Art Déco ist modern, mondän, total global – und aktuell wieder (oder immer noch) Trend

Art Déco, ein Stil, der schwer zu fassen ist – lange wusste man nicht, wie man ihn überhaupt nennen sollte. Vielleicht ist er gerade deswegen immer noch so aktuell
Tourismus Pavillon 1925 Art Deco Paris Robert MalletStevens
SiefkinDR

Was macht Art Déco noch heute so erfolgreich?

1919 verwandelte Hans Poelzig einen ehemaligen Zirkus am Berliner Bahnhof Friedrichstraße in das Große Schauspielhaus – es ging in die Kunstgeschichte ein als monumentales Beispiel der expressionistischen Architektur: Die Ränge im Auditorium sahen aus wie Tropfsteinhöhlen, im Foyer standen Leuchten, die an Palmen erinnerten oder an die Säulen altägyptischer Tempel. Das ganze Theater war ein aufsehenerregender Bau: nie dagewesen, absolut jung und neu, verspielt, schräg, exaltiert und auch ein bisschen verrückt. Dann, sechs Jahre später, bot sich auf der „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ in Paris schon wieder ein völlig anderes Bild. Die Pavillons, in denen die insgesamt 15000 Ausstellenden aus 18 Ländern auf der Freifläche zwischen der Esplanade des Invalides, dem Grand Palais und dem Petit Palais ihre innovativen Entwürfe zeigten, waren schick und schlank in jeder Hinsicht.

Expo Paris 1925 Eingang Place de la Concorde

Der Eingang zur „Exposition internationale des Art Décoratifs et Industries modernes“ 1925 an der Plaçe de la Concorde in Paris: nicht sehr funktional, aber eindrucksvoll – und mit einer Skulptur von Louis Dejean in der Mitte, die man als den Engel der nun anbrechenden Zeit interpretieren könnte. Jedenfalls standen die Zeichen damals eindeutig auf Zukunft, im positiven Sinn – hier eine zeitgenössische Postkarte.

Picasa
Art Deco Skulptur von Demtre Chiparu 1925

Edle Materialien, farbige Steine, Eleganz und moderne Menschen: Das waren die Bestandteile des Art Déco, hier die Skulptur „Mädchen“ von Demétre Chiparus aus dem Jahr 1925. Der Künstler verwendete dafür Bronze, Onyx und Elfenbein.

Colin Rose

Die Pavillons der Pariser Art-Déco-Ausstellung von 1925 zeigten eine Epoche im Aufbruch

Auf der „Exposition internationale“ dominierten einfache Formen, manche der temporären Bauten hatten etwas von Bauklötzen, mit denen Kinder spielen. Doch es war die Einfachheit einer Epoche im Aufbruch. Sicher, es gab Verzierungen und Ornamente, aber die waren wie mit dem Lineal gezogen. Der Eingang zur Ausstellung bestand aus acht im Kreis angeordneten, etwa 15 Meter hohen Pfeilern, die keinen erkennbaren Nutzen hatten – außer den passenden Rahmen zu bilden für die Figur einer jungen Frau, die in der Mitte des Kreises auf einem kristallinen Sockel stand. Sie war so etwas wie der Engel der nun anbrechenden Zeit. Die beiden beteiligten Künstler, Louis Dejean und Pierre Patout, taten sich später als Vertreter der Stromlinienform hervor. Und die Ausstellung fand Nachfolger, etwa 1933 in der Weltausstellung in Chicago.

Tourismus Pavillon Art Dco Ausstellung 1925 Robert MalletStevens

Der Tourismus-Pavillon auf der Ausstellung in Paris 1925, designt vom Architekten Robert Mallet-Stevens: Die radikal vertikale Ausrichtung, die Geometrien, hier ist alles Art Déco in seiner unverfälschten Form.

SiefkinDR

Art Déco vermittelte das Gefühl, dass alles möglich ist, und das sofort – Euphorie pur

Die Moderne des Art Déco war nicht die Moderne von Bauhaus oder der holländischen De Stijl-Gruppe. Etwas war passiert, es wusste nur niemand, was genau. Art Déco war verspielter, mehr mondän, legte Wert auf edle Materialien wie Chrom, Silber und bunte Halbedelsteine. Architekten wie Robert Mallet-Stevens bauten Häuser, die auch Startrampen hätten sein können, von denen Raketen in den Weltraum starteten - wenn es damals schon Raketen gegeben hätte. Falls ein Stil eine Grundstimmung haben kann, dann war es im Fall des Art Déco die Euphorie: das Gefühl, alles erreichen zu können, und das sofort.

Chicago Weltausstellung 1933 Poster Art Dco

Wieder die Vertikale: Alle können alles erreichen, das war der Spirit des Art Déco. Kein Wunder, dass der Stil in den USA besonders erfolgreich war, hier ein Plakat zur Weltausstellung 1933 in Chicago.

Library of Congress

Kunst, Design und Architektur strahlten eine Zuversicht aus, die nicht lange währen sollte, aber heute noch Wirkung entfaltet. Und es ist kein Wunder, dass das Art Déco auch in den USA ausgesprochen beliebt war. Das Chrysler-Building in Manhattan ist nach wie vor das Wahrzeichen für Zukunft in New York, dabei ist es schon fast einhundert Jahre alt. Das Niagara Mohawk-Building in der Stadt Syracuse im Bundesstaat New York hat den Engel der neuen Ära, den Louis Dejean an den Eingang der „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ 1925 stellte, sieben Jahre später an seiner Fassade, mit allem Drum und Dran und Flügeln wie aus einem Fantasy-Film (er heißt „Spirit of Light“ oder auch „Spirit of Power“ – die Niagara Mohawk Cooperation ist ein Energieversorger). Erich Mendelsohn baute in Berlin Gebäude, die ausschauen wie die Decks von Ozeandampfern. Auch die Maison de Verre von Pierre Chareau, Bernard Bijvoet und Louis Dalbet im 7. Arrondissement von Paris feiert bald seinen hundertsten Geburtstag, aber man sollte es einrahmen und sich an die Wand hängen – es ist so ein grandioses Kunstwerk.

Léon Benigni Winter 1930 Art Dco

Frauen unter sich – auch das war eine Errungenschaft des Art Déco-Zeitalters: Patriarchale Konventionen wurden als das betrachtet, was sie schon immer waren, etwas sehr, sehr Altes. Das Gemälde „Winter“ von Léon Benigni stammt aus dem Jahr 1930.

Zur Zeitlosigkeit des Art Déco passt, dass man lang nicht wusste, wie der Stil heißen sollte

Die was-kostet-die-Welt-Haltung des Art Déco hatte und hat immer noch etwas durch und durch Positives: Sie sollte eigentlich nie vergehen. Zu der Zeitlosigkeit des Art Déco passt, dass der Begriff an sich lange unbekannt war. In den Zwanzigerjahren nannte diesen Stil niemand Art Déco. Er entstand erst fünfzig Jahre später, und das auch eher aus Verlegenheit. Was genau man darunter versteht, darüber existieren unverändert nur recht vage Vorstellungen.

Club Sessel Art Dco Leder Zwanzigerjahre

Typisch Art Déco: Ein Club-Sessel, wahrscheinlich Ende der Zwanzigerjahre, in tabakbraunem Leder, einem zu der Zeit besonders beliebten Material.

Didouner

Das muss nicht schlecht sein. Im Gegenteil, es eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Vor kurzem erst brachten die Pariser AD100-Architekten Samantha Hauvette und Lucas Madani eine Möbelkollektion heraus, die dem Art Déco maßgebliche Anregungen verdankt. Diese Sessel, Sofas, Beistelltische und Barschränke haben eine umwerfende Eleganz. Gleichzeitig sind sie klar wie ein sonniger Januarmorgen im Oberengadin – und so solide, dass man keinen Zweifel hegt, dass sie Jahrhunderte überdauern. Das ist das Erbe der „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“. Die Ausstellung war vor einhundert Jahren übrigens spektakulär erfolgreich: Ursprünglich sollte sie von April bis Oktober geöffnet sein. Wegen der großen Nachfrage verlängerte man sie um ein paar Wochen. Am Ende hatten sie 16 Millionen Menschen besucht – heute wäre das undenkbar.

Hoover Building Kantine Perivale London Art Dco

Die Kantine des Hoover-Buildings in Perivale, Greater London, sie wurde 1938 vom Architekturbüro Wallis, Gilbert & Partners errichtet. Wie man sieht, gehörten gekurvte Fenster auch zum Art Déco, so wie die geometrisch-horizontale Ausrichtung der Stockwerke und der vertikale Mittelteil des Gebäudes.

(c) Steve Cadman, steve@stevecadman.me.uk, Creative Commons Attribution-Sharealike v2.0
Victoire Rene Lalique Toyota Automobile Museum Art Dco

1928 entwarf der Glaskünstler René Lalique diese Kühlerfigur, ein Paradebeispiel für das Art Déco. Die Figur befindet sich heute im Toyota Automobil-Museum in der Stadt Nagakute in der japanischen Präfektur Aichi.

Morio, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Art Déco Mutual Heights Wohnzimmer Kapstadt

Art Déco war (und ist immer noch) ein globales Phänomen: Wohnzimmer im Mutual Heights-Building in Kapstadt mit originaler Wandbemalung aus den späten 1930er Jahren.

Greg Cox/Bureau
Möbel Kollektion Hauvette Madani Art Dco inspiriert

Art Déco reloaded: Das Pariser Architekturbüro von Samantha Hauvette und Lucas Madani brachte er vor kurzem eine Möbelkollektion heraus, die vom Design der 1920er-Jahre inspiriert ist. Zwei „Le Parfait“-Sessel nehmen einen „Le Damier“-Tisch in ihre Mitte – das Muster des Tisches besteht aus dunklem Ebenholz und dem hellen Holz des Ahornbaums.

Lucas Madani
Sessel Le Capitaine Hauvette Madani AD100Design

In derselben Kollektion der AD100-Designer:innen gibt es noch den Sessel „Le Capitaine“…

Lucas Madani
Sofa Le Colonel Hauvette Madani AD100Design Art Dco

…das Sofa „Le Colonel“ und

Lucas Madani
Wandleuchte Gioiello Hauvette Madani AD100Design Art Dco Inspiration

…die Wandleuchte „Gioiello“, was so viel heißt wie „Juwel“ oder „Schmuckstück“. Die Glasringe stammen aus Murano, sie sind in verschiedenen Farben zu haben: in Gelb, Rosé, mit Grünstich und in Tabakbraun. Und es existiert auch eine Version mit nur einem Ring, die kann man dann auch als Tischleuchte bestellen.

Lucas Madani
Barschrank Yves Hauvette Madani AD100Design Art Dco Inspiration

Dass sich Hauvette & Madani gerne ans Art Déco erinnern, heißt nicht, dass sie nicht praktisch denken: Der Barschrank „Yves“ stammt aus dem Jahr 2021 und ist aus dunklem Ahornholz, er könnte aber auch von 1925 sein.

Lucas Madani