Talk of the Town: Lila Valadan und Hadi Teherani über ihr Hamburg

Kaum eine Stadt ist so komfortabel wie Hamburg, finden Lila Valadan und Hadi Teherani. Wir trafen die Hamburger Kreativen zum Stadtgespräch
Interview Gespräch Lila Valadan Hadi Teherani
Gregor Hohenberg

Im Gespräch: Lila Valadan und Hadi Teherani über die Perle des Nordens.

Die Teppichdesignerin Lila Valadan stammt wie der Architekt Hadi Teherani ursprünglich aus dem Iran – längst zählen beide zu den wichtigsten Kreativen der Hansestadt. Wir baten sie, uns ihr Hamburg zu zeigen, trafen sie in Lila Valadans Showroom nahe dem Gänsemarkt und in Hadi Teheranis Büro am Altonaer Balkon und begleiteten sie in die historische Speicherstadt. Im Gespräch sinnieren die beiden über die Identität von Städten; sie sprechen über Teppiche aus dem Iran, die Speicherstadt als einstigen Freihafen und die ewige Frage, ob Hamburg nun eigentlich die schönste Stadt der Welt ist.

Hamburg, die schönste Stadt der Welt? Lila Valadan und Hadi Teherani im Interview

AD: Herr Teherani, wie ist es, in der Stadt zu bauen, in der man aufgewachsen ist und lebt?

Hadi Teherani: Meist ist es ja so, dass der Prophet im eigenen Land nichts zählt – es gibt also viele gute Architekten, die oft gar nicht in ihrer eigenen Stadt arbeiten. Hamburg ist meine Basis, ich kenne die Stadt so gut wie kaum eine andere und bin sehr froh, dass wir hier tätig sind. Alle meine Gebäude haben eine andere Story und sind sehr unterschiedlich – aber auch mit mir verwachsen. Ich mag das Dockland und die Tanzenden ­Türme, weil es besondere Gebäude sind, die einen Standort markieren und die Identität der Stadt widerspiegeln.

Hadi Teheranis Hamburger Büro könnte gut als Set für einen JamesBondFilm dienen.

Hadi Teheranis Hamburger Büro könnte gut als Set für einen James-Bond-Film dienen.

Gregor Hohenberg
In einen James Bond Film hat es sein Bürostuhl „Silver Chair“  schon geschafft. Weil seine Familie ganz traditionell mit...

In einen James Bond Film hat es sein Bürostuhl „Silver Chair“ (hier das Gerüst) schon geschafft. Weil seine Familie ganz traditionell mit Teppichen handelte, wollte er lieber Architekt werden.

Gregor Hohenberg

Frau Valadan, Sie sind 1984 mit Ihrem Mann nach Hamburg gezogen und haben anfangs mit Vintageteppichen gehandelt. Wie ging es dann weiter?

Lila Valadan: Mein Mann und ich haben Nomadenteppiche gesammelt und mit ihnen gehandelt, tolle, unverfälschte Stücke. Irgendwann brachten immer mehr Kunden eigene Wünsche ein – bloß gibt es einen Vintageteppich eben immer nur einmal. 1999 habe ich angefangen, eigene Entwürfe umzusetzen, die von den nomadischen Stücken inspiriert waren. Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem der Teppich ein Kulturgut ist. Im Iran sitzt man auf dem Teppich wie hier auf dem Sofa. Wenn es im Sommer heiß wird, zieht der Teppich in den Garten, und die Familie macht ein Picknick drauf. Schon mein Vater und auch mein Mann haben mit Teppichen gehandelt. Eigentlich wollte ich Chemie studieren, durch meinen Mann bin ich zu dem gekommen, was ich heute mache.

Lila Va­la­dan  wurde in Schiras geboren. 1984 folgte sie ihrem Mann nach Hamburg wo er mit antiken Teppichen handelte....

Lila Va­la­dan (in ihrem Showroom in der Neuen ABC-Straße) wurde in Schiras geboren. 1984 folgte sie ihrem Mann nach Hamburg, wo er mit antiken Teppichen handelte. Als er starb, führte sie das Geschäft weiter.

Gregor Hohenberg

Herr Teherani, Sie waren sechs, als Ihre Eltern von Teheran nach Hamburg gezogen sind. Hatte der Teppich bei Ihnen zu Hause einen ähnlich hohen Stellenwert?

HT: Da auch ich ein Kind persischer Eltern bin, war der Teppich bei uns ebenso wichtig. Eine Zeit lang hatte mein Vater einen Teppichhandel in der Speicherstadt. Jedes Volk kriegt seinen Stempel – und die Perser sind eben Teppichhändler. Das hat übrigens dazu beigetragen, dass ich keiner werden wollte. Ich wollte Architektur studieren. Eben weil das Handeln uns im Blut lag, habe ich lange versucht, das von mir wegzuschieben. Ganz habe ich es nicht geschafft. Wir haben auch schon Teppiche designt, so habe ich zu meinen Wurzeln zurückgefunden. Für uns Deutsche ist der Teppich oft nur ein Einrichtungsgegenstand, man interessiert sich nicht wirklich dafür, welche Arbeit, Liebe, Sensibilität und Tiefe darin steckt.

LV: Jeder Teppich erzählt eine Geschichte. In unseren Teppichen stecken mehr als 30 Arbeitsschritte: Es ist eine Kunst für sich, die Kettfäden einzuziehen oder die Wolle zu färben. Dafür braucht man ein wahnsinnig hohes Know-how. Zum Glück gibt es das im Iran noch. Für mich ist jeder Teppich ein kollektives Werk. So viele Hände, so viel Wissen, so viel Hingabe fließen in jedes Stück ein. Und genau das spürt man – in der Ausstrahlung, im Material und in der Geschichte, die es erzählt.

Teppichkunst von Lila Valadan die im Hamburg ihren Showroom hat.

Teppichkunst von Lila Valadan, die im Hamburg ihren Showroom hat.

Lila Valadan

HT: Ich habe mich immer gewundert, warum jede Region ihre eigenen Teppichmuster hat. Normalerweise sind die Iraner sehr geschäftstüchtig und schauen, wo man das bessere Geschäft machen kann. Eine Teppichmanufaktur könnte also auch andere Muster gestalten. Das ist eine Frage an Sie, Lila, wieso halten die Manufakturen an ihren regionalen Mustern fest?

LV: Weil jede Region im Iran über eine eigene kulturelle Iden­tität verfügt. Sprache, Geschichte, Klima und Lebensweise unterscheiden sich – und genau das prägt auch die Teppichmuster. Die verfügbaren Materialien, die Farben aus regionalen Pflanzen, die Motive aus dem Alltag oder der Natur – all das fließt in die Gestaltung ein. Viele Muster wurden über Generationen mündlich weitergegeben und lokal weiterentwickelt. Jeder Teppich ist ein Ausdruck seiner Herkunft. Ich hatte einmal eine gute Kundin, die brachte ihr eigenes Muster mit – und wollte nun, dass ich daraus einen Teppich mache. Als ich es meinen Knüpferinnen zeigte, haben sie abgelehnt. Wenn es ihnen nicht gefällt, dann machen sie es nicht. Es gibt regional auch unterschiedliche Knotenarten. Im Norden wird anders geknotet als im Süden, so bewahrt sich jede Region ihre eigene Identität.

Auch der Architekt Hadi Teherani bekannt für Bauten wie die Tanzenden Türme auf St. Pauli kommt aus einer...

Auch der Architekt Hadi Teherani, bekannt für Bauten wie die Tanzenden Türme auf St. Pauli, kommt aus einer Teppichhändlerfamilie. 1954 in Teheran geboren, wuchs er in Hamburg auf.

Gregor Hohenberg

Wir sprechen Anfang Juli miteinander, zwei Wochen nachdem Israel den Iran angegriffen hat. Hat das Auswirkungen auf die Knüpferinnen vor Ort?

LV: Bisher nicht direkt, die Knüpferinnen leben in den Dörfern. Für mich ist es sehr schwierig. Der Iran ist mein Land. Ich war zutiefst traurig und besorgt über das, was nun passiert ist. Meine Verwandten und Freunde sind dort, und das Land ist ohnehin schon so gebeutelt. Dass es dann noch bombardiert wird, ist wirklich nicht fair. Sobald es geht, fliege ich wieder hin.

HT: Der Iran hat viele Geheimnisse. Alles ist anders, als man denkt. Auf Farsi gibt es zum Beispiel keine grammatikalische Unterscheidung der Geschlechter. Man sagt nicht: „Das ist meine Frau“ oder „mein Mann“, sondern Hamsar, was bedeutet, dass man auf Augenhöhe ist. Die Debatten zur Gendersprache, die hier geführt werden, gibt es dort deshalb gar nicht. Teheran ist ein Hotspot für Film, Kunst, Kultur, Architektur; es gibt fantastische Bauten, das können sich hier viele nicht vorstellen. Ich habe in Teheran ein Büro mit 30 tollen Mitarbeitenden, davon 90 Prozent Frauen. Im Iran ist das Gute weitaus besser, als man es sich hier vorstellen kann. Aber das Schlechte ist auch weitaus schlimmer, als man es sich auszumalen vermag.

Frau Valadan, an den Wänden Ihres Treppenhauses finden sich rund 4000 Sticker, auf denen „Woman Life Freedom“ steht. Was bedeutet Ihnen die Bewegung?

LV: Die Sticker in meiner Galerie stehen für diesen Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung und den tiefen Glauben an das Potenzial jeder Frau. „Woman Life Freedom“ ist für mich ein Ausdruck weiblicher Stärke, Würde und Hoffnung. Frauen haben (nicht nur im Iran) schon immer viel bewegt, oft im Stillen, manchmal sehr sichtbar. Auch im Iran sehe ich, dass sich über die Jahre einiges verändert hat. Es gibt starke, kreative Frauen, die in verschiedenen Bereichen aktiv sind: in der Kunst, in der Wissenschaft, im Alltag. Ich wünsche mir, dass dieser Weg weitergeht, friedlich und mit gegenseitigem Respekt.

Hadi Teherani und Lila Valadan sind in der Speicherstadt unterwegs.

Hadi Teherani und Lila Valadan sind in der Speicherstadt unterwegs.

Gregor Hohenberg

Herr Teherani, Sie haben erzählt, dass Ihre Eltern früher ein Lager in der Speicherstadt hatten. Wie war es dort damals?

HT: Bis 2003 war die Speicherstadt ein Sonderzollgebiet. Man musste durch eine Schranke hindurch. Wenn die Teppiche in die Stadt kamen, wurden sie dort verzollt. Erst danach durften sie ausgeliefert werden. Das hat sich natürlich total gewandelt. Jetzt ist das Viertel ein Teil der Stadt. Damals aber gehörte die Speicherstadt den Geschäftsleuten.

LV: Wir hatten schon immer ein Lager in der Speicherstadt. Abends, wenn wir nach Hause gefahren sind, mussten die Zollbeamten den Kofferraum checken. Der Hafen war für mich früher einfach nur mit Arbeit verbunden. Es gab die Kaffeerösterei, und ständig kamen Container mit Ware rein. Heute ist der Stadtteil offen und viel lebendiger, das liegt auch an der angrenzenden Hafencity.

Die Meinung der Hamburger zur Hafencity ist gespalten. Gefällt sie Ihnen?

LV: Ich würde eher in der Speicherstadt wohnen wollen. Die ­Hafencity hat sich nicht ganz so entwickelt, wie man sich das vorgestellt hat. Vielleicht braucht es noch ein bisschen Zeit. Ich finde die Idee toll, dort das Alte mit dem Neuen zu verbinden, und mag, dass so viel mit Glas gebaut wurde. Wie sehen Sie das, Herr Teherani?

HT: Es dauert, bis Neues akzeptiert wird. Inzwischen ist die Hafencity ein belebter Stadtteil – man kann nicht sagen, dass er nicht angenommen wird. Wenn man aus Harvestehude oder Blankenese kommt, ist sie wahrscheinlich trotzdem ein No-Go. Die mögen keine Touristen in kurzen Hosen, das liegt dem konservativen Hamburger einfach nicht. Und die Hafencity ist natürlich keine Alternative zur Alster. Dafür hat sie das Highlight: die Elbphilharmonie. Die strahlt auf die ganze Stadt aus.

Wo Handel zu Kunst wird Hamburgs neues Wahrzeichen ist die Elbphilharmonie erbaut auf einem alten Kaispeicher.

Wo Handel zu Kunst wird: Hamburgs neues Wahrzeichen ist die Elbphilharmonie, erbaut auf einem alten Kaispeicher.

Gregor Hohenberg

LV: Die Elphi war der Baustein, der Hamburg internationaler gemacht hat. Es ist faszinierend, wie schnell man der Elphi die hohen Baukosten verziehen hat. Die Stadt hat sie sofort geliebt. Wenn man sich derweil den Berliner Flughafen anschaut …

HT: Die Elbphilharmonie hat Hamburg ordentlich Schwung ­gegeben. Sie wirkt wie ein kultureller Motor, der die ganze Stadt antreibt. Sie hat den Michel in den Schatten gestellt – und auch einige meiner Gebäude (lacht). Sie ist zum Wahrzeichen von Hamburg geworden. Das ist nicht zu vergleichen mit so einem Flugzeug-Bahnhof wie dem in Berlin, der außerhalb der Stadt liegt, insbesondere wo man in Tegel doch so kurze Wege hatte und direkt in der Stadt war. Das verzeiht dir so schnell keiner. Als Architekt hat man es geschafft, wenn Gebäude drum­herum entstehen und mit dem Blick darauf werben. In Paris willst du den Eiffelturm sehen, in Köln den Dom. Vielleicht auch meine Kranhäuser im Rheinauhafen. So puzzelt sich eine Stadt zusammen. Die Hafencity wäre übrigens besser, wenn man die Parkplätze anders geplant hätte. Hier hat jedes Haus eine eigene Garage mit Ein- und Ausfahrt. Das haben wir in Köln klüger gelöst. Die Parkplätze sind unterm Gebäude, oben gibt es keine Autos.

Berlin verändert sich spürbar, die Mieten sind teurer geworden. In Hamburg hat man oft das Gefühl, dass alles erfrischend gleich geblieben ist. Teilen Sie dieses Gefühl?

LV: Ich bin regelmäßig in Teheran und freue mich immer auf die Rückkehr nach Hamburg. Die Stadt hat sehr viel Lebensqualität, die Preise sind hier zwar auch etwas gestiegen, aber weitaus weniger als in anderen Städten. Ich finde Berlin natürlich interessant, weil es so impulsiv ist. Zum Leben aber ist Hamburg die bessere, bequemere Wahl. Wer ein turbulenteres Leben sucht, muss nach London oder Paris. Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich vielleicht eine andere Stadt testen. Aber für das, was ich mache, ist Hamburg perfekt.

HT: Hamburg ist geküsst von der Alster, die inmitten der Stadt aufgestaut wurde. Wir haben die Elbe mit den Containerschiffen. Klar, Hamburg ist auch geordnet, geleckt, schön gemacht. Vielleicht sind wir einen Tick arroganter, haben die trockeneren Sprüche. Manchmal fehlen die Brüche. Es gibt schon einen Hamburger Kleidungsstil – obwohl der am Neuen Wall anders aussieht als in der Schanze. Wie uniform es bei uns ist, fällt erst auf, wenn man rauskommt. Hamburg ist ein wohlbehütetes Wohnzimmer, die komfortabelste Stadt, die ich kenne. Ich brauche 15 Minuten zum Flughafen, es ist grün und nicht weit zum Meer. Hamburg ist mit Recht die schönste Stadt     …

… der Welt?

LV: Wenn wir 25 Grad haben (lacht).

Hamburg du Perle

Hamburg, du Perle!

Gregor Hohenberg