Elegante Renovierung: Aus einer 60-Quadratmeter-Wohnung mit langweiligem Grundriss wurde ein erwachsenes Refugium mit viel Stauraum

Wurzelholz trifft auf viel Marmor, japanische Kunst auf italienisches Design – wie Studio Giovannoni Tian ein vielschichtiges City-Apartment schuf
Das Apartment in Mailand vermischt Farben Kulturen und Design
Giulio Ghirardi

Mit einem Gespür für Material und Geschichte hat Studio Giovannoni Tian ein Apartment in Mailand in einen vielschichtigen Rückzugsort verwandelt.

Inmitten des lebendigen Mailänder Navigli-Viertels fanden Lilly Tian und Lorenzo Giovannoni alias Studio Giovannoni Tian ein 60-Quadratmeter-Apartment als Zweit- und gelegentliche Gästewohnung. Alles begann mit einer umfassenden Renovierung: „Das Apartment befindet sich in einem traditionellen Mietshaus mit einem für Mailand typischen Grundriss: zwei Räume, die durch eine Wand getrennt sind, plus Küche“, beschreibt der Architekt Giovannoni die Ausgangslage. Den Grundriss passte das Studio an und öffnete zum Teil die Trennwand, um die Räume miteinander zu verbinden und das Licht besser durch die Räume zu navigieren. „Die drei Zimmer sind so konzipiert, dass sie ihre eigene Qualität haben, fast wie drei Akte einer Oper, die den Bedürfnissen der verschiedenen täglichen Rituale entsprechen.“

Eindrücke aus dem 60-Quadratmeter-Apartment in Mailand

Im Wohnzimmer steht ein rotes Sofa und daneben eine Skulptur

Wohnlichkeit pur: Vom Sofa aus wirkt der offene Raum wie ein echtes Wohnzimmer.

Giulio Ghirardi

Eine Hommage an Mailand

Nachdem die Aufteilung geklärt war, befasste sich das Duo mit der Storyline des Interiors. „Wir investierten viel Zeit in die Ent­wicklung einer überzeugenden Geschichte. Es sollte eine Hommage an das Mailänder Design des 20. Jahrhunderts werden, wobei wir uns von üppigen Oberflächen und Texturen inspirieren ließen.“ Als Referenz für den roten Levanto- und den weißen Arabesco-Marmor dienten etwa Piero Portaluppi oder Ignazio Gardella. Die lackierten Oberflächen erinnern an die 70er, die Verwendung von Edelstahl an Gae Aulenti. Elemente, die die Räume verbinden, sind die ­satt­rote, halbhohe Wandverkleidung und die geschwärzte Eiche in der Küche und beim Bettpodest.

Material-Mix für Profis

Das Waschbecken im Badezimmer besteht aus Marmor Spiegel überhalb

Im Bad kombinierte man roten Levanto- mit hellem Calacatta-Marmor, Wurzelholz mit blutroten Wänden.

Giulio Ghirardi

„Funktionalität war uns ­wichtig, aber wir wollten auch, dass die Küche angesichts ihrer starken Präsenz im Wohnbereich minimal und skulptural wirkt. Also ­haben wir alles Unwesentliche entfernt oder ließen es ver­schwinden.“ Abgesehen von einigen Vintage-Möbeln entwarf das Studio alle Einbauten, das Sofa und eine Schar von Leuchten selbst; dafür arbeiteten sie mit Handwerker:innen aus der Umgebung ­zusammen. „Wir haben übermäßige Ver­zie­rungen ­gemieden und lassen die Materialien in ihrer Textur und Farbe für sich sprechen.“

Die Küche ist in einem dunklen Ton gehalten und auf dem Boden liegt ein dunkelroter Teppich

Die Küche ist ebenfalls ein Entwurf von Studio Giovannoni Tian. Für einen einheitlichen Look setzte das Duo durchgehend auf geschwärzte Eiche.

Giulio Ghirardi
Marmor als Arbeitsunterlage in der Küche

In der eigens entworfenen Küche verschwinden alle Geräte hinter einheitlichen Holzfronten – ein klares Bekenntnis zu funktionalem Design und harmonischer Raumwirkung.

Giulio Ghirardi
Der Esstisch ist umgeben von dunklen Stühlen die sich gut in die Töne des Essbereiches einschmiegen

Der großzügige Essplatz zur Linken war ein Muss – die Wahl fiel auf „Medusa“-Stühle von Studio Tetrarch aus den 1970er-Jahren sowie auf Charles Rennie Mackintoshs runden „Table 332“ von 1918, der heute von Cassina produziert wird.

Giulio Ghirardi
Im Schlafzimmer sthet das Bett auf einem Potest im Mittelpunkt dahinter eine helle Wand mit großer Lampe und langen...

Weg vom Boden: Das Bett wurde auf einem Podest platziert – das schafft einerseits eine Raum-im-Raum-Situation, andererseits zusätzlichen Stauraum. Auf ein klassisches Bettgestell verzichtete das Studio bewusst – eine weitere Reverenz an asiatische Wohnkultur.

Giulio Ghirardi
Im Schlafbereich steht ein Stuhl und eine Lampe hängt

Im Schlafbereich geht es trotz ebenfalls roter, halbhoher Wandverkleidung etwas subtiler zu: Afra und Tobia Scarpas „Africa Chair“ steht dort unter Massimo Vignellis „259/2 Light“ für Arteluce.

Giulio Ghirardi

Konzepte für kleine Räume: Tipps von Architekt Lorenzo Giovannoni

Elemente mit Wow-Effekt

Ein Interior muss fesseln und eine Geschichte erzählen – das gilt immer, ganz unabhängig von der Größe der Wohnung. Ein kleiner Raum erfordert die Konzentration auf das Funktionale, dafür müssen die verbleibenden Elemente aber zu hundert Prozent dem Konzept entsprechen. Jedes Stück muss einen bestimmten Zweck erfüllen, sowohl in Bezug auf die Funktion als auch im Hinblick auf die Gesamtgeschichte des Interiors.

Die richtigen Stilmittel

… bestehen aus den Elementen Materialien, Farben und Licht. Jede Wahl muss beabsichtigt sein, denn selbst die subtilsten Details können die Wahrnehmung des Raums verändern.

Materialmix, aber wie?

Wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis von Texturen und Ober­flächen innerhalb einer zurückhaltenden Farbpalette. Es ist ein Prozess, der sich stark auf Intuition und sehr viel Ausprobieren stützt, bis alles genau richtig erscheint.

Einheit schaffen, trotz multifunktionaler Räume

Das perfekte Beispiel hierfür ist der Wohnbereich: Man möchte schließlich nicht in einem Wohnzimmer mit Backofen sitzen. Also haben wir die Kü­chen­geräte hinter den Schränken versteckt, so können sie nicht vom Interior ablenken.

Praktisch muss es sein!

Im Schlafzimmer haben wir im  Prinzip einen Raum im Raum geschaffen. Das Bett ist auf einem Podest platziert, um das Zimmer zum einen zu definieren – zum anderen war es eine praktische Lösung für versteckten Stauraum. Eine gute Möglichkeit, um auf oft allzu sperrige Schränke zu verzichten.

Neues und Altes mit Überraschungsmomenten

Organisch „111“ von 6AM ist Skulptur Beistelltisch und Vase in einem. Die samtige Struktur entsteht durch Puder aus...

Organisch: „-1/1/1“ von 6:AM ist Skulptur, Beistelltisch und Vase in einem. Die samtige Struktur entsteht durch Puder aus Carrara-Marmor, der dem Muranoglas beigemischt wurde. 6amglass.com

6:AM
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Ein Teppich als Blickfang: „Moiré“ von Objects of Common Interest, inspiriert von der Baumstammoptik des Stoffs. ce-tapis.com

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Zurückhaltendes Centerpiece: Bruno Munaris „Falkland“-Leuchte von 1964 setzt im Schlafzimmer ein sanftes Designstatement. danesemilano.com

FEDERICO VILLA 2017
Der Architekt sitzt auf dem Sofa im Wohnbereich und schaut gerade in die Kamera

Lorenzo Giovannoni, Architekt und Mitgründer von Studio Giovannoni Tian, bringt italienische Klarheit und asiatische Inspiration in Einklang.

Giulio Ghirardi
Offener Wohn und Essbereich Couch und Esstisch in einem Raum wirken wegen der geschickten Gestaltung groß

Italien trifft Asien: Ein mit Blattgold belegtes japanisches Bild aus dem 19. Jahrhundert hat im Wohnbereich seinen großen Auftritt. Auch Isamu Noguchis monumentale Reispapierleuchte bringt einen Hauch Fernost ins Interior – das ansonsten fast vollständig von italienischem Design des 20. Jahrhunderts inspiriert ist. Das Sofa ist ein Eigenentwurf.

Giulio Ghirardi