Brutalismus im Wald: Locus Architetti verwandeln in Pordenone ein historisches Haus in ein offenes Raumerlebnis mit viel Bezug zur Natur.
Wenn der Sommer ein Gemütszustand ist, dann ist er in dieser Villa am Stadtrand von Pordenone in jedem Winkel spürbar. Hier im Grünen, in einer waldreichen Gegend, die im 19. Jahrhundert besiedelt wurde, fühlt man sich wie im Urlaub. Obwohl dies keine der klassischen italienischen Ferienregionen ist, gleicht diese verborgene Ecke von Friaul-Julisch-Venetien, die reich an architektonischen Überresten früherer Epochen ist, einem Puzzle aus kleinen Ortschaften, die darauf warten, entdeckt zu werden.
Traditioneller Schuppen aus modernem Material
Und ebenjene Schichten der Vergangenheit hat sich das Architekturbüro Locus zunutze gemacht, um eine einzigartige zeitgenössische Architektur zu schaffen. „Das Gebäude, ein ehemaliges Pfarrhaus aus dem 19. Jahrhundert, wurde im Laufe der Zeit verändert“, erzählen die Architekten Roberto Pasquali und Riccardo Tosoni, „der bedeutendste Schritt in seiner Entwicklung war dabei die Erweiterung nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Heute präsentiert es sich als ein Volumen, das das Ergebnis verschiedener Prozesse ist, die in „einem Element der Synthese zwischen dem Alten und dem Neuen“ gipfeln. Die Architekten fügten einen „Fremdkörper“ hinzu, der sich jedoch bei genauerem Hinsehen sehr wohl auf die architektonische Tradition der Gegend bezieht: Er interpretiert den typischen stavolo friulano (eine Art Schuppen, in dem Schäfer mit ihren Herden bei schlechtem Wetter Unterschlupf fanden) neu – mit einer Holzstruktur, die auf einem Sockel aus Sichtbeton liegt und von einer Aluminiumhaut geschützt wird.
Brutalismus mit Hommage an James Turrell
Das mächtige Betonfundament, auf dem die zeitgenössische Villa ruht, erinnert in seiner brutalistischen Wucht an die berühmten Experimente von Le Corbusier oder, räumlich und zeitlich näher gelegen, von Celli Tognon in Triest. Doch es knüpft zugleich an die einheimische ländliche Bautradition an. „Die Intervention beschränkt sich nicht auf eine physische Überlagerung, sondern wird zu einer zeitlichen Überlagerung, die die Geschichte des Pfarrhauses fortschreibt, ohne seine Ursprünge auszulöschen“, so das Architekten-Duo.
Wenige Farben und reine Formen prägen das Projekt – und dazu ein rundes Oberlicht. Weshalb haben die Architektinnen dieses außergewöhnliche Element gewählt? Vielleicht, weil Licht immer positive Emotionen vermittelt, erst recht wenn es wie hier eine Betonplatte durchbricht und entmaterialisiert. Ein Auge? Ein Bullauge? Eine Himmelsscheibe, die Himmel und Erde in Kontakt bringt und eine direkte Beziehung zur umgebenden Natur herstellt. Eine Hommage an das künstlerische Schaffen von James Turrell, der mit Werken auf halbem Weg zwischen Architektur und ortsspezifischer Skulptur für Staunen und Faszination sorgt. „All diese Mittel schaffen einen neuen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Architektur und Landschaft, zwischen Tradition und Innovation“, sagen die Architekten.
Der brasilianische Touch
Stilistisch oszilliert dieses Projekt zwischen typisch europäischen Elementen und Einflüssen aus Übersee. Wüsste man nicht, wo diese Villa steht, könnte man sie fast im Amazonas-Regenwald oder anderswo in Brasilien vermuten. Oscar Niemeyer mit seinen Casas das Canoas oder die schwebende Villa von Lina Bo Bardi kommen einem in den Sinn, wenn man die Architektur von innen und außen betrachtet. „Während das äußere Volumen die Geschichte überlagert, um einen neuen Dialog zu schaffen“, erklären die Architekten, „fügt sich die Einrichtung feinfühlig in den architektonischen Rahmen ein und funktioniert in Synergie mit den vorhandenen Räumen. Alles dreht sich um das ziegelrote zentrale Einbaumöbel, das die Funktion hat, die Räume zu verschmelzen und den Wohnbereich auf harmonische Weise zu definieren und zu vereinen.“
Kunst und grüne Highlights
Die Farbpalette der Innenräume lehnt sich an die warmen, samtigen Töne der Außenbereiche an: Creme und Ziegelrot (mit einer pudrigen Variante) prägen die Wände. Flexible, modulare Möbel, die größtenteils in Zusammenarbeit mit der Marke Kristalia aus Pordenone entstanden sind, beleben das Wohnzimmer und fügen sich spontan ein, ohne aufdringlich zu wirken. Daneben finden sich Anklänge an die fünfziger und siebziger Jahre. „Diese Dualität zwischen dem Alten und dem Neuen stellt einen roten Faden dar, der die Design-Erzählung verbindet“, sagen die Architekten. Sie haben dem Werk zweier zeitgenössischer Künstler:innen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die perfekt zu dieser offenen Architektur passen: Matete Martini und Ludovico Bomben.
Der Schlafbereich schwebt über dem Wald
Während der Wohnbereich das Erdgeschoss einnimmt, befindet sich der Schlafbereich im ersten Stock, der leichter ist und aus Holz und Aluminium besteht. Diese Ebene kragt etwas aus und scheint sich vorwitzig nach der Landschaft auszustrecken. Den Architekten war es wichtig, das Grün ins Innere der Räume zu transportieren, und tatsächlich erhellen die großen Fenster, die auf den Garten blicken, die Räume wie farbige Gemälde, die ständig wechselnde Schattierungen und Glanzpunkte bieten. Das Innere scheint dadurch aus einem Guss – ein elegantes Architektur-Puzzle ist dieses Haus nur von außen.

















