Die Gartenstadt Hohenhagen war früher ein Zentrum der europäischen Reform-Bewegung. Gisbert Pöppler schenkt nun einer Jugendstil-Villa ein neues, farbintensives Leben.
Alle kennen das: Zwei Menschen erleben das Gleiche – und später kommt es ihnen so vor, als wären es völlig verschiedene Situationen gewesen. Gisbert Pöppler stand also an diesem Vormittag vor zwei Jahren in dem Haus, in dem er ein paar kleinere Umbauten erledigen sollte, und sah, dass er nichts sah. Zumindest nichts von besonderer Bedeutung. Es war das erste Warm-up-Treffen, und er fasste sich ein Herz, um der Auftraggeberin zu erklären, dass diese Innenausstattung nicht original war. „Und dass ich deswegen empfehlen würde, alles zu entfernen und das Haus neu einzurichten“, sagt der Architekt und Interiordesigner, auch wenn dies gut das vorzeitige Ende des Projekts hätte sein können. Die Unternehmerin Katja Pütter-Ammer, die die Villa gerade erworben hatte, erinnert sich ebenfalls an diesen Vormittag, nur eben ganz anders: „Ich habe vom ersten Augenblick an Gisbert Pöppler geglaubt. Es war mir sofort klar, dass er der Richtige für diese Aufgabe ist.“ Als er ihr dann seine Pläne präsentierte, dachte sie: „Wow, das ist gewagt, und mein Mann meinte: ,Oh Gott, hoffentlich wird das auch gut. Aber macht mal.‘“ Und was war es, das sie an Pöpplers Konzept so schnell überzeugte? „Ich bin ein spontaner Mensch, und ich liebe Farben. Auch dieses Haus war ein Impulskauf. Mein Mann und ich standen davor und wussten: Das ist es. Es hatte einfach eine gute Ausstrahlung.“
Die 1920er-Jahre-Villa inmitten der Natur hat bereits eine umfangreiche Baugeschichte
In den Achtzigerjahren war die Villa schon einmal von Grund auf saniert worden. Die Fassade stand unter Denkmalschutz und blieb daher unangetastet. Aber im Inneren war am Ende kein Stein mehr auf dem anderen: Alles war neu. Und das hieß: Alles war wertlos. Auch der parkgroße Garten war verwahrlost, als Gisbert Pöppler mit dem Projekt begann. Aber ursprünglich hatte das Haus Charisma: Die Aura des Neuen umgab es, denn es war Teil der Gartenstadt Hohenhagen. Drei, vier Steinwürfe entfernt befindet sich der Hohenhof, den der Belgier Henry van de Velde, ein Hauptvertreter des europäischen Jugendstils, für den Kunstsammler und Mäzen Karl Ernst Osthaus gebaut hatte (nach seinem frühen Tod bildete Osthaus’ Sammlung den Grundstock für das Folkwang-Museum in Essen).
An der nach englischem Vorbild entwickelten Gartenstadt waren Architekten wie Peter Behrens und Walter Gropius beteiligt; die Villa, die Katja Pütter-Ammer und ihr Mann erwarben, stammte von den Gebrüder Ludwigs. Heute ist von Hagen überregional nicht sehr viel mehr bekannt, als dass es als „Tor zum Sauerland“ firmiert; in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dagegen war die Stadt am Südrand des Ruhrgebiets dank Visionären wie Osthaus oder van de Velde ein Zentrum der europäischen Reformbewegung.
Karl Ernst Osthaus war auch sehr engagiert im Deutschen Werkbund. Dort setzten sich ab 1907 Architekten, Künstler und Designerinnen dafür ein, als Reaktion auf die zunehmende Industrialisierung Kunst und Handwerk wieder zu vereinen, ähnlich wie bei dem britischen Arts and Crafts Movement einige Jahre zuvor. All dies lieferte Gisbert Pöppler bei der Gestaltung der Villa ein paar entscheidende Stichworte. Die passenden Materialien auszusuchen ist das eine. Doch man muss auch Leute kennen, die in der Lage sind, mit diesen Materialien auf dem erforderlichen Niveau umzugehen. Zumal, so Pöppler, es sich bei dem Vorhaben um eine „Millimeter-Baustelle“ handelte. Das bedeutet: um eine Baustelle, bei der es der notwendigen Präzision wegen buchstäblich um jeden Millimeter ging.
Für die Renovierungsarbeiten war handwerkliche Perfektion gefragt
„Hervorragendes Handwerk ist unsere Leidenschaft“, sagt der Berliner Designer. „Unsere Kunden ermöglichen uns immer wieder, mit diesen tollen Firmen zusammenzuarbeiten.“ Wer schon öfter in Häusern der 1920er-Jahre war, weiß, wie beengt die räumlichen Verhältnisse dort oft sein können. So machte Pöppler aus den drei Zimmern zum Garten ein einziges großes Wohn- und Esszimmer. Er verlegte die zu kleine Küche, um sie mit Ofco aus Iserlohn neu zu planen, schuf im ersten Stock eine Suite aus Ankleide, Schlafzimmer und großem Bad.
Die Treppe, die die Stockwerke verbindet, wurde nicht versetzt, aber neu aufgebaut, den Durchgängen verpasste Pöppler charakteristische Rundbögen, die zu einem zentralen Motiv der Neugestaltung wurden. Den Zugang zum Wintergarten brach er auf, damit er großzügiger erscheint, wie er überhaupt mehr Licht ins Haus ließ – durch ovale Öffnungen in den Wänden (die er sich beim italienischen Designer Luigi Caccia Dominioni abgeschaut hat, den er bewundert) und durch schräg gestellte Laibungen an den Fenstern. „Das ist eine sehr aufwendige Art, sie größer wirken zu lassen, als sie sind,“ erklärt der Architekt, „und vor allem in der Schweiz verbreitet.“
Ein Spezialist aus Berlin (Pöppler: „ein wunderbarer Freak“) wurde von ihm beauftragt, den rötlichen, in seiner Farbigkeit an das Interieur des Hohenhofs erinnernden Terrazzo im Gartensaal herzustellen. Eine zweite hochgradig spezialisierte Firma, Stefan Freudenberger aus Rimpar bei Würzburg, sorgte dort und am Eingang für die mit Rundstäben versehenen Holzpaneele der Sockelzone, mit der Pöppler die Wände strukturierte, sodass „der Saal nicht so leer und kahl aussieht“.
Das Haus soll Nachhaltigkeit und Naturnähe widerspiegeln
Freudenberger war auch verantwortlich für die Sonderbehandlung, die Pöppler der Decke im Gartensaal angedeihen lassen wollte: „Diese Form der Holzbearbeitung findet besonders im Yachtbau Verwendung. Dafür werden Bohlen gepresst, was das Holz sehr hart macht und es gleichzeitig angenehm unregelmäßig und belebt erscheinen lässt. In der Tischlerei gibt es zwei Arbeiter, die sich nur darum kümmern, zu große Astlöcher gegen schönere auszutauschen.“ Da die promovierte Ärztin Katja Pütter-Ammer und ihr Mann in dritter Generation ein Medizinunternehmen leiten, das Ansprüche an Nachhaltigkeit und Naturheilkunde stellt, unterhalten sie nicht nur eine eigene Imkerei, sondern auch einen gastronomischen Betrieb. Mit anderen Worten: Im Haus und im Garten ist häufig eine Menge los. „Wir haben hier regelmäßig Gäste aus dem In- und Ausland“, bestätigt die Hausherrin, „da liegt es nahe, dass wir unsere Werte auch vorleben.“
Romantischer Garten trifft auf Design-Legenden
Die Pütter-Ammers sponsoren Blühwiesen, das sieht man auch dem Park an, den die Königliche Gartenakademie Berlin für sie anlegte, mit einem großen Teich, der im Sommer rege als natürlicher Swimmingpool benutzt wird. Das Mobiliar in diesem einladenden Haus setzt sich zusammen aus Design-Klassikern und Gisbert Pöpplers eigener Möbelkollektion. Die Stoffe für die Bezüge von Sofas und Sesseln kommen von Dedar, Bute, Svenskt Tenn und Le Manach, einer Pierre-Frey-Firma, mit der Gisbert Pöppler gerne zusammenarbeitet, weil sie Möglichkeiten zur Individualisierung bietet wie kaum eine andere. Sogar die Türgriffe wurden extra für die Villa entworfen, vielleicht als Hommage an Henry van de Veldes Hohenhof hergestellt von einer Gießerei aus Belgien. Es sind auch solche vermeintlich nebensächlichen Details, die die „Impulskäuferin“ Katja Pütter-Ammer nach zwei intensiven Jahren Umbau davon überzeugen: „An diesem Haus werden wir noch sehr lange unsere Freude haben, da bin ich mir sicher.“











