Giampiero Tagliaferri ist ein Designtalent: Vom Kreativdirektor einer Brillenmarke ist er innerhalb von zwei Jahren zum Interiorstar geworden – Ein Besuch in seinem Studio.
Von null auf Superstar: Giampiero Tagliaferris Auftritt auf der internationalen Designbühne erinnert an die Geburt der Athene aus dem Haupt des Zeus. Kaum zwei Jahre nach der Gründung seines Studios leitet der Italiener bereits ein zehnköpfiges Team, unterhält Studios in Italien und den USA und kann Architektur- und Interiorprojekte vorweisen, um die ihn mancher Branchenveteran beneiden dürfte: die Renovierung eines venezianischen Palazzos für einen prominenten Kunstsammler, ein Haus in Los Angeles für Brunello Cucinellis Tochter Carolina und ihren Ehemann, die Umgestaltung des japanisch inspirierten Hauses der Schmuckdesignerin Anita Ko in Bevelry Hills, mehrere Filialen der Restaurantkette Sant Ambroeus sowie weitere private Interieurs von Paris bis Las Vegas. Auf dem Salone del Mobile in Mailand präsentierte der Design-Shootingstar zudem gerade die ersten Früchte seiner Zusammenarbeit mit Minotti.
Nach mehreren Stationen folgt der Italiener nun seiner größten Leidenschaft
Ganz aus heiterem Himmel ist Tagliaferri dann allerdings doch nicht zum gefragten tastemaker geworden. Bevor er sich selbstständig machte, war er Kreativdirektor der Brillenmarke Oliver Peoples, leitete dort das Marketing, die Produktentwicklung und das Storedesign. Zum Wendepunkt seiner Karriere sollte die Gestaltung der eleganten Oliver-Peoples-Boutique in Mailand werden. „Mir wurde klar, dass dies meine größte Leidenschaft ist – komplette environments zu erschaffen, die Funktion und Komfort mit Schönheit und Fantasie verschmelzen“, sagt Tagliaferri.
Die unverwechselbare Ästhetik, die er als Designer entwickelt hat, schöpft Kraft und Inspiration aus den beiden Orten, zwischen denen er mittlerweile pendelt: Mailand und Los Angeles. „Mailand ist eine Stadt, die ihre Schönheit verbirgt. Je mehr man sie erkundet, desto mehr außerordentliche Details entdeckt man“, erklärt er. „Und in den kalifornischen Modernismus habe ich mich verliebt, als ich Kampagnen für Oliver Peoples in den erstaunlichen Häusern von Lautner, Neutra und Ellwood produziert habe. Zudem hat L. A. dieses berühmte Licht. Es ist wirklich berauschend.“
Ein Ort gewidmet der Kultur und des Designs
Um Tagliaferris transatlantische Stilvision in situ zu erleben, besucht man am besten sein Atelier im Viertel Silver Lake. Der funktionale Bau, der einst ein Kampfsportstudio beherbergte, wurde 1999 von dem Architekten Wes Jones in ein avantgardistisches Wohnhaus für den Schlagzeuger einer Rockband umgewandelt. Jones' eigenwillige architektonische Intervention – mit einem Skelett aus Wellblechpaneelen und Metallgittern, Schiebetüren und einer beweglichen Brücke, die das dreistöckige Atrium mit Betonboden überspannt – hat Tagliaferri weitgehend intakt belassen. „Das Volumen des Raums ist unglaublich, genauso wie das Licht. Es erinnert mich an die bauliche Tektonik von Paul Rudolph“, sagt der Designer. Die robuste, industriell wirkende Hülle hat er mit Möbeln, Kunstwerken und Objekten aufgelockert, die wie er selbst Italien mit Kalifornien verbinden: Angelo Mangiarotti und John Baldessari; Gae Aulenti und Vanessa Beecroft; Gaetano Pesce und Roger Herman. Der wohlüberlegte Ausgleich zwischen dem Rohen und dem Raffinierten in Tagliaferris vielschichtigem Ensembles atmet subtile Sinnlichkeit und wirkt zugleich radikal schick – eine Paarung, die all seine weit verstreuten Projekte zu durchdringen scheint.
Doch Giampiero Tagliaferri nutzt das Gebäude nicht nur als Büro und Atelier, sondern auch als Salon für Kreative aus Kunst, Musik, Film und Design. „Das Studio soll ein Ort sein, an dem sich Menschen treffen, um Ideen und kreative Energie auszutauschen“, sagt er. „Ich finde es wichtig, sich nicht nur auf die Designbranche zu konzentrieren, sondern sie als Teil von Kultur im weiteren Sinne zu sehen.“ Und noch einen zusätzlichen, ganz persönlichen Mehrwert hat das Atelier für ihn: „Ich kann zu Fuß von meinem Haus zum Studio gehen und auf dem Weg zur Arbeit einen Matcha trinken. Das gibt es nicht oft in L. A.“
