Retreats: Diese 9 Stadtfluchten bieten Ruhe im Ring – und außerhalb.
Es muss nicht immer eine Hitzewelle sein. Oft genügt schon eine dampfige U-Bahn, ein schlecht belüftetes Hotelzimmer oder der heiße Asphalt unter den Sandalen: Im Hochsommer kann es in jeder Großstadt gern mal ein bisschen anstrengend werden. Das gilt auch für Berlin. Hauptstadt-Besucher:innen nehmen es genauso zähneknirschend in Kauf wie alteingesessene Kreuzberger:innen. So wird aus dem sommerlichen Städtetrip schnell ein kleiner Hitzetest, bei dem jeder Schattenstreifen zählt. Nicht selten kippt die Stimmung dann vom entspannten Schlendern ins genervte Ausharren. Wer jedoch genau hinsieht, entdeckt zwischen Beton und Pflaster immer wieder grüne Ruheinseln, stille Höfe oder schattige Cafés. Und wer sich weiter hinauswagt, trifft sogar auf historische Gutshäuser und Farm-to-Table-Restaurants. Was nämlich kaum jemand weiß: In und um Berlin gibt es jede Menge schöne Oasen, die zum Verweilen einladen. Und hier zeigt sich die Hauptstadt von ihrer entspanntesten Seite.
Egal in welcher Himmelsrichtung – Berlin und sein Umland locken mit Gärten, Retreats und Orten zum Abkühlen, Entspannen und Durchatmen. Wir zeigen Ihnen, welche davon Sie nicht verpassen dürfen.
Gerade noch innerhalb des Rings gelegen, fühlt sich ein Besuch bei „Lobe Block“ trotzdem ein bisschen an wie ein Ausflug ins Grüne: Der große Garten mit Bauwagen zum Übernachten bildet einen Kontrast zum Betonbau, gestaltet von Arno Brandlhuber, der gleich daneben in die Höhe ragt. Und genau diese Gegensätze machen es so interessant. Das Projekt soll Kunst, Community und urbanes Gärtnern zusammenbringen. Und so gibt es neben den Wohnbereichen unten ein großes öffentliches Café, ein Yogastudio, Ausstellungen auf dem Dach – und eben jede Menge Garten zum Wandeln und Durchatmen.
Reetdächer vermuten die meisten wohl eher im Norden Deutschlands. Das Flussbad Berlin bringt eins jetzt in den Osten, genauer gesagt nach Treptow: Mit dem „Reethaus“ als Teil des neu entstehenden Flussbad-Campus am Ufer der Rummelsburger Bucht ist ein besonderer Performance- und Kulturraum für immersive Klang- und Kunstformate entstanden. Entworfen von der Architektin Monika Gogl, erinnert das Gebäude mit seinem steilen Reetdach an einen sakralen Tempel oder eine natürliche Höhle – ein Ort der Stille, Reflexion und multisensorischen Erfahrung. Innen erwartet Besucher:innen ein minimalistischer „Still Room“ mit Materialien wie duftendem Kork, gewachster Eiche und Tatami-Elementen – ergänzt durch ein integriertes 360-Grad-Raumklangsystem von Monom zur Durchführung von sogenannten „Listening Experiences“. So nah an der Spree und doch so weit vom Lärm der Stadt wird das „Reethaus“ Berlin zum Wellness-Erlebnis. Hinter dem Projekt steckt Slowness – ein Kollektiv, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen nachhaltigen Lebensstil und Longevity zu fördern. Filmemacher Jim Jarmusch oder der Musikproduzent Jon Hopkins waren auch da, erklärt Co-Founder und Gründer von „Design Hotels“ Claus Sendlinger im Interview mit AD.
Einst ein Frauengefängnis, macht das „Wilmina Hotel“ heute einen äußerst freundlichen Eindruck: Zwischen 2011 und 2022 wurde die Anlage durch das Architekturbüro Grüntuch Ernst sorgfältig umgebaut. Ziel war es, das Gefühl von Isolation in einen einladenden, sozialen Raum zu verwandeln – ohne dabei die Spuren der Vergangenheit auszulöschen. Die ehemaligen Gefängniszellen wurden zu hellen Suiten erweitert, Originaltüren und Fensteröffnungen wurden bewahrt, während Räume, Innenhöfe und Dächer Begrünung erhielten. 44 Zimmer und Suiten, eine Dachterrasse samt Lap-Pool auf dem Penthouse-Geschoss, Spa, Gym und ein Restaurant gehören auch dazu. Mitbegründerin Almut Grüntuch-Ernst erklärt ihre Motivation und den radikalen Umbruch vom Gefängnis zum Gästehaus im Interview mit AD.
Das „Palais Brut“ steht exemplarisch für das, was einem in Brandenburg immer wieder vor Augen geführt wird: die DDR-Vergangenheit der Region und ihre baulichen Hinterlassenschaften. Wo viele vom Ausbau eines Gutshauses aus der Zeit um die Jahrhundertwende träumen, haben Architekt Hans Sasse und Bauherr Patrick Petzold sich an einen Plattenbau gewagt – und das mit Erfolg. Das Ergebnis ist nicht nur schön, sondern auch nachhaltig: Innendämmung, Fußbodenheizung, Solarthermie und umweltfreundliche Dämmmaterialien wie Glasschaumschotter kamen zum Einsatz. Im Inneren erwartet Gäste eine offene Betonästhetik mit warmen, sorgfältig ausgewählten Möbeln, teils recycelt aus Berliner Beständen wie etwa von Rotor Deconstruction. Es befindet sich in Müncheberg-Eggersdorf, eingebettet in die Märkische Schweiz zwischen Bad Saarow und Buckow – nur etwa eine Stunde von Berlin entfernt. Tagsüber lässt es sich hier wandern, Rad fahren und schwimmen. Abends winkt die Sauna. Platte kann so schön sein!
Ebenso nah an der Stadt – nur etwa eine Stunde mit dem Zug – liegt das „Gut Boltenhof“. Mitten im Naturpark Uckermärkische Seen gelegen, fühlen sich Gäste ganz schnell weit weg vom Lärm der Großstadt. Gleich an der Einfahrt werden sie von Gänsehorden empfangen, auch Pferde und Kühe grasen auf dem Gelände. Das Zentrum aber bietet das alte Gutshaus, von den Locals liebevoll auch „Schloss“ genannt, das von Andrea Riest und ihrem Mann liebevoll renoviert wurde. Die beiden zogen kurzerhand aus Frankfurt hierher, als ein Elternteil nach Pächter:innen suchte. Mit viel Zeit und Mühe entstand ein gemütliches Hideaway, das nicht nur den Blick auf die Historie schärft, sondern auch besonders gemütlich und kinderfreundlich ist. Der Unternehmungslust sind hier keine Grenzen gesetzt: Yoga und Meditation, Beisammensein am Lagerfeuer, Streichelzoo und Fütterung, Kräuterwanderung, Kremserfahrt, Erfrischung im nahe gelegenen Haussee, Treckerfahrt, Spaziergang durch die Seenlandschaft und sogar ein Kinderkino bieten Abwechslung en masse. Außerdem gibt es saisonale Veranstaltungen wie Kräuterwanderungen und Apfelsaftpressen.
Gleich mehrere Rückzugsorte versammelt die Gemeinde Flieth-Stegelitz etwas weiter östlich in der Uckermark. Allen voran das prächtige „Gutshaus Friedenfelde“ im gleichnamigen Ort. Es geht auf ein Herrenhaus aus dem Jahr 1742 zurück, das von Ernst Philipp von Münchow erbaut wurde und später in den Besitz der Familie von Arnim gelangte. Nach Weltkriegen und Besetzungen war in den 70er-Jahren ein Abriss geplant, doch dank Denkmalschutz konnte das Gebäude bewahrt werden. 2019 übernahmen Annedore Streyl und Thomas Rieger das Gutshaus, führten behutsame Restaurierungen durch und eröffneten es 2023 als Ort für Kultur und Entspannung. So scheinen die historischen Strukturen jetzt überall durch, und auch einige Berliner Künstler:innen der Gegenwart schmücken die Wände. Regelmäßig finden hier jetzt Yoga-Retreats statt, Gäste können zudem Tierbeobachtungen, Angelausflüge, Biketouren oder Wanderungen unternehmen. Es gibt aber auch ein hauseigenes Kulturprogramm mit Konzerten. Langweilig wird es also nicht.
Nebenan in Gerswalde lässt sich bei „Parg“ am Wochenende direkt im großen Garten essen. Mit Zutaten von lokalen Bäuer:innen und dem, was gerade im Garten wächst (von den Macher:innen der Weinbar „JAJA“ in Neukölln), mit einer reduzierten Menükarte, einer sehr gut sortierten Weinkarte und ganz viel Atmosphäre. Weil saisonal und nur am Wochenende geöffnet wird, ist eine Reservierung im Voraus unbedingt zu empfehlen. Anschließend kann im Dorf nebenan im „Hof Flieth“ gemütlich übernachtet werden, aber auch einige schöne Läden, Eiscafés und sogar eine Dorfbrauerei locken immer mehr Städter:innen in die Gegend – ach ja, schwimmen kann man auch in vielen kleinen und größeren Seen.
Wer schon einmal in Berlin-Mitte spaziert ist, kommt am „St. Oberholz“ nicht vorbei. Seit 2005 hat sich das Eckcafé am Rosenthaler Platz stetig vergrößert, kann sich vielleicht sogar als eines der ersten großen Berliner Co-Working-Spaces bezeichnen. Wer für sein Projekt ein bisschen mehr Platz und Ruhe braucht, zieht sich ins „St. Oberholz Woldzegarten Retreat“ zurück: Seit 2023 kombiniert es in einem historischen Gutshof moderne, klare Innenräume mit Vintage-Design und zeitlosen Möbeln – dazu gibt es Berliner Komfort mit Seifen von Daluma, schön angerichtete, lokale Speisen und einen Spa-Bereich mit Sauna, Pool, Massage und einen ruhig gelegenen kleinen See zum Schwimmen nebenan. Aber schwimmen lässt sich rund um Leizen sowieso: Es liegt schließlich mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte.
Ein weiteres Berliner Gewächs, das sich ins Umland ausgebreitet hat, ist das „Michelberger Hotel“ – im Spreewald als „Michelberger Farm“ bekannt. In ihrer neu konstruierten, rustikal-minimalistischen Scheune mit Ziegel- und Holzarchitektur warten Gemeinschaftsräume mit Küche, Kamin und Barbereich auf bis zu 25 Gäste. Die Farm fungiert als echtes Farm-to-Table-Konzept: Das Restaurant auf dem Gelände, aber auch das „Michelberger Hotel“ und „ORA“ in Berlin werden mit frischen Zutaten aus dem Waldgarten beliefert, ein ganzheitliches Ökosystem, basierend auf Prinzipien der Permakultur; dazu gibt es gemeinschaftliche Mahlzeiten und Workshops zur regenerativen Landwirtschaft. Fahrrad oder Kanu fahren, heiße Quellen oder ein Ausritt sind ebenfalls Teil des Angebots im Spreewald.
Spätestens seit der Pandemie strecken immer mehr Menschen die Fühler in Richtung Regeneration aus. Und es scheint fast so, als ob auch die Großstadt sich jeder Anstrengung – von Riesenbaustellen bis Sommerhitze – trotzig mit mehr Entspannung entgegenstellt. Vielleicht lässt sich ein heißer August, erfüllt von den Instagram-Impressionen der Amalfiküste und aus Ibiza, klammheimlich genau da am besten erleben, wo gerade keine:r ist. Diese Orte beweisen: Das Gut(e) liegt eben doch so nah.












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