Brutalismus trifft auf Pariser Architektur der 1910er-Jahre: Clément Lesnoff-Rocard schafft ein architektonisches Spannungsfeld

Mit poetischer Fantasie baute der Pariser Architekt Clément Lesnoff-Rocard ein traditionelles Appartement zu einem lässigen und lichtdurchfluteten Zuhause um, in dem Historisches und Neues aufeinandertreffen
Im Esszimmer stehen Pariser BistroTische mit braunem Kalbsleder.
Ludovic Balay

Clément Lesnoff-Rocard verwandelt eine Pariser Wohnung aus den 1910er-Jahren in ein Zuhause, das mit brutalistischen Elementen den üblichen Wohn- und Instagram-Trends in Beige trotzt.

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Ein französisches Paar war auf der Suche nach einem neuen Zuhause in Paris für sich und seine kleine Tochter – fündig wurden sie im 5. Arrondissement, dem ältesten der 20 Stadtbezirke, populärer auch Quartier Latin genannt oder kurz: Panthéon. Dort, links der Seine, wo ein intellektuelles Publikum alteingesessener Familien auf junge Studierende trifft, begegnet einem Architektur aus mehreren Epochen, wie sie in Paris sonst nur selten in dieser Vielschichtigkeit zu entdecken ist. Die im Stil der Neugotik erbaute Universität Sor­bonne ist nur wenige Mansarddächer von der neoklassizistischen Kuppel des Panthéon entfernt, zwei Straßen­ weiter liegen die Überreste des im 2. Jahrhundert erbauten gallorömischen Amphitheaters, die Arènes de Lutèce. Der Geist der Vergangenheit reicht hier weit zurück, denn die Straßenzüge sind von der Radikalität des Baron Hauss­mann und seinen stadtplanerischen Am­bi­tionen größtenteils verschont geblieben. Das Apparte­ment des jungen Paars inmitten dieses ebenso geschichtsträchtigen wie charmanten Viertels stammt aus der Post-Hauss­mann-Ära um 1910 und wurde von der jungen Familie zum Zuhause erkoren, weil sie genau dieses architektonische Spannungsfeld so reizvoll fand.

Soft Brutalism trifft auf Pariser Architektur der 1910er-Jahre

Die Innenräume der 130 Quadratmeter großen Woh­nung gestalteten sich ähnlich facettenreich, aber nicht im guten Sinn. Ein hybrider Stil mit Elementen aus Art ­nouveau und Art déco war vor allem an den Kamin­simsen noch ablesbar, die spätere kleinteilige Raumauf­tei­lung mit neuem Stuck und Holzverklei­dun­gen ließ die originale architektonische Struktur jedoch kaum noch erkennen. Von einem Flur führten diverse Flügel­türen ins Ess-, Wohn-, Kamin- und Schlafzimmer, erzählt der neue Hausherr und erinnert sich an die hochglänzenden Holzböden, Wandtäfe­lun­gen und eingebauten Bücher­schrän­ke, alle aus demselben lackierten Eichenholz. Die Wohnung war eine wahre Orgie in Braun und Beige – und entschieden zu bieder und konventionell für den Geschmack der neuen Besitzer.

In der Ecke des Wohnzimmers neben dem Kamin befinden sich mehrere Spiegelflächen und weiße Stuckverzierungen an den...

Spiegel weiten die vom Architekten entworfene kleine Lounge-Ecke zum kompletten Kreis. Das „Standby“-Tischchen ist von Apparatus.

Ludovic Balay

Ein gründlicher Umbau sollte Abhilfe schaffen und ein zeitgemäßes, modernes Interieur ermöglichen. Die Historie des Hau­ses sollte dabei respektiert werden, jedoch mehr Großzügig­keit, Licht und Luftigkeit zum Vorschein kommen. Zudem war es dem Paar wichtig, dass sein neues Zuhause nicht wie ein weiteres Instagram-Appartement wirkt. Idealer­weise soll­te weder Holz noch die Farbe Beige verwendet werden, und es sollte nicht zu dekoriert wirken, denn manchmal, sagt der Besitzer mit einem Augen­zwinkern, sieht man in Pariser Interieurs vor lauter Dekoration und Möblie­rung kaum noch die Struktur der Architektur.

Hinter einem gläsernen SchiebeWandpaneel befindet sich ein multifunktionales Bad im lichtdurchfluteten Flur.

Hinter einem Schiebe-Wandpaneel aus Glas befindet sich das multifunktionale „Cäsaren-Bad“, das in den Wohnbereich integriert werden kann und so auch als Arbeitsplatz genutzt werden kann.

Ludovic Balay

Mehr als 30 (!) Designbüros kontaktierte das Paar für das geplante Bauvorhaben, für das es am Ende eine Carte blanche geben sollte. Nur bei Clément Lesnoff-Rocard schätzten die beiden auf Anhieb seine Expertise als Architekt mit Erfahrung bei sämtlichen technischen und statischen Anforderungen, aber auch seinen intellektuellen Ansatz, dem Interieur ein gewisses Maß an Poesie und Fantasie zu schenken. Die Eigentümer fühlten sich sofort freundschaftlich verbunden, die gemeinsame Liebe zu Künstlern wie Richard Serra ergab das Übrige. Dabei nahm sich Clément Lesnoff-Rocard des Projekts nicht nur wie ein Architekt, sondern behutsam wie ein Archäologe an, der die einzelnen Ebenen wie ein Palimp­sest in seinen Ebenen zu ergründen versuchte. So ließ er beispielsweise im Erker des Wohnbereichs den Putz von Hand abtragen, damit der Pierre de Paris, das typische Pariser Fassadengestein, zum Vorschein kam; er ließ historische Heizkörper weiterhin unverkleidet und verzichtete bewusst auf die Verblendung der statisch notwendigen neuen Stahlträger, deren offene Zurschaustellung fast zu einem Markenzeichen seiner Arbeit erklärt werden könnte. Darin liegt eine Kernkompetenz des in Paris aufgewachsenen Gestalters, der erst kürzlich das Headquarter der LVMH Métiers d’Art in der Rue Réaumur umgebaut hat, wobei er einen großen Teil der architektonischen Struktur beibehielt und dennoch nicht davor zurückschreckte, auch ein paar historische Elemente zu entfernen. „Soft Brutalism“ nennt er das selbst: „Wenn man mit der Schönheit der Stadt Paris aufgewachsen ist, dann ist die Scheu geringer, manchmal auch historisches Material wegzunehmen.“ Das sei aber wichtig, um „Raum für Neues zuzulassen“.

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Im Esszimmer stehen Pariser BistroTische mit braunem Kalbsleder.

Im Essbereich ließ der Architekt die klassischen Pariser Bistro-Tische mit Kalbsleder und die Tischbeine von Hand mit Blatt-Aluminium überziehen. Die „Cobra“-Stühle sind von Giotto Stoppino, die „Moonrise“-Wandregale aus Messing entwarf er selbst. „Trapeze“-Lüster von Apparatus, Keramikvasen auf dem Kamin von Enzo Mari für Danese, Tafelsilber: Puiforcat.

Ludovic Balay
  • Styling: Sarah de Beaumont