#thirtysomething in München: Alexander Freudenberger und Künstler Hannes Heinrich hauchten einem Sechzigerjahre-Bau neues Leben ein.
Es ist ein grauer, regnerischer Tag im Februar. Alles wirkt irgendwie trist, es ist kalt, die Kiessteine, die noch von den Frosttagen ausgestreut sind, knirschen unter den Füßen, und man hört auf einem Ohr noch die S-Bahn vorbeirauschen. Wir befinden uns unweit des Perlacher Forsts in München in einem Wohngebiet mit einer Schar an Plattenbauten und Mehrfamilienhäusern in sanften Pastelltönen. Genau dort fanden der Creative Director Alexander Freudenberger und sein Partner, Künstler Hannes Heinrich, ihr neues Zuhause. In einem der Gebäude hoch oben im fünften Stock machte sich das Paar eine vermeintlich eintönige 71-Quadratmeter-Wohnung gänzlich zu eigen und ließ hundertprozentige Individualität einziehen. Es ist ein Paradebeispiel dafür, dass man auch aus einem quadratisch-praktischen Apartment eine lichte, stylishe, funktionale Wohnung kreieren kann, die vermutlich nichts mehr mit den Wohnungen der Nachbarschaft gemein hat. Zusammen mit dem Architekten Sebastian Kofink dachten sie den Grundriss völlig neu und ließen smarte, teilweise unsichtbare Einbaumöbel einziehen. Für #thirtysomething haben wir das Paar zum Interview in seiner Wohnung getroffen und mit ihm darüber gesprochen, wie man ein Apartment gänzlich auf sich zuschneidet.
Interview: Alexander Freudenberger und Hannes Heinrich über ihre Wohnung in München
Alexander, Hannes, ihr seid aus der Münchner Innenstadt an den Stadtrand gezogen, und wir befinden uns nun im fünften Stock eines Betonbaus von 1969 nahe dem Perlacher Forst – welchen Bezug habt ihr zu diesem Ort?
Alexander: Tatsächlich habe ich das erste Jahr meines Lebens in dieser Gegend verbracht, und meine Großeltern hatten hier ein kleines Haus. Zudem bin ich Halbamerikaner, und mein Vater arbeitete, als er nach Deutschland kam, zunächst in der McGraw-Kaserne, die auch gleich hier um die Ecke ist. Das heißt, obwohl ich in der Münchner Innenstadt aufgewachsen bin, hatte ich schon immer einen ganz fundamentalen Bezug zu diesem Ort. Ich würde mich als vornehmlich großstädtisch einordnen, und früher dachte ich, ich hätte mich eher von diesem Ort entfernt – es ist hier sehr ruhig, ein wenig spießig und eben nicht wirklich städtisch. Aber jetzt weiß ich das alles wieder sehr zu schätzen. Tief in mir drin merke ich, dass ich von hier komme.
Alexander, du hast diese Wohnung geerbt, ihr habt vorher einige Zeit in London gelebt, wann habt ihr die Entscheidung getroffen, euch dieses Projekts anzunehmen, und, wie euer Arbeitstitel so schön hieß, eine Tabula rasa zu machen?
Alexander: Für mich war es noch mal eine Art Neuanfang. Ich habe mich eigentlich nicht mehr als Münchner gefühlt, als ich zurückkehrte. Daher hat es geholfen, ebendiesen Ort noch mal ganz neu zu interpretieren.
Das klingt nach einer großen Herausforderung …
Alexander: Das war es natürlich auch, aber manchmal treibt einen auch ein wenig die Naivität an. Wenn man sich das erste Mal an ein solch großes Projekt wagt, weiß man nicht so recht, wie lange wird sich das hinziehen? Wie viel müssen wir investieren? Und so weiter – im Nachhinein ist man immer etwas schlauer.
Welcher Umfang war vorerst angedacht?
Alexander: Zunächst dachten wir, wir sanieren die Wohnung einfach erst mal ein wenig, weil lange nichts mehr gemacht wurde und um alles mal auf den neuesten Stand zu bringen.
Hannes: Wir hatten natürlich auch keinen Zeitdruck – wir haben gesagt, wir machen alles step by step. Aber wir merkten schnell, dass man eigentlich alles machen muss. Und das war keine Luxusentscheidung, sondern eine Zwangsentscheidung. Und dann ist uns schnell bewusst geworden, dass, wenn wir eine Entscheidung treffen, diese mit vielen weiteren verknüpft ist – etwa wo wollen wir die Küche platzieren, das Bad, die Lichtschalter und so weiter. Alles hat sich sehr schnell miteinander verkettet.
So ging das Paar bei der Renovierung vor
Habt ihr dafür Hilfe von außen in Anspruch genommen?
Alexander: Wir haben früh realisiert, dass unser Interesse für Architektur und Interior nicht mehr ausreicht. Dann haben wir unseren Freund und Architekten Sebastian Kofink – zunächst allerdings ganz unvoreingenommen als Berater – herangezogen, und dann ist es auf so eine positive Art einfach eskaliert. Er fand den Raum und Kontext – der vielleicht erst mal ungewöhnlich erscheinenden Siedlung – sehr interessant.
Hannes: Uns wurde dann aber auch schnell klar, dass wir keine Kompromisse machen möchten. Und da hat uns der Architekt schon sehr geholfen – da er teilweise noch radikaler dachte und genau wusste, was man machen kann.
Alexander: Als Sebastian dann involviert war, ist auch endgültig die Entscheidung gefallen, dass wir die Wohnung nur für uns gestalten und sie dann auch komplett auf uns zuschneiden lassen.
Welche konkreten Vorgaben gab es von eurer Seite?
Alexander: Wir wussten, wir verbringen im Sinne der Selfcare gerne Zeit im Bad, also wollten wir ein Hotel-Bad imitieren. Außerdem besitzen wir sehr viel Kleidung, somit waren ausreichende Stauraummöglichkeiten unabdingbar.
Hannes: Wir wollten Klarheit kreieren, ohne gleich alles entsorgen zu müssen. Ebenso wollten wir diesen sehr klassischen Wohnungsaufbau brechen, um so auch die Durchlässigkeit des Tageslichts zu generieren.
Alexander: Wenn wir zusammen in der gleichen Wohnung wohnen, dann sind wir auch zusammen. Deswegen war es schön zu sagen, wir wollen zwar Großzügigkeit, aber wir wollen trotzdem eine Verbundenheit. Also haben wir außer zum Schlafzimmer keine Türtrennung im klassischen Sinne.
Was finanzielle Entscheidungen betrifft, geht man mit Eigentum für gewöhnlich anders um als mit einem Mietobjekt. Welche Grenzen habt ihr euch für dieses Projekt gesetzt?
Alexander: Wir lernten, dass, sobald man einen Budgetrahmen ausgesprochen hat, man ihn dann auch schnell wieder vergessen kann. Es stimmt total, dass, wenn man ein Projekt für sich selbst umsetzt, man eher an die Grenze geht, die gegebenenfalls auch ein bisschen wehtut. Dafür bekommt man aber genau das, was man möchte. Aber klar, man fragt sich natürlich schon: Lohnt es sich, so viel Geld und Zeit zu investieren?
Hannes: Na ja, aber selbst wenn man die gesetzte Grenze überschreitet, braucht man eine, um so auch anders zu haushalten. Auch wenn einzelne Kostenpunkte vertretbar sind, muss man schlussendlich alles in der Endsumme betrachten. Zeitlich haben wir es ähnlich gehandhabt. Wir haben uns schon einen sehr weiten Zeitrahmen gesetzt, aber auch hier merkten wir, wir müssen irgendwann mal unsere Wohnung kündigen, um es zeitlich zuzuspitzen. Es gibt sonst immer Aufgaben, die man vor sich herschiebt. Außerdem sind ja auch immer die Produktionszeiten zu beachten, die gegebenenfalls alles noch mal in die Länge ziehen.
Welche Herausforderungen barg das Projekt?
Alexander: Man muss wirklich sagen, dass es ein Luxus ist, wenn man mit Leuten zusammenarbeitet, die sich auskennen und die Personen dazuholen, denen sie wiederum vertrauen, daher muss man selbst nicht alles hinterfragen. Der Architekt hat das Projekt sehr intensiv mit uns gemanagt.
Hannes: Es gibt natürlich immer ganz viele Challenges, aber dadurch, dass dann am Ende alles gut geworden ist, vergisst man diese dann auch schnell.
Alexander: Es gab beispielsweise einige Risse in der Wand, daher musste ein Statiker kommen, um zu beurteilen, was überhaupt machbar ist. Das Haus ist eben von 1969, da war die Bausubstanz noch eine ganz andere als heute – alles war viel windiger. Wir wurden also immer vor Fragen gestellt, die wir intuitiv und fachlich selbst nicht beantworten konnten.
Wie man eine Wohnung gänzlich nach seinen Bedürfnissen gestaltet
Gut, dass ihr da einen Experten an eurer Seite hattet. Warum habt ihr euch dazu entschieden, eine Schreinerei für alle eure Schranklösungen und die Küche einzusetzen und nicht einfach fertige Möbel zu kaufen?
Hannes: Richtig, es ist auch alles aus einer Hand von der Schreinerei Holzlöwe aus München gefertigt. Zunächst stand die Block-Konstruktion im Eingangsbereich/Bad. Die tatsächlich wie eine kleine „Wohnmaschine“ daherkommt. Auf der einen Seite sind Kleiderschrank und Waschmaschine untergebracht, und auf der Rückseite befindet sich gleich das Bad mit weiteren Schränken. Vielleicht haben wir uns hier vom britischen Interior inspirieren lassen. Wir wollten, dass alles Teil der Architektur ist. Es sollte nicht einfach ein „Befüllen“ von Räumen sein, sondern es sollte alles ineinandergreifen und ein Miteinander sein. Also haben wir uns auch auf keine Kompromisse eingelassen. Wir wussten, wir wollten auf der gegenüberliegenden Seite eine Spiegelwand haben, also haben wir mit den Handwerkern versucht eine Lösung dafür zu finden.
Alexander: Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir beide Kreative sind, aber wenn ich eine Idee habe, dann ist es für mich total schwierig, einen Kompromiss dafür zu finden. Das klingt ein wenig abgedroschen, aber wir haben mit einer Kompromisslosigkeit gearbeitet. Also gab es für uns keine Alternative, es nicht auf uns zuschneiden zu lassen. Auch wenn ich supergerne in Möbelgeschäfte gehe und mir alles ansehe. Aber es gab nie genau das, was wir gerne gehabt hätten.
Hannes: Diese Komplexität der Planung barg natürlich auch die Hoffnung, dass das Wohnen umso einfacher wird und eben alles für uns funktioniert und aufgeräumt bleibt.
Wie man eine funktionale Wohnung kreiert
Wie konzipiert man eine Wohnung, die für einen funktioniert? Welche Schritte geht man da im Geiste durch?
Alexander: Man weiß ja, welche Vorlieben man hat und wo man am Tag die meiste Zeit verbringt. Also wussten wir zum Beispiel: Wir mögen Wohnküchen. Wohnen und Kochen sollten somit in einem Raum stattfinden. Es hilft, sich einen exemplarischen Tag vorzustellen und wie man sich von Tageszeit zu Tageszeit in der Wohnung bewegt: Bei uns startet der Tag erst mal am Esstisch, dann sitzt man kurz auf dem Sofa, dann geht man ins Bad und zieht sich an. Unser Tag bildet eine bestimmte Choreografie ab, mit der wir gut arbeiten konnten.
Ihr seid beide Kreativschaffende, hat euch das beim Einrichten geholfen?
Alexander: Ich habe mal gelesen, dass es für Kreative die Lebenszeit verlängert, wenn man sich mit Schönheit umgibt. Daher glaube ich schon, dass man noch mal ganz behutsam aussucht, mit welchen Dingen man wirklich leben möchte. Ich möchte nichts um mich herum haben, was ich nicht mag oder sympathisch finde.
Hannes: Ich glaube, unsere Herangehensweise unterscheidet sich auch ein wenig. Du versuchst eigentlich immer, ganz genau deine Visionen umzusetzen, und suchst nach einem Objekt, das du schon vor deinem inneren Auge siehst, und ich finde eher etwas, das mir gefällt, und überlege dann, was ich daraus machen kann.
Dank der Einbauschränke kann man die Anzahl eurer Möbel an zwei Händen abzählen, wie habt ihr sie ausgesucht?
Hannes: Wir haben sehr viel auf Ebay-Kleinanzeigen gefunden. Und dort tatsächlich gesucht, gesucht und gesucht. Es ist zum einen günstiger, aber es grenzt auch die Auswahl ein wenig ein. Obwohl ich eher auf der Plattform unterwegs bin als du.
Alexander: Ich gehe lieber in ein Geschäft und schaue mir die Objekte an. Aber so ist ein guter Mix entstanden.
Wolltet ihr den Stil des Plattenbaus aufgreifen oder euch bewusst davon distanzieren?
Alexander: Wir wollten uns nicht davon distanzieren. Wir haben es als Challenge gesehen, mit dem zu arbeiten, was man hat.
Hannes: Wir fanden es wichtig, dass man nicht gegen die Architektur arbeitet. Daher haben wir uns auch nicht etwa für ein Fischgrätparkett entschieden, sondern bei den Einbauschränken für MDF. Das hat etwas sehr Subtiles, Bescheidenes – obwohl ein Einbauschrank natürlich etwas ausgesprochen Hochwertiges ist.
Alexander: Ich würde sagen, wir feiern die Platte dafür, dass sie eine Platte ist, und wir ahmen hier keine Altbauwohnung nach. Wir wollen ja nicht verstecken, wo wir sind, sondern wir feiern es für das, was es ist, und gleichzeitig sitzen wir ja trotzdem hier in so einer Art von Zelle, die ganz anders ist als das, was man erwartet, wenn man vor dem Haus steht.
Was ist euer Lieblingspiece hier in der Wohnung?
Hannes: Das Sofa.
Alexander: Die Kaffeemaschine (lacht). Nein, ich mag auch unsere Spiegelwand. Ich liebe es, dass, wenn man hereinkommt, man leicht verwirrt ist und den Raum nicht sofort versteht.
Fehlt euch noch etwas?
Alexander: In voller Transparenz: eine Dunstabzugshaube.
Würdet ihr sagen, euch fehlt noch ein weiterer Raum?
Alexander: Bisher haben uns alle sehr dafür gefeiert, dass die Wohnung uns nur den Raum bietet, den wir brauchen, aber auch nicht mehr und nicht weniger. Wir finden es sehr zeitgemäß, nicht mehr Raum zu beanspruchen, als man muss.
Hannes: Ich brauche auch nicht mehr Platz. Und irgendwie war es genau die Challenge, mit den bereits vorhandenen Dingen umzugehen und das Potenzial des Raumes auszunutzen. Ich glaube, das hat mir auch den meisten Spaß gemacht.
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Produktion: Anna Busch





























