Resort „Amangiri“. Die offenporigen Felsstrukturen der dortigen Wüstenlandschaft bildeten die Referenz für die Betonwand im Foyer und erforderten zunächst auch eine bauliche Veränderung in der Architektur von David Chipperfield und Mark Randel: Chipperfields Treppenaufgang aus weiß gestrichenem Stahl wich einer offenen Betonwand mit Wasserbassin, um gleich im Eingangsbereich einen materiellen Kontrapunkt zu setzen – und zudem zu verhindern, dass man beim Betreten des Hauses die Treppe ins Untergeschoss sieht.
Über ein Jahr mussten die einzelnen Gesteinsschichten der sogenannten Stampfbetonwand aushärten, bevor der Riegel aus seiner Holzverschalung gelöst wurde und man nur hoffen konnte, dass er so ausfiel, wie er schlussendlich ausfiel. Dass der Auftraggeber selbst über 20 Jahre als Ingenieur tätig war und seine Expertise einbrachte, war den beiden Gestaltern dabei nur dienlich; ein Restrisiko bei der finalen Optik der Wand blieb trotzdem. Denn das Ergebnis der Farbnuancen konnte in der monatelangen Trocknungsphase im Verborgenen nicht überprüft werden. Eine Glanzleistung, dass sich nun Textilien, Wand- und Bodengestaltung mit der Wandstruktur aus Beton zu einem harmonischen Ganzen fügen.
Das Haus fügt sich perfekt in die Nachbarschaft von Bogenhausen
Für den Hausherrn war es wichtig, in der Architektur dieser Projektimmobilie ein persönliches Interior (und ein stimmiges Gartenkonzept) zu schaffen, das der inneren und äußeren Struktur des Hauses mit Respekt begegnet. Das Objekt ist ein architektonisches Juwel, entwickelt von Euroboden und erbaut von David Chipperfield und Mark Randel. Ein zeitgemäßes Statement im altehrwürdigen Münchner Herzogpark, das sich gekonnt in die gediegene Nachbarschaft Bogenhausens integriert, dank Walmdach, fein verputzter Lisenen und zurückgesetzter Wandflächen mit horizontalen Bändern aus Donaukalkstein, die den Rhythmus der Fassade klassisch und dennoch modern prägen. Dass die Architektur Weltniveau besitzt, war evident.
Beim Interior ging es nun darum, auf die Bedürfnisse und individuellen Wünsche der dreiköpfigen Familie einzugehen und behutsam das Optimum herauszuarbeiten – etwa indem die Natürlichkeit der im Inneren bereits verwendeten Materialien konsequent fortgeführt wurde, zum Beispiel durch den Einsatz von Eiche und Travertin. Letzterer findet sich vor allem in den Bädern der drei Etagen.
Für das Gießen des Betons war Fingerspitzengefühl gefragt
„Bei der unbestreitbaren Qualität der Substanz hätte Chipperfield unsere Veränderungen im Foyer sicher nicht für nötig gehalten, vielleicht nicht einmal für möglich. Und doch trägt die neue Raumaufteilung und vor allem das Konzept um die neu geschaffene Betonwand im Foyer entscheidend zum Charakter der Gestaltung bei“, sagt Florian Dressler. Lebhaft erinnert er sich an die Anfänge des Projekts 2020, als er mit seinen Fingern immer wieder den Boden betastete, der nicht weniger Aufmerksamkeit erfuhr als der Rest des Hauses. Unzählige Versuche mit unterschiedlichen Rezepturen und Mischungsverhältnissen aus Zement, Kalk und Sandstein brauchte es, bis die eigens entwickelte Technik zur Auftragung des Bodens eine überzeugend sandige Struktur ergab, die aussieht, als hätte sie ein leiser Wüstenwind gezeichnet. Was die Boden-Handwerker zunächst ungläubig machte, war für Mela Gruber die gewünschte Optik, die sich später auch farblich und strukturell nahtlos an den Wänden und den Küchenfronten aus Lehmputz fortsetzen sollte. „Je unaufgeregter und selbstverständlicher die Gestaltung erscheint, desto mehr Komplexität steckt dahinter“, fasst sie den intensiven Prozess der Zusammenarbeit zusammen, den die Besitzer mit unablässiger Geduld begleiteten.
„Unsere Wahl fiel auf Seven Elohim, weil sie ihre gestalterische Arbeit nicht replizieren und weil jeder ihrer kreativen Entscheidungen eine intensive und geradezu freundschaftliche Zusammenarbeit zugrunde liegt, bei der es weder um Zeit noch um Egoismus, sondern allein um die Sache geht. Jedes noch so kleine Detail erfährt bei ihnen die größte Aufmerksamkeit“, betont die Hauseigentümerin, die am Central Saint Martins in London studiert hat, bei Sotheby's ihren Abschluss absolvierte und nun als Künstlerin tätig ist – und die erklärt, warum bei ihr dennoch keine Kunst an den Wänden hängt: „Die freien Wände sollen als eine Projektionsfläche für die eigenen Gedanken dienen.“
Keine Kunst, keine lauten Showstopper, nichts soll von dem zenartigen Raumgefühl ablenken, das ganz intuitiv entstand, ohne dass die Eigentümer oder Mela Gruber und Florian Dressler in Japan gelebt oder recherchiert hätten. Nur die Tempelanlage am Mount Koyasan in Kyoto diente der Eigentümerin als Vorlage für die importierten Kaiserfelsen im Garten, während Mela Gruber lediglich ein altes Handbuch über die Zapfenverbindungen aus der traditionellen japanischen Möbelfertigung als Inspirationsquelle zur Hand nahm.
In Japan beschreibt „Omotenashi“ die hohe Kunst der Aufmerksamkeit und Fürsorge. Das Credo einer gastfreundlichen Mentalität, die man in diesem Haus nicht nur vermuten würde, sondern die tatsächlich gelebt wird – ob auf dem Boden sitzend beim Sushi-Abend mit der Familie oder bei einer Party mit 40 Freunden aus aller Welt. Für Mela Gruber, Florian Dressler und ihre beiden Auftraggeber jedenfalls begann ihre ganz persönliche Japan-Ära nicht in Kyoto, sondern am Herzogpark.
- Produktion: Thomas Skroch













