Alexandra Carl und Jacob John Harmer: So wohnen die Stylistin und der Fotograf in London
Es ist ausgerechnet das Badezimmer, über das die Stylistin Alexandra Carl stundenlang sprechen könnte. Vielleicht, weil sie in diesen Raum besonders viel Herzblut gesteckt hat – und mit seiner Gestaltung bewiesen hat, dass man manchmal hartnäckig recherchieren muss, um den richtigen Partner zu finden. Carl, die gerade neben ihrer Arbeit als Stylistin für Häuser wie Hermès, Cartier oder Max Mara, den Kurs in „Circular Economy and Sustainability Strategies“ in Cambridge absolviert hat, wollte gerne einen Marmorboden aus Resten, idealerweise aus Überproduktion oder Bruchstücken. Doch niemand wollte diese Ressourcen schonende Methode mit ihr durchsetzen, bis sie in Italien auf Mario Bellinis Marmorhersteller traf.
Von der italienischen Designikone finden sich einige Möbelstücke in der georgianischen Stadtvilla von 1865, die britische Architektur gekonnt mit skandinavischer Leichtigkeit bespielt. Die Möbel sind fast ausnahmslos Vintage, weil die Stilikone und ihr Mann, der Fotograf Jacob John Harmer, Möbelklassiker am liebsten gebraucht kaufen.
Die Stylistin Alexandra Carl im AD-Interview
Alexandra, erzähl uns von eurem Zuhause. Wie habt ihr das Haus gefunden?
Das war ziemlich verrückt. Wir hatten eigentlich ein anderes Haus im Auge, aber in Großbritannien können beide Seiten bis kurz vor dem Einzug aus einem Kauf aussteigen – und genau das ist uns passiert. Daraufhin haben wir etwa 10 Monate lang aus dem Koffer gewohnt. Weil ich beruflich viel reisen muss, haben mein Sohn Theo und mein Mann Jake mich nach Los Angeles, New York und Paris begleitet. Aber am Ende wurde uns das etwas zu viel. Der Markt hier in London war allerdings super knifflig. Nach acht Monaten intensiver Suche haben wir uns für ein verrücktes Renovierungsprojekt in einem Haus entschieden, das zuvor eine Künstlerresidenz für Musiker wie Aphex Twin war. Es hatte sogar einen Teich! Ich bin mir nicht sicher, was wir uns dabei gedacht haben... Gleichzeitig hatten wir etwa 50 Briefe mit Anfragen bei Häusern in unserer Wunschgegend eingeworfen, und gefragt, ob etwas zum Verkauf steht. Irgendwann erhielt ich eine SMS von unserem Traumhaus – da standen wir allerdings gerade davor, den Kaufvertrag für das besagtes Renovierungsprojekt zu unterschreiben.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben dieses Haus trotzdem besichtigt. Ich habe noch ein Video von Jake und mir im Garten. Auf seinem Gesicht sieht man förmlich, wie er denkt „shit, this is it“ (lacht). Wir hatten ja gerade den Kaufprozess für das andere Haus durchlaufen. Aber wir hatten beide dieses Gefühl, dass dieses georgianische Haus für uns bestimmt ist. Unsere Vorbesitzer:innen haben sich so gut um dieses Haus gekümmert. Es war, anders als das Renovierungsprojekt, in ziemlich gutem Zustand, obwohl es 1865 erbaut wurde. Allerdings weiß man ja, wie das ist. Sobald du anfängst, eine Sache zu renovieren, nimmt es Überhand.
Wie viel habt ihr verändert?
Wir haben zum Beispiel die beiden Wohnzimmer miteinander verbunden, um mehr Licht reinzulassen. Wir wollten aber so viel wie möglich am Haus erhalten. Alle Materialien, die wir verwendet haben, stammen aus wiederverwerteten oder recycelten Ressourcen, mit sehr wenigen Ausnahmen. Mir ist es wichtig, nicht verschwenderisch zu sein. Wir hatten zum Beispiel alte Terrakotta-Fliesen im Garten. Wir wollten sie nicht mehr, aber wir haben sie so lange gelagert, bis ich jemanden in der Nähe fand, der sie unbedingt haben wollte – anstatt sie einfach wegzuschmeißen. Für den Fußboden in Theos Zimmer haben wir wiederverwertetes Holz verwendet. Für den Boden im Badezimmer etwa konnte ich anfangs niemanden finden, der ihn aus Marmorresten produzieren wollte. Dabei gibt es so viel Überproduktion und Bruchreste. Man muss sich nur vorstellen: Wenn jemand Materialien bestellt – wie zum Beispiel für den Fußböden – dann rechnet man 10 Prozent dazu... Aber was passiert mit den Materialien, die nicht verwendet werden? Es hieß überall, dass das zu viel Aufwand sei.
Erzähl uns vom Boden im Bad. Hat es am Ende mit deiner Vision geklappt?
Ja – wegen des Tischs, der bei uns im Flur steht, ein Entwurf von Mario Bellini, der in Italien gefertigt wird. Ich wusste, dass UpGroup Italia früher alle Möbel aus Marmor für Bellini gemacht hat – und dass sie dafür eine Methode verwenden, bei der Marmor mit Harz verklebt wird. Ich habe sie dann gefragt, ob sie den Marmorboden im Bad mit mir machen würden. Dank ihrer Flexibilität und Denkweise haben wir begonnen, gemeinsam an meiner Vision daran zu arbeiten, und es war tatsächlich möglich, Marmorstücke und -Reste zu verwenden. Das Erforschen von Schichten und Texturen ist für meine Arbeit von entscheidender Bedeutung, beim Styling, aber auch, wenn ich mit Designern an einer Kollektion arbeite. Es geht darum, unerwartete Kombinationen und Texturen zu schaffen. Wir wussten, dass das Bad sich warm, umarmend und organisch anfühlen musste, mit Farben in wärmeren Tönen und Farben, die im Haus vorhanden waren. Daher haben wir auch Grün hinzugefügt. Grün ist die Farbe der Hoffnung, sie zieht sich durch das gesamte Haus. Meine Cousine leitet Atelier AXO aus Kopenhagen – sie war entscheidend dafür, dass ich die Dimensionen und die Einrichtung des Raums verstand.
Wie kann man sich das genau vorstellen?
Im Grunde genommen kleben sie kaputte Marmorstücke mit Harz zusammen. So stellen sie neue Marmorfliesen her, die man zuschneiden kann. Die Adern sind vielleicht nicht perfekt, aber ich finde sie ziemlich schön. Jeden Morgen in der Dusche entdecke ich eine neue Komposition in den Fliesen.
Ist die nachhaltige Option manchmal teurer?
Ja, vermutlich ist es teurer, als wenn man einfach von der Stange bestellt. Aber ich bin der Meinung, dass man Dinge reparieren sollte, wenn es denn geht. Die Suche nach diesen Fliesen war wahnsinnig schwierig. Aber es gibt Gleichgesinnte da draußen. Ich habe in einer Studie gelesen, dass etwa 40% der im letzten Jahr gekauften Möbel in Großbritannien dieses Jahr wieder weggeworfen werden. Das liegt daran, dass wir, wie in der Mode, immer mehr Interiortrends schaffen. Ich finde die Tatsache, dass wir unsere Wohnräume genauso behandeln wie unsere Kleidung, wirklich beängstigend – Neues kommt genauso schnell, wie es wieder verschwindet. Man muss bloß an den Landfill an iPhones denken, für die es schon keinen Platz mehr geht. Wie werden wir Sofas, Tische, Stühle los, wo soll das alles hin?
Du legst großen Wert auf Nachhaltigkeit. Wie seid ihr außerdem bei der Interiorplanung vorgegangen?
Wir hatten vor dem Umzug wirklich nur sehr wenige Möbel, quasi nur den Tisch im Wohnzimmer und die Stühle, die jetzt in unserem Esszimmer stehen. Anfangs wirkte hier alles wie in einer Galerie. Wir hatten diese Vision von einem ruhigen Zuhause ohne verrückte Farben, wie in Kalifornien. Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass ich diese Seite meiner Persönlichkeit, die ich nicht unterbinden kann. Ich arbeite immer mit Farbe, auch in meiner Arbeit als Stylistin. Ich fühle mich sehr von Farben angezogen. Plötzlich hatten wir zwei grüne Sofas, dann kam ein pinker Akzent, und so weiter (lacht). Das passierte alles sehr intuitiv. Dennoch ist es immer noch ein unglaublich ruhiger und friedlicher Raum.
Und als Paar?
Die beiden Sessel aus Schaffell habe ich bei einer Auktion in Schweden gekauft – es war ein Albtraum, sie nach England zu bekommen. Ich war so aufgeregt, sie Jake zu zeigen, weil ich einen wirklich guten Preis gemacht habe – und weil sie quasi Teil meines gestalterischen Erbes sind. Meine dänische Großmutter war Lehrerin und hat in Möbel investiert. Ich bin mit dieser dänischen Midcentury-Ästhetik aufgewachsen. Als ich sie Jake zeigte, hat er mich nur gefragt, was das für Sessel seien und ich sagte, dass er Pech gehabt habe, weil ich sie schon gekauft hatte (lacht). Theo liebt sie, weil sie so schön weich sind.
Du hast mit einigen guten Freunden am Haus gearbeitet. Wie ist es, mit engen Vertrauten zu arbeiten?
Mir macht es Spaß, weil man weiß, was man aneinander schätzt. Einer meiner ältesten Freunde, der auch der Patenonkel meines Sohnes ist und die Einleitung zu meinem Buch geschrieben hat, hat quasi die Kunst für uns kuratiert. Mein Mann Jacob ist ja selbst Fotograf und hat ein Buch über seine Arbeit veröffentlicht, wir haben also auch viele Arbeiten von ihm, waren aber etwas zögerlich, die Wände zu überladen. Und dann kam mein Freund Dee und wollte uns dieses große, kühne und verrückte Gemälde ins Wohnzimmer stellen. Als er uns das erste Mal zeigte, habe ich mich gefragt, was er sich dabei denkt. In meinem Kopf hatte ich immer noch dieses saubere Pinterest-Board, da war alles beige. Als er das Bild mitbrachte, haben wir bemerkt, wie es den Raum zusammenbringt. Es bringt so viel Leben mit sich.
Im März nächsten Jahres erscheint dein Buch „Collecting Fashion: Nostalgia, Passion, Obsession“ bei Rizzoli. Sammelst du selbst auch Mode?
Ja, aber meine Sammlung ist im Vergleich zu den Menschen, die ich für mein Buch porträtiert habe, sehr klein. Ich habe zum Beispiel jede Saison einen Mantel von Phoebe Philo gekauft, aber ich kaufe, um zu tragen und wirklich damit zu leben. Meine Hermès-Handtasche ist Secondhand. Ich bin mit einer Mutter aufgewachsen, die Mode gekauft hat, als sie in Paris lebte. Sie war Journalistin und investierte ihr Geld in Alaïa und Saint Laurent. Das war meine Einführung in die Mode. Und genauso führte meine Großmutter mich an Möbel heran. Eine ihrer Lampen hängt über mir. Mit meinem Buch möchte ich auch vermitteln, dass ein Secondhandobjekt, wie etwa eine Chanel-Handtasche, ihren Wert behalten wird und für immer die Geschichten und Energien von jemand anderem tragen wird, der sie geschätzt hat.
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Vintagemöbel bringen eine eigene Geschichte mit. Wo findest du gebrauchte Möbel?
Ich bin besessen von Liveauction.com und Auctionet. Die App vereint alle Auktionshäuser auf der ganzen Welt. Aber ich recherchiere auch viel. Unser Esstisch ist das gleiche Modell wie das meiner Großmutter, aber sie starb, bevor ich Platz für ihn hatte. Es gibt diese Zeitung in Dänemark, mit alter Website, die wie eBay in Dänemark funktioniert, bloß in altmodisch. Und ich habe den Tisch dort gefunden. Er gehörte einem Paar, das ihn einst zur Hochzeit geschenkt bekam. Jetzt sind sie um die 80 Jahre alt und geben ihn weiter. So bringt er eine ganz eigene Erzählung mit. Das Ehepaar muss so viele Abende an diesem Tisch verbracht haben, jetzt essen wir jeden Abend daran.



















