Was macht Art Déco noch heute so erfolgreich?
1919 verwandelte Hans Poelzig einen ehemaligen Zirkus am Berliner Bahnhof Friedrichstraße in das Große Schauspielhaus – es ging in die Kunstgeschichte ein als monumentales Beispiel der expressionistischen Architektur: Die Ränge im Auditorium sahen aus wie Tropfsteinhöhlen, im Foyer standen Leuchten, die an Palmen erinnerten oder an die Säulen altägyptischer Tempel. Das ganze Theater war ein aufsehenerregender Bau: nie dagewesen, absolut jung und neu, verspielt, schräg, exaltiert und auch ein bisschen verrückt. Dann, sechs Jahre später, bot sich auf der „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ in Paris schon wieder ein völlig anderes Bild. Die Pavillons, in denen die insgesamt 15000 Ausstellenden aus 18 Ländern auf der Freifläche zwischen der Esplanade des Invalides, dem Grand Palais und dem Petit Palais ihre innovativen Entwürfe zeigten, waren schick und schlank in jeder Hinsicht.
Die Pavillons der Pariser Art-Déco-Ausstellung von 1925 zeigten eine Epoche im Aufbruch
Auf der „Exposition internationale“ dominierten einfache Formen, manche der temporären Bauten hatten etwas von Bauklötzen, mit denen Kinder spielen. Doch es war die Einfachheit einer Epoche im Aufbruch. Sicher, es gab Verzierungen und Ornamente, aber die waren wie mit dem Lineal gezogen. Der Eingang zur Ausstellung bestand aus acht im Kreis angeordneten, etwa 15 Meter hohen Pfeilern, die keinen erkennbaren Nutzen hatten – außer den passenden Rahmen zu bilden für die Figur einer jungen Frau, die in der Mitte des Kreises auf einem kristallinen Sockel stand. Sie war so etwas wie der Engel der nun anbrechenden Zeit. Die beiden beteiligten Künstler, Louis Dejean und Pierre Patout, taten sich später als Vertreter der Stromlinienform hervor. Und die Ausstellung fand Nachfolger, etwa 1933 in der Weltausstellung in Chicago.
Art Déco vermittelte das Gefühl, dass alles möglich ist, und das sofort – Euphorie pur
Die Moderne des Art Déco war nicht die Moderne von Bauhaus oder der holländischen De Stijl-Gruppe. Etwas war passiert, es wusste nur niemand, was genau. Art Déco war verspielter, mehr mondän, legte Wert auf edle Materialien wie Chrom, Silber und bunte Halbedelsteine. Architekten wie Robert Mallet-Stevens bauten Häuser, die auch Startrampen hätten sein können, von denen Raketen in den Weltraum starteten - wenn es damals schon Raketen gegeben hätte. Falls ein Stil eine Grundstimmung haben kann, dann war es im Fall des Art Déco die Euphorie: das Gefühl, alles erreichen zu können, und das sofort.
Kunst, Design und Architektur strahlten eine Zuversicht aus, die nicht lange währen sollte, aber heute noch Wirkung entfaltet. Und es ist kein Wunder, dass das Art Déco auch in den USA ausgesprochen beliebt war. Das Chrysler-Building in Manhattan ist nach wie vor das Wahrzeichen für Zukunft in New York, dabei ist es schon fast einhundert Jahre alt. Das Niagara Mohawk-Building in der Stadt Syracuse im Bundesstaat New York hat den Engel der neuen Ära, den Louis Dejean an den Eingang der „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ 1925 stellte, sieben Jahre später an seiner Fassade, mit allem Drum und Dran und Flügeln wie aus einem Fantasy-Film (er heißt „Spirit of Light“ oder auch „Spirit of Power“ – die Niagara Mohawk Cooperation ist ein Energieversorger). Erich Mendelsohn baute in Berlin Gebäude, die ausschauen wie die Decks von Ozeandampfern. Auch die Maison de Verre von Pierre Chareau, Bernard Bijvoet und Louis Dalbet im 7. Arrondissement von Paris feiert bald seinen hundertsten Geburtstag, aber man sollte es einrahmen und sich an die Wand hängen – es ist so ein grandioses Kunstwerk.
Die was-kostet-die-Welt-Haltung des Art Déco hatte und hat immer noch etwas durch und durch Positives: Sie sollte eigentlich nie vergehen. Zu der Zeitlosigkeit des Art Déco passt, dass der Begriff an sich lange unbekannt war. In den Zwanzigerjahren nannte diesen Stil niemand Art Déco. Er entstand erst fünfzig Jahre später, und das auch eher aus Verlegenheit. Was genau man darunter versteht, darüber existieren unverändert nur recht vage Vorstellungen.
Das muss nicht schlecht sein. Im Gegenteil, es eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Vor kurzem erst brachten die Pariser AD100-Architekten Samantha Hauvette und Lucas Madani eine Möbelkollektion heraus, die dem Art Déco maßgebliche Anregungen verdankt. Diese Sessel, Sofas, Beistelltische und Barschränke haben eine umwerfende Eleganz. Gleichzeitig sind sie klar wie ein sonniger Januarmorgen im Oberengadin – und so solide, dass man keinen Zweifel hegt, dass sie Jahrhunderte überdauern. Das ist das Erbe der „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“. Die Ausstellung war vor einhundert Jahren übrigens spektakulär erfolgreich: Ursprünglich sollte sie von April bis Oktober geöffnet sein. Wegen der großen Nachfrage verlängerte man sie um ein paar Wochen. Am Ende hatten sie 16 Millionen Menschen besucht – heute wäre das undenkbar.





%2C_oil_on_canvas%2C_55.3_x_39.4_cm%2C_private_collection.jpg)








